Der eiserne Gustav. Hans Fallada

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Der eiserne Gustav - Hans  Fallada


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»Das gäbe was Rechtes! Nein, geh voran, ich komme gleich nach.«

      »Jawohl, Vater«, sagt Otto gehorsam und geht aus der Stube.

      Der Vater sieht der schwerfälligen Gestalt nach, dann wendet er den Blick und sieht wieder auf Erich, der jetzt aufgestanden ist und blaß, mit verzogenem Gesicht, auf der anderen Bettseite steht.

      »Und was hast du zu sagen?« fragt er und versucht, sich wieder in Zorn zu bringen. »Mach schnell – du hörst, ich habe zu tun. Ich muß Geld verdienen für meinen Herrn Sohn zum Stehlen, Versaufen, Verhuren …«

      Der Sohn sieht den Vater von unten her an, seine Lippe zittert, als wollte er weinen. Aber er weint nicht, und jetzt, da er aus dem Griff des Vaters ist, das Bett als Deckung zwischen ihnen steht, spricht er auch. »Ich will auch was vom Leben haben …«, sagt er.

      »Häh? Willst du das?« ruft der Vater zornig. »Und was gibst du dem Leben? Wenn man was haben will, muß man auch was geben!«

      Er sieht den Sohn an. Dann sagt er verächtlich: »Aber du bist ja ein Dieb, du stiehlst …«

      »Ich will so nicht leben«, sagt der Sohn mürrisch und streicht die Haare aus der schmerzenden Stirn. »Immer nur Penne und Schularbeiten, und wenn ich eine halbe Stunde fort will, habe ich dich zu fragen, und du lauerst mit der Uhr, daß aus dreißig Minuten auch keine einunddreißig werden.«

      »Kannst du so nicht leben? Als ich so alt war wie du, war ich Knecht beim Bauern. Ich habe morgens um drei aus dem Bett gemußt, und wenn ich mich Klock neun zur Nacht hinlegte, fühlte ich keinen Knochen mehr, so tot war ich! Du kannst nicht leben mit fünf Schulstunden, mit heilen Kleidern und gutem Essen – so kannst du nicht leben?!«

      »Aber ich bin kein Bauernknecht! Ein Schüler lebt nicht wie ein Knecht! Und die Zeiten sind auch anders geworden, Vater!«

      »Ja, die sind freilich anders geworden! Es sind Zeiten geworden ohne Respekt und Ehre! Vor dem Schloß haben die Roten spektakelt und ihr Recht vom Kaiser gefordert. Ihr Recht! Du bist wohl auch so ein Roter geworden und willst mir dein Recht auf Nachschlüssel und gestohlenes Geld beweisen?!«

      »Wenn du mir nie einen Groschen in die Hand gibst, Vater!« antwortete der Sohn trotzig. »Jawohl habe ich ein Recht, so zu leben wie die anderen Gymnasiasten. Du hast mich in die Welt gesetzt und willst, daß ich studiere … Dann gib mir auch, was dazu gehört! Aber du willst bloß tyrannisieren, du bist nur glücklich, wenn alle vor dir zittern. Du bist genau wie dein Kaiser: Wer nicht pariert, wird über den Haufen geschossen!«

      »Erich!« rief der Vater tödlich verletzt. »Wie kannst du das sagen?! Will ich nicht euer Bestes? – Was redest du überhaupt?« fragte er, sich besinnend, ruhiger. »Du hast mir meinen Schlüssel gestohlen und heimlich einen falschen machen lassen, du hast mir mein Geld gestohlen – und das willst du verteidigen?! Da fällst du nicht auf die Knie und bereust und bittest? Ja, bist du denn ganz wahnsinnig geworden: Der Sohn bestiehlt den Vater, und nicht der Sohn, nein, der Vater soll schuld sein …?«

      Er sah sich hilflos in der Stube um. In seinem Bett der Heinz war nun doch von dem Lärm aus seinem festen Jungenschlaf erwacht, er saß aufrecht und sah den Vater an. Mit seinem altklugen, schnoddrigen Berliner Ton meinte er: »Reg dich bloß nich uff, Vater. Der Erich is ja nich normal, den haben se mit der Muffe gebufft, det weiß die janze Penne. Der is ja rot …!«

      »Rot!« schrie der Vater. »Mein Sohn rot! Ein Hackendahl Sozialdemokrat! Ja, weißt du denn nicht, daß der Kaiser gesagt hat, alle Sozialdemokraten sind Vaterlandsfeinde, und er zerschmettert sie!«

      »Wenn die deinen Wilhelm bloß nicht zerschmettern!« sagte der Sohn böse. »Der kann ja bloß mit seinem Säbel rasseln!«

      »Vater! Vater!« rief Heinz. »Laß Erich doch quasseln, der is ja verrückt!«

      »Das will ich mal sehen!« schrie der Vater und drang über das Bett vor. »Ob mein eigener Sohn …«

      Er griff nach ihm, der Sohn wich aus …

      »Friedlich, immer friedlich!« rief Heinz in seinem Bett …

      7 Zank der Schwestern

      »Hört euch bloß diesen Lärm an!« klagte die Mutter und schob sich in das Zimmer der Mädchen. »Und das schon am frühen Morgen! Vater kann doch nie Ruhe halten – er denkt immer, er ist noch in seiner Kaserne …«

      Eva saß aufrecht in ihrem Bett, mit interessiertem, fast vergnügtem Gesicht lauschte sie auf den Lärm. Sophie aber hatte die Decke hoch über die Schultern gezogen und tat, als höre sie nichts, nicht einmal die klagende Mutter.

