Gesetz und Frau. Уилки Коллинз
Читать онлайн книгу.einen Fuß auf der Leiter, als ich die Thür öffnen hörte, die nach der Halle führte In der Erwartung, den Major zu sehen wandte ich mich um.
Anstatt dessen erblickten meine Augen die zukünftige Primadonna, welche soeben eingetreten war und mich fest anstarrte.
»Ich kann ein gutes Theil vertragen,« begann das Mädchen mit kühlem fast herausforderndem Ton; »aber dies ist mir denn doch zu viel!«
»Was ist Ihnen zu viel?« fragte ich.
»Ja, wenn Sie hier einige Minuten geblieben wären; aber nun sind es bald zwei volle Stunden,« entgegnete sie. »Das gefällt Ihnen wohl, so ganz allein in des Majors Studirzimmer? Ich habe Anlage zur Eifersucht wissen Sie, und ich muß Sie fragen was das zu bedeuten hat.« Mit drohendem Blick und hochrother Wange trat sie mir einige Schritte näher. »Will er Sie vielleicht auch auf die Bühne bringen?« fuhr sie fort.
»O nein.«
»Auch nicht verliebt in Sie – was?«
Unter anderen Umständen als die obwaltenden es waren würde ich der Dirne die Thür gewiesen haben. In meiner gegenwärtigen Lage aber und in dem kritischen Moment war die bloße Gegenwart eines menschlichen Wesens schon ein Trost für mich.
Selbst dieses Mädchen mit seinen aberwitzigen Fragen und seinem rohen Benehmen war eine willkommene Störerin meiner Einsamkeit; sie bot mir eine Zuflucht vor mir selbst.
»Ihre Frage ist gerade nicht sehr höflich,« sagte ich. »Dennoch entschuldige ich sie. Es ist Ihnen ohne Zweifel unbekannt daß ich verheirathet bin.«
»Ach! Als wenn das etwas damit zu thun hätte!« entgegnete sie. »Verheirathet oder unverheirathet das ist dem Major alles egal. Der alte unverschämte Drache, der sich Lady Clarinda nennt ist auch verheirathet, und dennoch schickt sie ihm dreimal wöchentlich ihre verdammten Bouquets. Es ist nicht etwa, weil ich mir etwas aus dem alten Narren mache! Er hat mich aber um meine Stellung auf dem Bahnhof gebracht und meine Zukunft liegt nun in seiner Hand; da muß man sich um seine Angelegenheiten bekümmern und nicht dulden, daß sich andere Frauenzimmer dazwischen drängen. Das ist es, wo mich der Schuh drückt verstehen Sie mich? Das kann mir doch nicht gefallen, daß ich Sie so allein hier herumwirthschaften sehe. Keine Entschuldigungen bitte! Erst ausreden lassen! Ich will wissen was Sie hier zu suchen haben! Wie sind Sie mit dem Major zusammengekommen? Ich habe ihn früher nie von Ihnen sprechen hören!«
Unter der rauhen Oberfläche von Rohheit und Selbstsucht war bei diesem Mädchen doch eine gewisse Offenheit und Freiheit bemerkbar, welche nicht unerheblich zu ihren Gunsten sprach. Ich antwortete ihr ebenso frei und offen wie sie mich gefragt.
»Major Fitz-David ist ein alter Freund meines Gatten,« sagte ich, »deshalb hat er mir erlaubt hier in diesem Zimmer. . . «
Ich unterbrach mich, weil ich nicht wußte, durch welche Beschäftigungen ich meine Anwesenheit motiviren sollte und welche zugleich geeignet waren meine eifersüchtige Gesellschafterin zu beruhigen.
»Nun was hat er Ihnen in diesem Zimmer erlaubt?« fragte sie ungeduldig.
Ihr Auge fiel auf die kurze Leiter, die gegen das Repositorium lehnte und neben welcher ich noch stand.
»Sie wollen Sich wohl ein Buch holen?« begann das Mädchen wieder.
»Ja,« sagte ich, darauf eingehend. »Ich will mir ein Buch holen.«
»Haben Sie es noch nicht gefunden?«
»Nein!«
Sie blickte mich scharf an, als ob sie in meinen Zügen lesen wollte, ob ich die Wahrheit sprach oder nicht.«
»Sie scheinen ein gutes Frauenzimmer zu sein,« sagte sie nach kurzer Ueberlegung. »Sie haben nichts Verdächtiges in Ihrem Gesicht. Wenn ich kann, will ich Ihnen helfen. Ich habe in diesen Büchern schon tüchtig herumrumort und weiß besser in ihnen Bescheid als Sie Was für ein Buch wünschen Sie?«
Als sie jene Frage that bemerkte sie zum ersten Mal das Bouquet von Lady Clarinda, das noch auf derselben Stelle war, wo der Major es hingelegt. Mich und die Bücher gänzlich vergessend, stürmte das seltsame Mädchen wie eine Furie auf die Blumen los und trat sie so lange mit Füßen bis das Bouquet ganz breit gedrückt war.
