Heimatkinder Staffel 2 – Heimatroman. Kathrin Singer
Читать онлайн книгу.am nächsten Wochenende kam, hatte die Polizei noch immer keine Spur von dem Mann gefunden, der im Zug sein Kind ausgesetzt hatte. Längst nahm man an, dass er Eugen von Herwig einen falschen Namen genannt hatte. Nach einem Heinz Schmidt zu forschen, war sehr schwer.
Mathias hörte erst auf dem Birkenhof, was Immas Vater auf seiner Reise nach Bachhausen widerfahren war. Immer wieder schüttelte er den Kopf – nicht nur darüber, dass plötzlich auf dem Birkenhof ein kleines Kind im Mittelpunkt stand, sondern auch über Eugen von Herwigs Veränderung.
Aber die kleine Katrin war nicht der einzige Zuwachs. Am Sonntag kam das erste Fohlen zur Welt.
Selten hatte man Imma so glücklich gesehen. Immer wieder jubelte sie: »Wir haben ein Fohlen im Birkenhof!«
»Wie willst du unser Fohlen taufen, Imma?«, fragte Mathias.
»Ich bin für Pascha«, schlug Karl vor.
Sie zögerte einige Sekunden, dann umarmte sie Karl. »Du sollst deinen Willen habe, Karl. Ohne deine Hilfe hier hätten wir kein Fohlen.«
»Gefällt dir der Name Pascha wenigstens?«, fragte Karl.
»Ja, er gefällt mir. Und Mathias sicher auch.«
»Der Name muss euch auch gefallen. In meiner Jugend gab es ein Pferd, das Pascha hieß. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was das …«
Imma flüchtete zu Mathias. »Wir müssen den ganzen Tag auf der Koppel bleiben, wenn Karl wieder von einem der Wunderpferde erzählt, die er gekannt hat.« Sie lachte. »Das darfst du am Abend tun, Karl, da hören wir dir sehr gern zu, aber jetzt haben Mathias und ich uns viel zu erzählen.«
»Ich gehe schon«, maulte Karl und trollte sich.
Vergessen waren die Tage, die Imma ohne Mathias hatte sein müssen. Nun lag sie in seinen Armen, spürte seine Zärtlichkeit und konnte mit ihm gemeinsam von der Zukunft träumen. Von einer sehr nahen Zukunft, denn sobald Mathias sein letztes Examen abgelegt hatte, wollten sie heiraten.
*
Die kleine Katrin wurde zum Anziehungspunkt für die sechsjährige Petra Pleyer. Sie wohnte mit ihrer Mutter in der Schlehdorn-Mühle, ein gutes Stück vom Birkenhof entfernt.
Die kleine Petra mit den dicken braunen Zöpfen und den blauen Augen war ein liebes Mädchen. Vor einem Jahr hatte sie ihren Vater verloren. Sie hing sehr an Imma und durfte sie oft besuchen. Jetzt freute sie sich, dass sie mit Katrin spielen durfte.
Eugen von Herwig beobachtete zuerst etwas skeptisch, wie Petra mit Katrin umging. Er war immer in Sorge, dass seinem Schützling etwas passieren könnte. Aber er konnte beruhigt sein, Petra behandelte die kleine Katrin sehr behutsam.
Auch heute war Petra zu Besuch auf dem Birkenhof. Imma brachte Kakao und frisch gebackenen Kuchen. Sie war froh darüber, dass sich Petra mit Katrin beschäftigte. Der Vater übertrieb seine Fürsorge oft.
Petra erzählte, wie sie mit ihrer Mutter lebte. Sie mussten sehr sparen. Plötzlich wurde Petra traurig. »Mutti sagt, wenn die Bauern weiter zu den großen Mühlen fahren, werden wir meinen Simmerl verkaufen müssen.«
Karl wusste, wer Simmerl war. Petra hatte ihm gegenüber oft von ihrem Haflinger gesprochen, der seit Langem zur Schlehdorn-Mühle gehörte. Er war schon recht betagt.
Deshalb meinte Karl jetzt: »Für Simmerl bekommt deine Mutter bestimmt nicht mehr viel Geld, Petra. Dann behaltet ihn lieber.«
»Mutti denkt ja auch nicht, dass sie viel Geld für Simmerl kriegt, sie hat nur Angst, dass wir den Winter über kein Futter mehr für ihn haben werden.« Petras Gesichtchen war sehr ernst. »Mein Vati hat die Mühle ausgebaut. Dann ist er gestorben und konnte uns nicht mehr helfen, die Schulden abzuzahlen. Aber Mutti schafft das schon. Wir müssten nur mehr Arbeit haben. Die Bauern fahren lieber in die großen Mühlen, weil sie Mutti nicht zutrauen, dass sie die Arbeit so gut macht wie mein Vati.«
Imma hatte Ingrid Pleyer bei einem ihrer Ausritte kennengelernt und sich ein Weilchen mit ihr unterhalten. Sie bewunderte die achtundzwanzigjährige Frau, die aus einer Kleinstadt stammte und ihrem Mann zuliebe alles gelernt hatte, um ihm helfen zu können. Nun musste sie die Mühle allein weiterführen. Wie schwer ihr das gemacht wurde, hatte Petra nun verraten.