      »Sophie!« sagte die Mutter flehend zu ihr. »Auf dich hört Vater doch am ehesten. Geh mal hin und beruhige ihn – und horch, was eigentlich los ist. Was hat er bloß mit Erich – er hat sich schon im Schlaf mit ihm gestritten! Sophie! Bitte!!«

      »Ich will nichts mit eurem Streit und Unfrieden zu tun haben!« rief Schwester Sophie, setzte sich auf und sah mit blassem, zuckendem Gesicht die Mutter an. »Oh, ihr quält mich ja so! Ich halte das nicht mehr aus! Immer Streit und Klatsch – ja, wofür lebt man denn?«

      »Fürs Kirchegehen doch!« rief Eva spöttisch. »Für den Herrn Pastor Rienäcker. Gott, was hat der Mann für einen schönen Bart! Da kann es einem ja gar nicht langweilig werden in der Kirche …«

      »Mit dir rede ich überhaupt nicht!« sagte die Ältere zornig. »Oh, wie gemein bist du! Du denkst, weil du … Aber ich will dir nichts Böses nachreden, Gott verzeih mir die Sünde, daß ich es mache wie du …«

      »Streitet euch doch bloß nicht, Kinder!« bat die Mutter jammernd. »Wir könnten uns doch alle so schön vertragen. Wir könnten unser gemütliches Leben führen, aber nichts, immer nur Streit und Zank …«

      »Nein, Mutter«, sagte Sophie entschlossen. »Das ist es ja gar nicht, das gemütliche Leben, wie du es dir denkst, alle Sonntage nach dem Eierhäuschen oder nach Hundekehle. Ihr denkt, das ist schön. Aber das findet ihr bloß schön, wir Jungen, und darin muß ich Evchen und Erich recht geben, wir finden schön anders …«

      »Danke, Fräulein Tugend«, sagte Eva spöttisch. »Ich brauch deine Hilfe nicht. Ich kann allein Mutter sagen, was ich will. Und so wie Erich, erst um ein Uhr nachts betrunken nach Haus kommen und Vater sein Geld klauen …«

      »O Gott, o Gott!« jammerte die Mutter. »Das wird Erich doch nicht getan haben! Wenn Vater das erfährt, schlägt er ihn tot! Er kann ja von mir Geld haben …«

      »Aber, Mutter«, rief Sophie entsetzt, »hinter Vaters Rücken darfst du Erich doch kein Geld geben. Ihr müßt doch zusammenhalten als Eltern, ihr seid doch ein Ehepaar …«

      »Wenn ich solchen Quatsch bloß höre!« sagte Eva verächtlich. »Das ist auch solches Pfaffengeschwätz! Lieber soll der Erich Geld klauen …«

      »Wozu braucht er denn Geld?« redete Sophie hitziger dagegen.

      »Aber ich will dir sagen, was mit dir ist, Sophie!« fuhr Eva böse fort. »Du hast dich hier von allem gedrückt. Du läufst lieber mit ’nem Unterschieber von Erster-Klasse-Patienten, als daß du Vaters Nachtpott leer machst! Da kommst du dir wer weiß wie fein vor, da bildest du dir ein, der liebe Gott gibt dir ’ne gute Zensur, und du kriegst den ersten Platz im Himmel …«

      »Mutter!« rief Sophie weinend. »Laß sie nicht so gemein reden, ich halte das nicht aus …«

      »Ja, die Wahrheit zu hören, dafür bist du zu fein, aber uns die Wahrheit zu sagen, dafür bist du nicht zu fein!«

      »Und ich mache es nicht mehr mit!« rief Sophie entschlossen und wischte sich die Tränen mit dem Nachthemdärmel vom Gesicht. »Ich habe es nicht nötig. Heute noch spreche ich mit der Frau Oberin, und heute abend noch ziehe ich mit Sack und Pack in das Mutterhaus!«

      »Sophie!« rief die Mutter flehend. »Tu bloß das nicht! Vater erlaubt es nie! Du bist doch unsere Tochter, und wir sind eine Familie und gehören zusammen …«

      »Jawohl, zum Streiten gehören wir zusammen!« sagte Eva zornig. »Sophie hat ganz recht, sie soll machen, daß sie wegkommt! Und ich gehe auch bald. Jeder muß sehen, wo


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