Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe). Оскар Уайльд

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Weihnachtsgeschichten, Märchen  & Sagen (Über 100 Titel  in einem Buch - Illustrierte Ausgabe) - Оскар Уайльд


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Erinnerungszeichen des alten Kampfes verschwinden und tilgten die sagenhaften Andenken daran aus dem Gedächtnis der Menschen, bis sie zu Altenweibermärchen zusammensanken und mit jedem Jahre mehr in Vergessenheit gerieten. Wo die wilden Blumen und Beeren so lange ungepflückt geblieben waren, befanden sich jetzt Gärten und Häuser, und Kinder spielten Krieg auf der Wiese. Die verwundeten Bäume waren schon lange als Weihnachtsholz verbrannt worden. Die dunkelgrünen Stellen waren nicht frischer als das Gedächtnis derer, die darunter beerdigt lagen. Noch immer förderte der Pflug von Zeit zu Zeit Stücke verrosteten Eisens hervor, aber es war schwer zu erkennen, wozu es gedient hatte, und die Finder grübelten und stritten sich darob. Ein alter schwarzer Harnisch und ein Helm hatten so lange in der Kirche gehangen, daß derselbe schwache halbblinde Greis, der sich jetzt vergebens bemühte, sie oben an der weißen Wölbung wiederzuerkennen, sie schon als Kind staunend betrachtet hatte. Wenn das auf dem Feld erschlagene Heer einen Augenblick lang in der Gestalt, wie jeder gefallen, und auf dem Platze, da er seinen Tod gefunden, hätte aufstehen können, dann hätten gespaltene Schädel zu Hunderten in die Türen der Hütten und in die Fenster hineingeschaut. Sie wären erschienen um den friedlichen Herd; wären aufgestapelt gewesen in den Scheunen; wären emporgestiegen zwischen dem Kind in der Wiege und seiner Wärterin; sie hätten den Bach gestaut, wären über das Mühlrad gedreht, hätten den Obstgarten und den Rasen angefüllt, den Heuschober hoch beladen mit Sterbenden. So verwandelt war die Kampfstätte, wo tausend und aber Tausende von Menschen in der großen Schlacht gefallen waren.

      Nirgends war sie vielleicht indessen mehr verwandelt vor etwa hundert Jahren, als in einem kleinen Obstgarten hinter einem alten Haus aus Steinen mit einer Jelängerjelieber-Laube vor der Tür. Dort wurden an einem schönen Herbstmorgen Musik und heiteres Lachen vernehmlich, und zwei Mädchen tanzten lustig auf dem Rasen, während ein halbdutzend Landfrauen auf Leitern standen und Äpfel von den Bäumen sammelten, jedoch mitunter in ihrer Arbeit innehielten und den Fröhlichen zuschauten. Das war ein anmutiges, schlichtes Schauspiel; ein schöner Tag, ein stiller Platz; und die beiden Mädchen tanzten nach Herzenslust ganz froh und ungezwungen.

      Wenn auf der Welt niemand sich hervortun wollte – das ist meine Ansicht, und ich nehme an, ihr stimmt mit mir überein – so würden wir viel besser weiter kommen und uns einander viel mehr Freude bereiten. Es war ganz wundernett zu sehen, wie die beiden Mädchen tanzten. Sie hatten keine Zuschauer als die äpfelpflückenden Frauen auf den Leitern. Sie freuten sich sehr, daß sie ihnen Spaß machten, aber sie tanzten zuerst um der eigenen Freude willen (wenigstens mußte man das glauben); und man konnte sich ebensowenig der Verwunderung wie sie sich des Tanzens enthalten. Und wie tanzten sie!

      Nicht wie Ballettänzer. Durchaus nicht! Und nicht wie Madame Soundsos ausgezeichnete Elevinnen. Nicht im mindesten! Es war keine Quadrille, kein Menuett, nicht einmal eine einfache Chaine Anglaise. Es war weder nach dem alten, noch nach dem neuen Stil; nicht nach dem französischen, nicht nach dem englischen Stil; eher von ungefähr ein bißchen im spanischen Stil, der, wie man sagt, ein freier und frischer Stil ist und von den klirrenden Kastagnetten den Charakter einer wunderhübschen Improvisation bekommt. Wie sie unter den Obstbäumen tanzten, und den Garten hinauf und hinunter walzten, sich wechselseitig umeinander drehten, da schien sich die Wirkung ihrer lustigen Bewegung auch der sonnigen Umgebung mitzuteilen, wie ein immer größer werdender Kreis im Wasser. Ihr fliegendes Haar und ihr wehendes Gewand, das schmiegsame Gras zu ihren Füßen, die Zweige, die sich in dem Morgenwind bogen, die glänzenden Blätter und ihre behenden Schatten auf dem frischgrünen Boden – der leichte erquickende Wind, der das Land durchwehte und sich darauf freute, die fernen Windmühlen zu drehen – alles zwischen den beiden Mädchen und dem pflügenden Bauer auf jener fernen Anhöhe, wie er sich vom Himmel abhob, als stünde er am Ende der Welt – schien gleichfalls mitzutanzen.

