Weihnachtsgeschichten, Märchen & Sagen (Über 100 Titel in einem Buch - Illustrierte Ausgabe). Оскар Уайльд
Читать онлайн книгу.die Sache!), und wurde, als man ihn bei Nacht in einem Schuppen schlafend fand, in Gewahrsam genommen und den nächsten Morgen vor den Ratsherrn geführt. Der Ratsherr bemerkt (sehr richtig und vernünftig), daß er entschlossen sei, derlei Dinge auszurotten, und daß, wenn es mir angenehm wäre, es ihn glücklich machen werde, mit Will Fern anzufangen.«
»Auf jeden Fall muß er des Beispiels wegen bestraft werden«, erwiderte die Lady. »Letzten Winter, als ich das Häkeln und Stricken unter den Männern und Knaben des Dorfes als hübsche Abendbeschäftigung einführte und die Verse:
O, laßt uns unsre Arbeit üben,
Unsern Herrn und seine Freunde lieben.
Von unsern Rationen leben
Und nie hochmütig höher streben!
nach einer neuen Melodie in Musik setzen ließ, die sie während der Zeit singen sollten, griff derselbe Fern – ich sehe ihn noch – an seinen Hut und sagte:›Mylady, ich bitte ergebenst um Verzeihung, aber bin ich nicht etwas anderes als ein großes Mädchen?‹ Ich erwartete es natürlich; denn wer kann etwas anderes als Unverschämtheit und Undank von dieser Volksklasse erwarten? Indes gehört dies nicht hierher; stellen Sie aber ein warnendes Beispiel auf, Sir Joseph!«
»Hm!« hustete Sir Joseph. »Mr. Fish, wollen Sie so freundlich sein –«
Mr. Fish ergriff sogleich die Feder und schrieb nach dem Diktat Sir Josephs:
»Mein lieber Sir!
»Ich bin Ihnen sehr verbunden für Ihre Freundlichkeit in Sachen des Menschen Will Fern, von dem ich zu meinem Bedauern nichts Günstiges sagen kann. Ich hatte mich beständig in dem Lichte eines Freundes betrachtet, bin aber leider (ein gewöhnlicher Fall!) mit Undank und fortwährender Widersetzlichkeit gegen meine guten Absichten belohnt worden. Er ist ein unruhiger, widerspenstiger Kopf. Sein Charakter verträgt eine nähere Prüfung nicht. Nichts genügt ihm, um glücklich zu sein, wenn er es auch sein könnte. Unter diesen Umständen scheint mir, ich gestehe es, wenn er wieder vor Ihnen erscheint (und Sie teilen mir mit, daß er sich morgen zu stellen versprochen hat, und ich glaube, daß man sich hierin auf ihn verlassen kann), seine Einsperrung für kurze Zeit als Landstreicher ein der Gesellschaft geleisteter Dienst zu sein, und er würde ein heilsames Beispiel geben in einem Lande, wo sowohl wegen derjenigen, die unbekümmert um gute und böse Worte die Freunde und Väter der Armen sind, als in Rücksicht auf die allgemein verführten Klassen selber solche Beispiele sehr notwendig sind. Ich bin usf.«
»Es scheint«, bemerkte Sir Joseph, als er den Brief unterzeichnet hatte und Mr. Fish ihn siegelte, »als wäre dies von höherer Macht beschlossen, wirklich. Mit dem Schlusse des Jahres bringe ich meine Rechnung in Ordnung und schließe ab, selbst mit William Fern!«
Trotty, der schon lange wieder einen Rückfall bekommen hatte und sehr niedergeschlagen war, trat mit wehmütigem Gesicht einen Schritt vor, um den Brief in Empfang zu nehmen.
»Meinen Dank und meine Empfehlung!« sagte Sir Joseph. »Halt!«
»Halt!« rief das Echo, Mr. Fish.
»Ihr habt vielleicht«, sagte Sir Joseph wie ein Orakel, »gewisse Bemerkungen gehört, die ich zu machen veranlaßt war, bezüglich des feierlichen Zeitabschnittes, bei dem wir angelangt sind, und der Verpflichtung, die uns obliegt, unsere Angelegenheiten zu ordnen und auf alles gefaßt zu sein. Ihr habt gehört, daß ich mich nicht hinter meine hohe Stellung in der Gesellschaft verstecke, sondern daß Mr. Fish – dieser Herr hier – ein Scheckbuch neben sich liegen hat und sich gerade deshalb hier befindet, um es mir zu ermöglichen, ein völlig neues Blatt aufzuschlagen und den vor uns liegenden Zeitabschnitt mit einem reinen Konto anzutreten. Nun, mein Freund, könnt Ihr mir mit der Hand auf dem Herzen sagen, daß Ihr Euch ebenfalls auf das neue Jahr vorbereitet habt?«
»Ich fürchte, Sir«, stammelte Trotty, demütig zu ihm aufblickend, »daß ich noch ein wenig, ein klein wenig bei der Welt rückständig bin.«
»Rückständig bei der Welt!« wiederholte Sir Joseph Bowley mit schreckenerregender Bestimmtheit.
