Verbergen und Suchen. Уилки Коллинз

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      Verbergen und Suchen

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      Eingangskapitel – Eines Kindes Sonntag

      Um ein Viertel auf ein Uhr, an einem nassen Sonntagnachmittag im November des Jahres 1837, verließ Samuel Snoxell, Laufbursche bei Master Zacharias Thorpe, wohnhaft Baregrove-Square in London, den Hauseingang mit drei Regenschirmen unter dem Arme, um seinen Herrn und seine Herrin beim Schlusse des Frühgottesdienstes an der Kirchtür zu erwarten. Snoxell war von dem Hausmädchen ausdrücklich angewiesen, seine drei Regenschirme folgendermaßen zu verteilen: den neuen seidenen Schirm sollte er an Master und Mistress Thorpe geben, den alten seidenen Schirm dem Master Goodworth, dem Vater der Mistress Thorpe, einhändigen und den schweren Ginghamschirm sollte Snoxell selbst nehmen zum besonderen Schutze des sechsjährigen »Master Zack«, des einzigen Kindes des Mr. Thorpe. Ausgerüstet mit diesen Verhaltungsregeln, trat Snoxell in düsterm Schweigen seine Wanderung nach der Kirche an.

      Der Morgen war schön gewesen für den November, aber im Laufe des Vormittags hatten die Wolken sich zusammengeballt, der Regen hatte begonnen und der regelmäßige Nebel der Jahreszeit sich schmutzigbraun auf den nassen Straßen nah und fern gelagert. Der Garten in der Mitte von Baregrove Square mit seinen eingehegten Rasenplätzen, seinen leeren Beeten, seinen funkelneuen ländlichen Sitzbänken, seinen entlaubten jungen Bäumen, die noch nicht bis zur Höhe der sie umschließenden Gatter herangewachsen waren, schien in gelbem Dunst und sanft herabrieselndem Regen völlig zu verwesen und wurde selbst von den Katzen gemieden. Die Fensterdecken waren zum größten Teil in jedem Hause herabgelassen; das spärliche Tageslicht, das aus den Wolken sich stahl, glich der Dämmerung. wenn sie matt durch trübe Scheiben bricht; die abscheuliche braune Farbe der Backsteinfronten sah noch schmutziger und trübseliger aus als gewöhnlich; der Rauch der Schornsteine verlor sich geheimnisvoll in der Tiefe des darüberhängenden Nebels, schmutzige Dachrinnen gurgelten; schwere Regentropfen fielen hörbar auf leere Kieswege. Kein Gegenstand, groß oder klein, kein Wagen irgendeiner Art erschien, um die traurige Einförmigkeit von Linie und Masse in der Perspektive der Straße zu unterbrechen. Er gelangte mühsam in eine halbmondförmige Straße und immer noch verbreitete sich die abschreckende, grimmig feuchte sonntägliche Einsamkeit um ihn. Er betrat nun eine Straße, worin sich einige Läden befanden, und hier zogen endlich einige tröstliche Zeichen des menschlichen Lebens seine Aufmerksamkeit auf sich. Er erblickte jetzt den Straßenfeger des Distrikts, der bis nach beendigtem Gottesdienste beurlaubt war, eine Pfeife rauchend unter dem bedeckten Wege, der zu einem Stalle führte. Er entdeckte durch halbgeschlossene Fensterladen einen Apothekerlehrling über einem großen Buche gähnend. Er ging an einem Schiffer, einem Hausknecht und zwei Apfelhändlern, welche müde vor einem geschlossenen Bierhause auf und ab wanderten, vorüber. Er hörte das Getrapp von Füßen mit dichtbesohlten Stiefeln hinter sich herkommen und eine rauhe Stimme brüllte: Fort mit euch oder ihr werdet eingesperrt, und als er um sich blickte, sah er eine Apfelsinenverkäuferin, die das Verbrechen begangen hatte, dass sie einen leeren gepflasterten Weg versperrt, indem sie sich auf den Randstein gesetzt hatte. Ein Polizeidiener trieb sie vor sich her, ihm folgte ein zerlumpter Knabe, welcher an einem Stückchen Apfelsinenschale nagte. Einen Augenblick verweilend, um diese Sonntagsprozession dieser drei Personen, wie sie an ihm vorüberging, mit melancholischer Neugierde zu beobachten, wollte Snoxell um die Ecke einer Straße biegen, welche unmittelbar zur Kirche führte, als das gellende Geschrei einer kindlichen Stimme an sein Ohr schlug und sein Weitergehen sogleich hemmte.

      Der Laufbursche stand einen Augenblick mäuschenstill vor Erstaunen, grinste zum ersten Male an diesem Morgen, hob den neuen seidenen Regenschirm in die Höhe und ging in großer Eile um die Ecke. Seine Vermutungen betrogen ihn nicht. Herr Thorpe ging wütend im Regen nach Hause, ehe der Gottesdienst beendigt war, und führte den kleinen Zack an der Hand, welcher widersprechend nebenher trabte, seinen Hut halb auf dem Kopfe, sich so fern als möglich von seinem Vater haltend, als er konnte, und die ganze Zeit aus vollen Kräften heulend.

      Herr Thorpe hieß den Laufburschen, als er vorüberging, still stehen und riss den Regenschirm mit ungewohnter Heftigkeit aus Snoxells Hand; dann sagte er mit Nachdruck: Geh zu Deiner Herrin, geh weiter nach der Kirche! und setzte darauf seinen Weg nach Hause fort, indem er seinen Sohn schneller als je nach sich schleppte.

