Das Wirthshaus an der Heerstrasse. Иван Тургенев

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Das Wirthshaus an der Heerstrasse - Иван Тургенев


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Akim (der wohl wußte an wen er sich zu wenden hatte), daß dieser bärtige Bauer Akim, in dessen Nähe zu sitzen ihr neulich als eine Beleidigung vorkam, um ihre Hand anhalte!

      Erst flammte Dunascha zornig auf, dann zwang sie sich zu lachen, dann fing sie an zu weinen, allein Kirillowna führte ihren Angriff so geschickt aus, stellte ihr ihre abhängige Stellung im Hause so klar vor und machte ihr das Passende der Partie, den Reichthum und die blinde Unterwürfigkeit Akim’s so anschaulich und hob endlich auch so eindringlich hervor, wie sehr die Herrin selbst diese Verbindung wünsche, daß Dunascha das Zimmer ganz nachdenklich verließ, und von nun an bei ihrer Begegnung mit Akim ihm nicht mehr auswich, sondern ihn starr ansah. Die unglaubliche Freigebigkeit des Verliebten, der sie mit Geschenken überhäufte, zerstreute ihre letzten Bedenken.

      Lisaweta Prochorowna, welcher Akim in der Freude seines Herzens hundert Pfirsiche auf einer silbernen Schüssel überreichte, gab ihre Einwilligung zu seiner Verbindung mit Dunascha und die Hochzeit wurde vollzogen. Akim scheute keine Ausgabe – und die Braut, welche noch Abends vorher mehr todt als lebendig im »Jungfernkreise« gesessen« und selbst am Hochzeitsmorgen noch geweint hatte, während Kirillowna sie ankleiden, ward bald getröstet . . . Die Herrin schmückte sie zur Feierlichkeit in der Kirche mit ihrem eigenen Shawle – und Akim schenkte ihr noch an demselben Tage einen Shawl, der vielleicht noch kostbarer war als jener . . .

      III

      So war denn Akim wieder verheirathet und er führte seine junge Frau in sein Haus ein, wo sie nun zusammen leben sollten.

      Es stellte sich bald heraus, daß Dunascha eine schlechte Haushälterin war und Akim keine rechte Stütze in ihr fand. Sie kümmerte sich um Nichts, sah grämlich aus und langweilte sich, wenn nicht irgend ein durchreisender Offizier ihr Aufmerksamkeiten erwies und Artigkeiten sagte, während sie hinter dem großen Ssamoware den Thee bereitete. Sie fuhr häufig aus, bald in die Stadt, um Einkäufe zu machen, bald in das Herrschaftshaus, welches von dem ihrigen wohl fünfviertel Stunden entfernt lag. Im Herrschaftshause fühlte sie sich am behaglichsten. Dort war sie unter alten Bekannten. Die Mädchen bewunderten ihren Putz; Kirillowna bewirthete sie mit Thee; selbst Lisaweta Prochorowna unterhielt sich mit ihr.

      Aber auch diese Besuche waren nicht ohne bittere Gefühle für Dunascha. Sie durfte jetzt z. B. da sie nicht mehr zu den Hofbediensteten gehörte, auch keine – Haube und keinen Hut mehr tragen wie diese, sondern mußte ihren Kopf mit einem Tuche umwinden, »wir eine Kaufmannsfrau« bemerkte ihr Kirillowna – wie eine Bäuerin, sagte sie sich selbst.

      Mehr als einmal kamen Akim die Worte in den Sinn, welche ihm ein alter Oheim, ein blutarmer Bauer und eingerosteter Hagestolz gesagt hatte, als er ihm vor der Hochzeit auf der Straße begegnete: »Nun« Bruder Akimuschka, ich höre, du willst dich wieder verheirathen.«

      »Jawohl. Was weiter?«

      »Ach, Akim, Akim! Du bist nun uns, den Bauern, kein Bruder mehr, gehörst nicht mehr zu unseres Gleichen – aber auch sie ist nicht Deines Gleichen!

      »Warum ist sie nicht meines Gleichen?«

      »Wär’ es auch nur darum,« rief er, auf Akim’s Bart zeigend, den dieser aus Gefälligkeit für Dunascha beschnitten hatte; ihn ganz abzurasiren konnte er nicht übers Herz bringen.

      Akim senkte das Haupt, während der Greis sich wandte und die Schöße seines an den Schultern zerrissenen Pelzes übereinanderschlagend, mit Kopfschütteln davonging.

      Ja, mehr als einmal gedachte Akim ächzend und seufzend dieser Worte, aber seine Liebe zu dem hübschen Weibe blieb dieselbe. Er war stolz auf seine Frau, wenn er sie verglich – nicht mit gewöhnlichen Bäuerinnen, oder mit seiner ersten Frau, die ihm angeheirathet wurde, als er kaum sechzehn Jahre zählte, – mit den andern Zofen im herrschaftlichen Hause.

      »Wir haben doch ein allerliebstes Vögelchen im Käfig!« sagte er sich zum Troste. Die geringste Freundlichkeit Dunascha’s machte ihn überglücklich. Mit der Zeit wird sie sich schon gewöhnen und gut einleben, dachte er. Dazu kam, daß sie sich eines guten Wandels befleißigte und Niemand ihr ein schlimmes Wort nachsagen konnte.