      Endlich sank die jüngere der tanzenden Schwestern außer Atem und fröhlich lachend auf eine Bank, um sich zu erholen. Die andere lehnte sich an einen Baum ihr zur Seite. Die Spielleute, eine Harfe und eine Geige, schlossen mit einem vollen Akkord, als prahlten sie mit ihrer Ausgelassenheit, obwohl die Musik eigentlich so rasch gespielt worden und mit dem Tanzen so eifrig um die Wette dahingejagt war, daß sie es keine halbe Minute länger hätten aushalten können. Die äpfelpflückenden Frauen auf den Leitern spendeten Beifall und fingen dann wieder an eifrig zu arbeiten, wie Bienen.

      Um so tätiger vielleicht, weil ein älterer Herr, namens Doktor Jeddler, in eigener Person – es war Doktor Jeddlers Haus und Garten, müßt ihr wissen, und die beiden Mädchen waren Doktor Jeddlers Töchter – zum Nachsehen kam, um zu forschen, was eigentlich los sei und wer zum Donnerwetter auf seinem eigenen Grund und Boden vor dem Frühstück musiziere. Denn Doktor Jeddler war ein großer Gelehrter und nicht sehr musikalisch.

      »Musik und Tanz heute!« sagte der Doktor zu sich selbst und hielt verwundert inne. »Ich glaubte, sie hätten Respekt vor dem heutigen Tag. Es ist eben eine kuriose Welt. Aber Grace, aber Marion!« fügte er lauter hinzu, »ist die Welt heute morgen verdrehter als gewöhnlich?«

      »Wenn dies der Fall wäre, so sei heute nicht böse, Vater«, antwortete ihm die jüngere Tochter Marion. Dabei trat sie zu ihm und schaute zu ihm empor: »denn heute hat jemand Geburtstag.«

      »Jemand hat Geburtstag, mein Kind?« sagte der Doktor. »Weißt du nicht, daß alle Tage jemand Geburtstag hat? Weißt du nicht, wie viele Neulinge jede Minute das wunderliche und lächerliche Wesen – ha, ha, ha! man kann gar nicht ernsthaft davon reden – das man das Leben nennt, anfangen?«

      »Nein, Vater!«

      »Natürlich nicht: du bist ja auch eine Frau – beinahe«, sagte der Doktor. »Übrigens«, fügte er hinzu und blickte in das hübsche Gesicht, das sich dicht an das seine schmiegte, »glaube ich, es ist dein Geburtstag.«

      »Ach was! Wirklich, Vater?« rief seine Lieblingstochter und bot ihm die Lippen zum Kuß.

      »Da! Und meine Liebe dazu«, sagte der Doktor und küßte sie: »und möge der Tag oft, sehr oft, wiederkehren – welche Idee! Die Idee, eine häufige Wiederholung in einem solchen Possenspiel zu wünschen«, sagte der Doktor vor sich hin, »ist gut! Ha, ha, ha!«

      Doktor Jeddler war, wie der Leser schon weiß, ein großer Philosoph; und der Scherz seiner Philosophie war, die ganze Welt als einen ungeheuren Scherz anzusehen, als etwas zu Törichtes, als daß ein vernünftiger Mensch ernsthaft darüber nachdenken könnte. Dieser Fundamentalsatz war ursprünglich ein Ergebnis des Schlachtfeldes, auf dem er wohnte, was ihr nun bald erfahren sollt.

      »Wie seid ihr eigentlich zu der Musik gekommen?« fragte der Doktor. »Natürlich sind es Hühnerdiebe. Woher kommen die Musikanten?«

      »Alfred hat sie hierher gesandt«, gab seine Tochter Grace zur Antwort und steckte ein paar schlichte Blumen, mit denen sie ihrer Schwester Haar vorher geschmückt hatte und die durch den Tanz gelockert waren, wieder fest.

      »Also Alfred hat die Musik hergeschickt?« versetzte der Doktor.

      »Ja, er begegnete ihnen unterwegs, als er früh hineinschritt. Die Leute wandern zu Fuß umher und hatten heute in der Stadt übernachtet. Weil nun heute Marions Geburtstag ist, und er ihr eine Freude zu machen gedachte, so sandte er sie hierher mit einem Billett des Inhalts, daß sie, wenn ich es für gut fände, ihr ein Ständchen bringen sollten.«

      »Ja, ja«, sagte der Doktor flüchtig, »er fragt immer nach deiner Ansicht.«

      »Und da meine Ansicht dann günstig war«, sagte Grace fröhlich und hielt einen Augenblick inne, um den hübschen Kopf, den sie schmückte, zu bewundern; »und da Marion sehr lustig war und zu tanzen anfing, so tanzten wir zuletzt beide nach Alfreds Musik, bis wir keinen Atem mehr hatten. Die Musik aber gefiel uns um so mehr, weil Alfred sie geschickt hatte. Nicht wahr, liebe Marion?«

      »O, ich weiß nicht, Grace. Wie du mich mit dem Alfred peinigst!«

      »Ich sollte dich peinigen, wenn ich deinen Geliebten nenne!« sagte ihre Schwester.

      »Ich kann nur sagen, daß es mir ziemlich gleichgültig ist, ob er genannt wird oder nicht«, sagte die kleine Schnippische und zerpflückte ein paar Blumen, die sie in der Hand hielt, so daß sich die Blätter auf dem Boden verstreuten. »Ich habe es beinahe satt, von ihm


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