»Ich fürchte, Sir«, stotterte Trotty, »daß ich bei Mrs. Chickenstalker noch so zehn oder zwölf Schillinge schuldig bin.«
»Bei Mrs. Chickenstalker!« wiederholte Sir Joseph in dem fürchterlichen Ton von vorhin.
»Ein kleiner Laden mit allerlei Sachen, Sir!« entgegnete Toby. »Auch eine – eine Kleinigkeit auf die Miete. Eine sehr große Kleinigkeit. Wir sollten nichts schuldig sein, das weiß ich, aber wir sind von der Not dazu getrieben worden!«
Sir Joseph sah seine Gemahlin und Mr. Fish und Trotty einen nach dem andern zweimal rundherum an; dann machte er eine verzweifelte Bewegung mit beiden Händen auf einmal, als wenn er es ganz und gar aufgäbe.
»Wie kann ein Mann von dieser leichtsinnigen und widerspenstigen Rasse, ein alter Mann, ein Mann mit grauen Haaren dem neuen Jahre ins Gesicht sehen und seine Angelegenheiten in solcher Unordnung lassen; wie kann er sich am Abend in sein Bett legen und am Morgen wieder aufstehen, ohne – Nein!« sagte er, Trotty den Rücken zuwendend. »Da nehmt den Brief, nehmt den Brief!«
»Ich wünschte aufrichtig, es läge anders«, sagte Trotty, der sich bemühte, sich zu entschuldigen. »Wir sind sehr hart geprüft worden.«
Sir Joseph wiederholte noch immer: »Nehmt den Brief, nehmt den Brief!« und Mr. Fish sagte nicht bloß dasselbe, sondern unterstützte seine Aufforderung dadurch, daß er den Ausläufer nach der Tür schob, der nichts Eiligeres zu tun hatte, als seine Verbeugung zu machen und das Haus zu verlassen. Und auf der Straße drückte der arme Trotty seinen alten abgetragenen Hut in das Gesicht, um seinen Gram darüber zu verbergen, daß er nicht einmal Anteil am neuen Jahre bekommen sollte.
Er lüftete auch nicht seinen Hut, um nach dem Glockenturm zu schauen, als er nach der alten Kirche zurückkam. Er blieb dort gewohnheitsgemäß einen Augenblick stehen und wußte, daß es dunkel wurde und daß der Turm sich in unbestimmten schwachen Umrissen über ihn in die düstere Luft erhob. Er wußte auch, daß die Glocken sogleich läuten würden und daß sie um diese Zeit in seiner Phantasie wie Stimmen in den Wolken klängen. Aber deswegen beeilte er sich nur um so mehr, den Brief an den Ratsherrn abzugeben und den Glocken aus dem Wege zu gehen, ehe sie zu läuten anfingen. Denn er fürchtete, daß sie zu der Weise, die sie zuletzt gesungen, »Freund und Vater, Freund und Vater« hinzufügen würden.
Toby entledigte sich daher seines Auftrages mit möglichster Eile und trabte dann heimwärts. Doch teils infolge seines Ganges, der auf der Straße recht ungeschickt war, teils infolge seines Hutes, der die Sache nicht besser machte, stieß er in weniger als gar keiner Zeit gegen jemand an und taumelte auf den Fahrweg hinüber.
»Ich bitte um Entschuldigung!« sagte er, indem er in großer Verwirrung den Hut abriß und zwischen dem Hut und dem zerrissenen Futter steckenblieb, das seinen Kopf wie eine Art Bienenkorb gefaßt hielt. »Ich hoffe, ich habe Euch nicht verletzt.«
Was die Verletzung von irgend jemand betrifft, so war Toby nicht ein solcher Simson, daß er nicht viel wahrscheinlicher selbst verletzt worden wäre, und er war tatsächlich auf das Pflaster geflogen wie ein Federball! Allein er hatte eine solche Meinung von seiner Stärke, daß er in wirklicher Besorgnis für den andern schwebte und noch einmal fragte: »Ich hoffe, ich habe Euch keinen Schaden getan.«
Der Mann, gegen den er angerannt war, ein sonnenverbrannter kräftiger Landmann mit graugemischtem Haar und bärtigem Kinn, sah ihn einen Augenblick an, als wenn er argwöhnte, daß er scherzen wollte. Als er sich aber von seiner Ernsthaftigkeit überzeugt hatte, antwortete er: »Nein, Freund, Ihr habt mir keinen Schaden getan.« »Auch dem Kinde nicht, hoffe ich?« sagte Trotty.
»Auch dem Kinde nicht«, entgegnete der Mann. »Ich danke Euch bestens.«
Als er das sagte, blickte er nach einem kleinen Mädchen, das in seinen Armen schlief, und dessen Gesicht er mit dem langen Zipfel des ärmlichen Tuches bedeckte, das er um den Hals trug, und ging langsam weiter.
Der Ton, in dem er sagte: Ich danke Euch bestens, durchdrang Trottys Herz. Der Mann war so matt und müde und so schmutzig vom Wandern