Gesammelte Werke. Фридрих Вильгельм Ницше

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Gesammelte Werke - Фридрих Вильгельм Ницше


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Vor­ein­ge­nom­me­ne. – Je­mand sag­te: ich bin ge­gen mich vor­ein­ge­nom­men, von Kin­des­bei­nen an: des­halb fin­de ich in je­dem Ta­del et­was Wahr­heit und in je­dem Lobe et­was Dumm­heit. Das Lob wird von mir ge­wöhn­lich zu ge­ring und der Ta­del zu hoch ge­schätzt.

      Weg zur Gleich­heit. – Ei­ni­ge Stun­den Berg­stei­gens ma­chen aus ei­nem Schuft und ei­nem Hei­li­gen zwei ziem­lich glei­che Ge­schöp­fe. Die Er­mü­dung ist der kür­zes­te Weg zur Gleich­heit und Brü­der­lich­keit – und die Frei­heit wird end­lich durch den Schlaf hin­zu­ge­ge­ben.

      Ver­leum­dung. – Kommt man ei­ner ei­gent­lich in­fa­men Ver­däch­ti­gung auf die Spur, so su­che man ih­ren Ur­sprung nie bei sei­nen ehr­li­chen und ein­fa­chen Fein- den; denn die­se wür­den, wenn sie so et­was über uns er­fän­den, als Fein­de kei­nen Glau­ben fin­den. Aber jene, de­nen wir eine Zeit­lang am meis­ten genützt ha­ben, wel­che aber, aus ir­gend ei­nem Grun­de, im Ge­hei­men si­cher dar­über sein dür­fen, nichts mehr von uns zu er­lan­gen, – sol­che sind im­stan­de, die In­fa­mie ins Rol­len zu brin­gen: sie fin­den Glau­ben, ein­mal weil man an­nimmt, daß sie nichts er­fin­den wür­den, was ih­nen sel­ber Scha­den brin­gen könn­te; so­dann weil sie uns nä­her ken­nen­ge­lernt ha­ben. – Zum Tros­te mag sich der so schlimm ver­leum­de­te sa­gen: Ver­leum­dun­gen sind Krank­hei­ten an­de­rer, die an dei­nem Lei­be aus­bre­chen; sie be­wei­sen, daß die Ge­sell­schaft ein (mo­ra­li­scher) Kör­per ist, so daß du an dir die Kur vor­neh­men kannst, die den An­de­ren nüt­zen soll.

      Das Kin­der-Him­mel­reich. – Das Glück des Kin­des ist eben­so sehr ein My­thus wie das Glück der Hy­per­bo­re­er, von dem die Grie­chen er­zähl­ten. Wenn das Glück über­haupt auf Er­den wohnt, mein­ten die­se, dann ge­wiß mög­lichst weit von uns, etwa dort am Ran­de der Erde. Eben­so den­ken die äl­te­ren Men­schen: wenn der Mensch über­haupt glück­lich sein kann, dann ge­wiß mög­lichst fern von un­se­rem Al­ter, an den Gren­zen und An­fän­gen des Le­bens. Für man­chen Men­schen ist der An­blick der Kin­der, durch den Schlei­er die­ses My­thus hin­durch, das größ­te Glück, des­sen er teil­haf­tig wer­den kann; er geht sel­ber bis in den Vor­hof des Him­mel­reichs, wenn er sagt "las­set die Kind­lein zu mir kom­men, denn ih­rer ist das Him­mel­reich". – Der My­thus vom Kin­der-Him­mel­reich ist über­all ir­gend­wie tä­tig, wo es in der mo­der­nen Welt et­was von Sen­ti­men­ta­li­tät gibt.

      Die Un­ge­dul­di­gen. – Gera­de der Wer­den­de will das Wer­den­de nicht: er ist zu un­ge­dul­dig da­für. Der Jüng­ling will nicht war­ten, bis, nach lan­gen Stu­di­en, Lei­den und Ent­beh­run­gen, sein Ge­mäl­de von Men­schen und Din­gen voll wer­de: so nimmt er ein an­de­res, das fer­tig da­steht und ihm an­ge­bo­ten wird, auf Treu und Glau­ben an, als müs­se es ihm die Li­ni­en und Far­ben sei­nes Ge­mäl­des vor­weg ge­ben, er wirft sich ei­nem Phi­lo­so­phen, ei­nem Dich­ter ans Herz und muß nun eine lan­ge Zeit Fron­diens­te tun und sich sel­ber ver­leug­nen. Vie­les lernt er da­bei: aber häu­fig ver­gißt ein Jüng­ling das Ler­nens- und Er­kennt­nis­wer­tes­te dar­über – sich sel­ber; er bleibt zeit­le­bens ein Par­tei­gän­ger. Ach, es ist viel Lan­ge­wei­le zu über­win­den, viel Schweiß nö­tig, bis man sei­ne Far­ben, sei­nen Pin­sel, sei­ne Lein­wand ge­fun­den hat! – Und dann ist man noch lan­ge nicht Meis­ter sei­ner Le­bens­kunst – aber we­nigs­tens Herr in der ei­ge­nen Werk­statt.