      So vergingen einige Jahre. Dunascha hatte sich mit der Zeit wirklich an ihr neues Leben gewöhnt. Akim’s Liebe und Vertrauen zu ihr nahm mit den Jahren nur zu. Ihre frühern Dienstgenossinnen, welche sich verheirathet hatten, aber zu stolz gewesen waren einen Bauern zu nehmen, hatten alle Unglück in der Ehe: theils waren sie gänzlich verarmt, theils in schlechte Hände gefallen. Akim’s Wohlstand dagegen nahm fortwährend zu. Alles glückte ihm, er mochte unternehmen was er wollte. Nur ein Glück blieb ihm versagt: Gott schenkte ihm keine Kinder.

      Dunascha war nun fünfundzwanzig Jahr alt – geworden und hatte es dahin gebracht; daß man sie allgemein Afdotja Arefjewna2 nannte. Eine musterhafte Wirthin war sie gerade nicht zu nennen, aber sie liebte ihr Haus, wachte über Speisekammer, Küche und Keller und beaufsichtigte die Arbeiterinnen, d. h. sie that wenigstens so. In Wahrheit ließ sie Alles gehen wie es ging, so daß im Hause weder besondere Sauberkeit noch Ordnung herrschte. Dagegen hing im Hauptzimmer neben dem Bilde Allwo auch ihr Bild, in Oel von dem im väterlichen Hause zum Künstler aufgewachsenen Sohne des Küsters gemalt. Sie war dargestellt in weißem Kleide, mit gelbem Shawle darüber, einer sechsfach um den Hals geschlungenen Perlenschnur, langen Ohrgehängen und Ringen an jedem Finger. Man konnte sie erkennen, obgleich der Künstler sie zu fett und zu roth gehalten und ihre grauen Augen in schwarze – noch dazu schielende – verwandelt hatte.

      Akim’s Porträt war weniger gelungen; der Künstler hatte ihn sehr dunkel – à la Rembrandt – aufgefaßt.

      In ihrer Kleidung fing Afdotja an sich sehr zu vernachlässigen; sie warf ein großes Tuch über die Schulter und ließ das Kleid darunter sitzen wie es sitzen wollte; sie war angesteckt von jener einschläfernden, seufzenden Trägheit, welcher sich die Russen im Allgemeinen gar zu leicht hingeben, sobald sie nicht mehr um des Tages Nothdurft zu ringen haben.

      Bei alledem gedieh das Hauswesen wie das Geschäft ihres Mannes; Akim und seine Frau lebten so gut miteinander, daß ihre Ehe als ein wahres Muster galt in der Nachbarschaft. Aber wie das Eichhörnchen, welches sich das Näschen putzt in demselben Augenblicke wo der Jäger darauf zielt, so fühlt der Mensch sein Unglück nicht vorher – wie unsicheres Eis bricht das Glück plötzlich unter seinen Füßen zusammen.

      IV

      An einem Herbstabend stieg in Akim’s Wirthshause ein Kaufmann ab, der allerlei Kurz- und Putzwaaren mit sich führte. Auf verschiedenen Umwegen fuhr er mit zwei wohlbeladenen Kibitken von Moskau nach Charkow. Er war einer der durch’s Land ziehenden Hausirer, welche die Gutsherren und besonders deren Frauen und Töchter oft mit so großer Ungeduld erwarten.

      Mit diesem Kaufmann, der schon in vorgerückten Jahren stand, reisten zwei Gehilfen, wovon der eine bleich, mager und bucklig, der andere ein ansehnlicher, hübscher Bursche von etwa zwanzig Jahren war.

      Sie aßen zu Abend und bestellten sich dann Thee. Der Kaufmann lud den Wirth und seine Frau ein, eine Tasse mit ihnen zu trinken, und so geschah es.

      Zwischen den beiden alten Männern (Akim stand in seinem fünfzigsten Jahre) knüpfte sich bald eine Unterhaltung an. Der Kaufmann erkundigte sich nach den Gutsherrschaften in der Umgegend und Niemand konnte ihm bessere Auskunft darüber geben als Akim. Der bucklige Gehilfe verließ alle Augenblicke das Zimmer um nach den Pferden zu sehen und zog sich endlich ganz zurück, um sein Bett aufzusuchen. Afdotja hatte sich mit dem andern Gehilfen zu unterhalten. Sie saß neben ihm, weniger selbst sprechend als anhörend, was er ihr erzählte, aber dieß schien ihr sehr zu gefallen; ihr Antlitz belebte sich, eine ihr ungewöhnliche Röthe umspielte ihre Wangen und sie lachte oft und herzlich. Der junge Mann saß neben ihr fast ohne sich zu rühren, seinen lockigen Kopf auf den Tisch neigend. Er sprach leise, ohne die Stimme zu erheben und die Worte zu beschleunigen. Dagegen waren seine kleinen, aber unternehmenden blauen Augen unverwandt auf Afdotja gerichtet. Sie suchte erst seinen durchbohrenden Blicken auszuweichen, dann aber sah sie ihm selbst in’s Gesicht . . . Das Gesicht dieses kecken Burschen war frisch und glatt wie ein Borsdorfer Apfel. Er lächelte oft beim Sprechen und spielte sich mit seinen weißen Fingern am Kinn herum, woran sich schon ein leichter dunkler Flaum zeigte.


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<p>2</p>

Dunascha ist das Diminutivum von Afdotja. Dem Taufnamen das Patronymicum folgen zu lassen, ist ein Beweis von Achtung.