»So!« schrie sie mit gellender Stimme »Wenn Lady Clarinda hier wäre würde ich sie ebenso behandelt haben.«
»Was wird aber der Major dazu sagen?« fragte ich.
»Das ist mir ganz gleichgültig! Glauben Sie vielleicht daß ich mich vor ihm fürchte? Erst vorige Woche habe ich solch’ Ding da oben entzwei geschmissen und auch nur wegen Lady Clarinda’s Blumen!«
Sie deutete bei diesen Worten nach der bekannten Lücke auf dem obersten Brett des Repositoriums dicht am Fenster. Mein Herz begann sofort heftig zu klopfen als meine Augen der Richtung ihres Fingers folgten. Sie also hatte die Vase zerbrochen! Sollte die Entdeckung meines Geheimnisses durch dieses Mädchen angebahnt werden? Ich hatte kein Wort der Erwiderung für sie; all’ mein Denken war jetzt in meine Blicke gelegt.
»Ja!« sagte sie. »Da stand das Ding. Er weiß, wie ich die Blumen hasse, deshalb stellte er das Bouquet so hoch in jene Vase, damit ich es nicht erreichen sollte. Es war ein Frauengesicht auf das Porzellan gemalt und er erzählte mir, daß es ihr Antlitz wäre; sah ihr aber nicht ähnlicher als ich selbst. Ich befand mich in solcher Wuth, daß ich das Buch, in welchem ich gerade las, nach dem verhaßten Gesicht auf der Vase warf. Ich hatte gut getroffen die Vase fiel herunter, und kracht zerbrach sie auf den Dielen. Ach! was fällt mir denn da eben ein! Sollte das vielleicht das Buch gewesen sein nach dem Sie suchen? Sie sind wohl wie ich? Sie lesen auch wohl gerne Gerichtsverhandlungen?«
Gerichtsverhandlungen? Hatte ich denn recht gehört? Ja wohl, sie hatte es ja klar und deutlich ausgesprochen.
Ich antwortete durch ein bejahendes Nicken meines Kopfes. Ich war noch immer sprachlos. Das Mädchen schlenderte in ihrer kühlen Manier nach dem Kamin nahm die Feuerzange und kehrte mit derselben zum Repositorium zurück.
»Hier muß das Buch hingefallen sein,« sagte sie – »in den Raum zwischen dem Bücherschab und der Wand. Ich werde es gleich herausholen.«
Ich wartete ohne eine Muskel zu bewegen ohne ein Wort zu äußern. Nach weniger als einer Minute kam sie auf mich zu geschritten in der einen Hand die Feuerzange in der andern das Buch.
»Ist das der Band, den Sie suchen?« sagte sie. »Machen Sie es auf und lesen Sie den Titel.
Ich nahm ihr das Buch aus der Hand.
»Es ist ganz furchtbar interessant,« fuhr sie fort. »Ich habe es schon dreimal durchgelesen. Sie mögen es mir glauben oder nicht. Und wenn die Leute noch so viel reden, ich für meine Person glaube doch, daß er es gewesen ist.«
Gewesen ist? Was gewesen ist? Wovon plauderte denn eigentlich das Mädchen? Ich faßte einen gewaltsamen Entschluß, sie danach zu fragen »Was meinen Sie, wovon sprechen Sie denn?« brachte ich mühsam heraus.
Sie schien alle Geduld mit mir zu verlieren Sie riß mir das Buch aus der Hand, schlug den Titel auf und hielt denselben gegen das Licht.
»Natürlich!« rief sie. »Ich habe mich nicht geirrt. Sie sind aber auch so unverständig wie ein kleines Kind.«
Dann hielt sie mir das Buch vor die Augen.
»Da! Ist das das Buch oder ist es nicht das Buch?«
Ich las die ersten Zeilen des Titelblattes:
Ich stutzte und sah das Mädchen an Sie fuhr mit einem Schrei des Entsetzens von mir zurück. Ich blickte noch einmal auf den Titel und las die Schlußzeilen:
Die Sinne schwanden mir, und ich sank in Ohnmacht.
Elftes Kapitel.
Die Rückkehr zum Leben
Mein