      Es gibt kei­ne Er­zie­her. – Nur von Selbst-Er­zie­hung sol­le man als Den­ker re­den. Die Ju­gend-Er­zie­hung durch an­de­re ist ent­we­der ein Ex­pe­ri­ment, an ei­nem noch Uner­kann­ten, Uner­kenn­ba­ren voll­zo­gen, oder eine grund­sätz­li­che Ni­vel­lie­rung, um das neue We­sen, wel­ches es auch sei, den Ge­wohn­hei­ten und Sit­ten, wel­che herr­schen, ge­mäß zu ma­chen: in bei­den Fäl­len also et­was, das des Den­kers un­wür­dig ist, das Werk der El­tern und Leh­rer, wel­che ei­ner der ver­we­ge­nen Ehr­li­chen nos en­ne­mis na­tu­rels ge­nannt hat. – Ei­nes Ta­ges, wenn man längst, nach der Mei­nung der Welt, er­zo­gen ist, ent- deck­t man sich sel­ber: da be­ginnt die Auf­ga­be des Den­kers; jetzt ist es Zeit, ihn zu Hil­fe zu ru­fen – nicht als einen Er­zie­her, son­dern als einen Selbst-Er­zo­ge­nen, der Er­fah­rung hat.

      Mit­lei­den mit der Ju­gend. – Es jam­mert uns, wenn wir hö­ren, daß ei­nem Jüng­lin­ge schon die Zäh­ne aus­bre­chen, ei­nem an­dern die Au­gen er­blin­den. Wüß­ten wir al­les Un­wi­der­ruf­li­che und Hoff­nungs­lo­se, das in sei­nem gan­zen We­sen steckt, wie groß wür­de erst der Jam­mer sein! – Wes­halb lei­den wir hier­bei ei­gent­lich? Weil die Ju­gend fort­füh­ren soll, was wir un­ter­nom­men ha­ben, und je­der Ab- und An­bruch ih­rer Kraft un­se­rem Wer­ke, das in ihre Hän­de fällt, zum Scha­den ge­rei­chen will. Es ist der Jam­mer über die schlech­te Ga­ran­tie un­se­rer Uns­terb­lich­keit: oder wenn wir uns nur als Voll­stre­cker der Mensch­heits-Mis­si­on füh­len, der Jam­mer dar­über, daß die­se Mis­si­on in schwä­che­re Hän­de, als die uns­ri­gen sind, über­ge­hen muß.

      Die Le­bensal­ter. – Die Ver­glei­chung der vier Jah­res­zei­ten mit den vier Le­bensal­tern ist eine ehr­wür­di­ge Al­bern­heit. We­der die ers­ten 20, noch die letz­ten 20 Jah­re des Le­bens ent­spre­chen ei­ner Jah­res­zeit: vor­aus­ge­setzt, daß man sich bei der Ver­glei­chung nicht mit dem Weiß des Haa­res und Schnees und mit ähn­li­chen Far­ben­spie­len be­gnügt. Jene ers­ten zwan­zig Jah­re sind eine Vor­be­rei­tung auf das Le­ben über­haupt, auf das gan­ze Le­bens­jahr, als eine Art lan­gen Neu­jahrs­ta­ges; und die letz­ten zwan­zig über­schau­en, ver­in­ner­li­chen, brin­gen in Fug und Zu­sam­men­klang, was nur al­les vor­her er­lebt wur­de: so wie man es, in klei­nem Maße, an je­dem Sil­ves­ter­ta­ge mit dem gan­zen ver­flos­se­nen Jah­re tut. Zwi­schen inne liegt aber in der Tat ein Zeit­raum, wel­cher die Ver­glei­chung mit den Jah­res­zei­ten na­he­legt der Zeit­raum vom zwan­zigs­ten bis zum fünf­zigs­ten Jah­re (um hier ein­mal in Bausch und Bo­gen nach Jahr­zehn­ten zu rech­nen, wäh­rend es sich von sel­ber ver­steht, daß je­der nach sei­ner Er­fah­rung die­se gro­ben An­sät­ze für sich ver­fei­nern muß). Jene drei­mal zehn Jah­re ent­spre­chen drei­en Jah­res­zei­ten: dem Som­mer, dem Früh­ling und dem Herbs­te, – einen Win­ter hat das mensch­li­che Le­ben nicht, es sei denn, daß man die lei­der nicht sel­ten ein­ge­floch­te­nen har­ten, kal­ten, ein­sa­men, hoff­nungs­ar­men, un­frucht­ba­ren Krank­heits­zei­ten die Win­ter­zei­ten der Men­schen nen­nen will. Die zwan­zi­ger Jah­re: heiß, läs­tig, ge­wit­ter­haft, üp­pig trei­bend, müde ma­chend, Jah­re, in de­nen man den Tag am Abend, wenn er zu Ende ist, preist und sich da­bei die Stirn ab­wischt: Jah­re, in de­nen die Ar­beit uns hart, aber not­wen­dig dünkt, – die­se zwan­zi­ger Jah­re sind der Som­mer des Le­bens. Die drei­ßi­ger da­ge­gen sind sein Früh­ling: die Luft bald zu warm, bald zu kalt, im­mer un­ru­hig und an­rei­zend:


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