Karl und Imma sprachen später noch lange über das, was sie von dem Mädchen aus der Mühle gehört hatten. Noch am selben Abend ritt Imma zu Herma Langen.
*
Richard Göldner, dem Verwalter des Gutes Bodenwerder im Taunus, fiel seit Tagen ein jüngerer Mann auf, der um das Gut schlich. Meistens verschwand er schnell, wenn er entdeckt wurde.
Obwohl der Verwalter glaubte, dass dieser Mann sicher Grund hatte, anderen auszuweichen, war er doch nicht in allzu großer Angst. Dieser Mann sah weder heruntergekommen noch ungepflegt aus. Freilich durfte man darauf heutzutage nicht allzu viel geben. Viele Ganoven zeigten sich in sehr bürgerlicher Aufmachung.
Heute kam Richard Göldner erst spät von den Feldern zurück, denn er musste sein Pferd führen, weil es lahmte.
Knapp vor der ersten Scheune, die in der Nähe des Verwalterhauses stand, verhielt er den Schritt.
Da lehnte der Fremde doch wieder, da drüben an einem großen Holzstoß!
Kurz entschlossen ging der Verwalter auf den Mann zu und rief: »Laufen Sie nicht weg!«
Flüchtig schien es so, als wolle der Mann verschwinden, aber dann kam er dem Verwalter sogar einige Schritte entgegen und sagte etwas verlegen: »Guten Abend.«
»Guten Abend. Ich meine, wir sehen einander hier nicht zum ersten Mal.« Die Stimme Richard Göldners klang unwillig. »Was schleichen Sie eigentlich immer um das Gut herum?«
»Vor mir brauchen Sie keine Angst zu haben«, erwiderte der Fremde und strich sich über das braune Haar. Er war groß und schlank und sah aus der Nähe erst recht nicht danach aus, als führe er etwas Böses im Schilde. »Es mag sein, dass ich Ihnen schon aufgefallen bin. Ich wohne in einem Gasthaus im Dorf.«
»Aber Sie sind mir jedes Mal ausgewichen, sonst wäre ich gar nicht auf Sie aufmerksam geworden. Was interessiert Sie bei uns so?«, fragte der Verwalter.
»Ich stamme aus der Stadt, ein Gutsbetrieb ist für mich etwas ganz Neues. Und Bodenwerder ist ein sehr schönes Gut«
Richard Göldner beruhigte sich vollends. Er lächelte. »Ja, ein schönes Gut, auf dem es viel Arbeit gibt. Da schauen Sie mich an. Ich darf mich Verwalter nennen, aber ich muss tüchtig mit zupacken, weil es uns an Arbeitskräften mangelt. Wie wäre es, hätten Sie nicht Lust, mal ein paar Tage bei uns zu arbeiten, wenn Sie das Landleben gar so sehr interessiert?«
»Mit meinen Leistungen wären Sie sicher nicht zufrieden. Ich erwähnte ja schon, dass ich aus der Stadt stamme. Dazu bin ich noch Ingenieur.« Als der Fremde das gesagt hatte, schien er zu erschrecken. Er sprach schnell weiter. »Ich habe gehört, dass Bodenwerder einem Herrn von Herwig gehört. Stimmt das?« Er wartete gespannt auf die Antwort.
Der Verwalter starrte ihn verblüfft an. »Bodenwerder gehört dem Ehepaar Ledebur. Das ist im weiten Umkreis bekannt.«
Jetzt wurde das Gesicht Richard Göldners wieder misstrauisch. »Wenn Sie im Dorf in einem Gasthof wohnen, können Sie den Unsinn nicht gehört haben, dass Herr von Herwig der Besitzer von Bodenwerder ist.«
»Es wurde so viel von einem Herrn von Herwig erzählt, da dachte ich, das sei der Besitzer von Bodenwerder. Ich habe Herrn von Herwig auch mal gesehen.«
Jetzt lachte Richard Göldner. »Unseren stattlichen Herrn von Herwig. Ja, er ist eine eindrucksvolle Erscheinung. Leider ist er verarmt und wohnt nur hier bei seinen Verwandten. Das heißt, im Augenblick wohnt er nicht hier. Er ist bei seiner Tochter. Sie hat in Bayern einen kleinen Hof.«
Plötzlich erklang eine Kinderstimme: »Vati, hallo, Vati, wo bleibst du denn so lange?« Das Töchterchen des Verwalters kam ihrem Vater entgegengelaufen.
»Sie sehen, ich werde erwartet. Es ist heute