Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ðицше
Читать онлайн книгу.auf Widersprüche. Giebt es absolute Bewegung, so giebt es keinen Raum: giebt es absoluten Raum, so giebt es keine Bewegung; giebt es ein absolutes Sein, so giebt es keine Vielheit. Giebt es eine absolute Vielheit, so giebt es keine Einheit. Da sollte Einem doch klar werden, wie wenig wir mit solchen Begriffen das Herz der Dinge berühren oder den Knoten der Realität aufknüpfen: während Parmenides und Zeno umgekehrt an der Wahrheit und Allgültigkeit der Begriffe festhalten und die anschauliche Welt als das Gegenstück der wahren und allgültigen Begriffe, als eine Objektivation des Unlogischen und Widerspruchsvollen verwerfen. Sie gehen bei allen ihren Beweisen von der gänzlich unbeweisbaren, ja unwahrscheinlichen Voraussetzung aus, daß wir in jenem Begriffsvermögen das entscheidende höchste Kriterium über Sein und Nichtsein, das heißt über die objektive Realität und ihr Gegentheil, besitzen: jene Begriffe sollen sich nicht an der Wirklichkeit bewähren und corrigiren, wie sie doch aus ihr thatsächlich abgeleitet sind, sondern sollen im Gegentheil die Wirklichkeit messen und richten, und, im Falle eines Widerspruchs mit dem Logischen, sogar verdammen. Um ihnen diese richterlichen Befugnisse einräumen zu können, mußte Parmenides ihnen dasselbe Sein zuschreiben, das er überhaupt allein als Sein gelten ließ: Denken und jener eine ungewordene vollkommne Ball des Seienden waren jetzt nicht mehr als zwei verschiedne Arten des Seins zu fassen, da es keine Zweiheit des Seins geben durfte. So war der überverwegene Einfall nothwendig geworden, Denken und Sein für identisch zu erklären; keine Form der Anschaulichkeit, kein Symbol, kein Gleichniß konnte hier zu Hülfe kommen; der Einfall war völlig unvorstellbar, aber er war nothwendig, ja er feierte in dem Mangel an jeder Versinnlichungs-Möglichkeit den höchsten Triumph über die Welt und die Forderungen der Sinne. Das Denken und jenes knollig-kugelrunde, durch und durch todt-massive und starr-unbewegliche Sein müssen, nach dem parmenideischen Imperativ, zum Schrecken aller Phantasie, in Eins zusammenfallen und ganz und gar dasselbe sein. Mag diese Identität den Sinnen widersprechen! Gerade dies ist die Bürgschaft, daß sie nicht von den Sinnen entlehnt ist.
13.
Übrigens ließ sich gegen Parmenides auch ein kräftiges Paar von argumenta ad hominem oder ex concessis vorführen, durch welche zwar nicht die Wahrheit selbst an’s Licht gebracht werden konnte, aber doch die Unwahrheit jener absoluten Trennung von Sinnenwelt und Begriffswelt und der Identität von Sein und Denken. Einmal: wenn das Denken der Vernunft in Begriffen real ist, so muß auch die Vielheit und die Bewegung Realität haben, denn das vernünftige Denken ist bewegt, und zwar ist dies eine Bewegung von Begriff zu Begriff, also innerhalb einer Mehrheit von Realitäten. Dagegen giebt es keine Ausflucht, es ist ganz unmöglich, das Denken als ein starres Verharren, als ein ewig unbewegtes Sich-selbst-Denken der Einheit zu bezeichnen. Zweitens: wenn von den Sinnen nur Trug und Schein kommt, und es in Wahrheit nur die reale Identität von Sein und Denken giebt, was sind dann die Sinne selbst? Jedenfalls doch auch nur Schein: da sie mit dem Denken und ihr Produkt, die Sinnenwelt, mit dem Sein nicht zusammenfällt. Wenn aber die Sinne selbst Schein sind, wem sind sie dann Schein? Wie können sie, als unreal, doch noch täuschen? Das Nichtseiende kann nicht einmal betrügen. Es bleibt also das Woher? der Täuschung und des Scheins ein Räthsel, ja