      »Snoxy! Snoxy!« schrie der kleine Zack boshaft, der diesen Beinamen von dem Kindermädchen gehört hatte. »Ich sage Snoxy« (sich nach dem Laufburschen herumwendend, so dass er strauchelte und bei jedem dritten Schritte gegen seines Vaters Beine fiel:) »Ich bin ein unartiger Knabe in der Kirche gewesen!«

      »Nun, Du siehst danach aus«, flüsterte Snoxell sarkastisch zu sich selbst im Weitergehen, »auch noch Snoxy schimpfen; nun ich will schon seiner Zeit mit Martha rechten, warum sie Dich dies lehrte, kleiner Zack.« Mit diesen Gesinnungen näherte sich der Laufbursche dem Kircheingange und wartete mürrisch unter seinen Kameraden und ihren Regenschirmen, bis die Gemeinde herauskommen würde.

      Als Herr Goodworth und Madame Thorpe die Kirche verließen, ergriff der alte Herr, ohne das Ansehn zu berücksichtigen, begierig den verächtlichen Gingham-Regenschirm als den größten, welchen er herausfinden konnte, und führte seine Tochter im Triumphe darunter nach Hause. Madame Thorpe war sehr still und sie seufzte kläglich ein oder zwei Mal, während sich ihres Vaters Aufmerksamkeit den Leuten, welche die Straße entlang gingen, zuwandte.

      »Du ängstigst Dich über Zack«, sagte der alte Herr, sich plötzlich nach seiner Tochter umwendend. »Kümmere Dich nicht darum, überlass dies mir. Ich will für ihn zu bitten suchen, dass er diesmal ohne Strafe davon kömmt.«

      »Es ist sehr entmutigend und ärgerlich für uns, dass er sich so beträgt«, sagte Madame Thorpe, »nachdem wir ihn auf eine so sorgfältige Weise erzogen haben«.

      »Unsinn, meine Liebe! Nein, ich meine das nicht, ich bitte um Verzeihung; aber wer kann sich wundern, wenn ein Kind von sechs Jahren bei einer Predigt, die nach meiner Uhr vierzig Minuten dauerte, müde wird. Ich weiß, dass ich mich selbst dabei gelangweilt habe, obgleich ich nicht ehrlich genug wie der Knabe war und es zeigte. Wir wollen nicht anfangen zu streiten. Ich will für Zack bitten, dass er diesmal ungestraft davon kommt, und dann wollen wir nicht mehr davon sprechen.«

      Herrn Goodworths Verkündigung seiner wohlwollenden Absichten gegen Zack schien von sehr geringer Wirkung auf Madame Thorpe zu sein, aber sie sagte nichts über diesen noch irgendeinen andern Gegenstand, während ihres übrigen traurigen Weges nach Hause durch Regen, Nebel und Kot nach Baregrove-Square.

      Zimmer haben so gut wie die Menschen ihre geheimnisvollen Eigentümlichkeiten in der Physiognomie. Viele Zimmer, beinahe von der nämlichen Größe, fast ebenso möbliert, sind dessen ungeachtet vollständig in ihrem Ausdrucke voneinander verschieden, wenn man sich dieses Worts bedienen darf, indem sie die verschiedenen Charaktere ihrer Einwohner durch so feine Verschiedenheiten der Wirkung auf die Oberfläche (Gesichtszüge) der Möbel, die gewöhnlich allen gemeinschaftlich angehören, abspiegeln, wie oft von den unendlich kleinen Verschiedenheiten des Auges, der Nase und des Mundes keine Spur aufzufinden ist. Das Wohnzimmmer in Herrn Thorpes Hause war nett, reinlich, bequem und sinnig möbliert. Es befanden sich darin der gewöhnliche Seitentisch, Speisetisch, Spiegel, Feuergitter, marmornes Kamin mit einer Uhr darauf, ein Teppich mit einer wollenen Decke darüber und Rouleaux vor den Fenstern, damit man nicht hinein sehen könnte, – das charakteristische Kennzeichen aller Londoner respektablen Wohnzimmer der mittleren Klassen; und dennoch war es ein durch und durch ernst aussehendes Zimmer, ein Zimmer, welches den Anschein hatte, als ob es niemals gastfrei, niemals ausgelassen, niemals sehr gemütlich noch ungeheuer heiter gewesen wäre, ein Zimmer, das so wenig von Handlungen der Gnade und schneller, unüberlegter, überliebevoller Vergebung gegen Übertreter irgend einer Art oder irgendeines Alters wusste, als wie wenn es eine Zelle in Newgate oder ein geheimes Torturzimmer der Inquisition gewesen wäre. Vielleicht fühlte sich Herr Goodworth auf eine solche Weise von diesem Wohnzimmer affiziert, besonders im Novemberwetter, sobald er es betrat, dass der alte Herr, obgleich er versprochen hatte, eine Fürbitte für Zack vorzubringen, und obgleich Herr Thorpe allein am Tische saß und Bitten zugängig schien, doch ein oder zwei Minuten zögerte und seine Tochter zuerst sprechen ließ.

      »Wo ist Zack?« frug Madame Thorpe schnell und ängstlich um sich blickend.

      »Er ist in meinem Ankleidezimmer eingesperrt«, antwortete, ihr Gatte, ohne sich in seiner Lektüre stören


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