ein Widerspruch. Wir nennen diese argumenta ad hominem den Einwand von der bewegten Vernunft und den von dem Ursprung des Scheins. Aus dem ersten würde die Realität der Bewegung und der Vielheit, aus dem zweiten die Unmöglichkeit des parmenideischen Scheines folgen; vorausgesetzt, daß die Hauptlehre des Parmenides, über das Sein, als begründet angenommen ist. Diese Hauptlehre aber heißt nur: das Seiende allein hat ein Sein, das Nichtseiende ist nicht. Ist die Bewegung aber ein solches Sein, so gilt von ihr, was von dem Seienden überhaupt und in jedem Falle gilt: sie ist ungeworden, ewig, unzerstörbar, ohne Zunahme und Abnahme. Wird aber der Schein aus dieser Welt weggeleugnet, mit Hülfe jener Frage nach dem Woher? des Scheins, wird die Bühne des sogenannten Werdens, der Veränderung, unser vielgestaltetes, rastloses, buntes und reiches Dasein, vor der parmenideischen Verwerfung geschützt, so ist es nöthig, diese Welt des Wechsels und der Veränderung als eine Summe von solchen wahrhaft seienden, in alle Ewigkeit zugleich existirenden Wesenheiten zu charakterisiren. Von einer Veränderung in strengem Sinne, von einem Werden, ist natürlich auch bei dieser Annahme durchaus nicht zu reden. Aber jetzt hat die Vielheit ein wahres Sein, alle Qualitäten haben ein wahres Sein, die Bewegung nicht minder: und von jedem Moment dieser Welt, ob auch diese beliebig gewählten Momente um Jahrtausende auseinander liegen, müßte gesagt werden können: alle in ihr vorhandenen wahren Wesenheiten sind sammt und sonders zugleich da, unverändert, unvermindert, ohne Zuwachs, ohne Abnahme. Ein Jahrtausend später ist sie eben dieselbe, Nichts hat sich verwandelt. Sieht trotzdem die Welt das eine Mal ganz anders aus, als das andre Mal, so ist dies keine Täuschung, Nichts nur Scheinbares, sondern Folge der ewigen Bewegung. Das wahrhaft Seiende ist bald so, bald so bewegt, aneinander auseinander, nach oben nach unten, in einander durch einander.
14.
Mit dieser Vorstellung haben wir bereits einen Schritt in den Bezirk der Lehre des Anaxagoras gethan. Von ihm werden beide Einwände, der vom bewegten Denken und der von dem Woher? des Scheins, in voller Kraft gegen Parmenides erhoben: aber in dem Hauptsatze hat Parmenides ihn sowie alle jüngeren Philosophen und Naturforscher unterjocht. Sie Alle leugnen die Möglichkeit des Werdens und Vergehens, wie es sich der Sinn des Volks denkt und wie es Anaximander und Heraklit mit tieferer Besonnenheit, und doch noch unbesonnen, angenommen hatten. Ein solches mythologisches Entstehen aus dem Nichts, Verschwinden in das Nichts, eine solche willkürliche Veränderung des Nichts in das Etwas, ein solches beliebiges Vertauschen, Ausziehen und Anziehen der Qualitäten galt von nun an als sinnlos: aber ebenfalls und aus den gleichen Gründen ein Entstehen des Vielen aus dem Einen, der mannigfachen Qualitäten aus der einen Urqualität, kurz die Ableitung der Welt aus einem Urstoffe, in der Manier des Thales, oder des Heraklit. Jetzt war vielmehr das eigentliche Problem aufgestellt, die Lehre vom ungewordnen und unvergänglichen Sein auf diese vorhandene Welt zu übertragen, ohne zur Theorie des Scheins und der Täuschung durch die Sinne eine Zuflucht zu nehmen. Wenn die empirische Welt aber nicht Schein sein soll, wenn die Dinge nicht aus dem Nichts und ebensowenig aus dem einen Etwas abzuleiten sind, so müssen diese Dinge selbst ein wahrhaftes Sein enthalten, ihr Stoff und Inhalt muß unbedingt real sein, und alle Veränderung kann sich nur auf die Form, das heißt auf die Stellung, Ordnung, Gruppirung, Mischung,