Der Dunkelgraf. Ludwig Bechstein

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Der Dunkelgraf - Ludwig Bechstein


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es ein langes und glückliches sein – dieser heutigen ernsten und wichtigen Stunde! Wie ich auch gepeinigt, gedrückt, bedrängt und so zu sagen fast ausgezogen worden bin, arm haben sie mich, trotz ihres allerbesten Willens und trotz herzoglich oldenburgischer und königlich dänischer Hülfe doch nicht machen können; es hätte so gar wenig gefehlt, so wäre der deutsche Kaiser vermocht worden, gegen die alte eigensinnige Frau, die ihr Geld nicht alle hergeben wollte, einige Reichstruppen marschiren zu lassen. – Da fast Alles von mir kommt, ist’s zuletzt kein Wunder, daß man es von mir haben will, denn von den Schätzen des Hauses habe ich noch nichts gesehen, und die Lehengüter im Mond tragen höchstens einmal einen Steinregen ein. Gleichwohl will ich ihnen nichts vergeben, nicht auf’s Neue den Vorwurf unüberlegter Schenkungen auf mich laden, wie ich allerdings gethan. Ich selbst bedarf wenig mehr; ich werde keine Bücher, keine Münzen und Medaillen mehr sammeln – ich werde nur für dich leben, so lange der Himmel mir noch meine bereits gezählten Tage fristet.

      O gütigste aller Großmütter! rief Ludwig Carl aus, und beugte sich tief auf die treuen Hände, die seine Jugend gepflegt, und jetzt erhoben wurden, um sich segnend auf sein schönes Haupt zu legen.

      Nach einer Pause stiller und unaussprechlicher Rührung winkte die Reichsgräfin dem Enkel, ihr ein nahe stehendes, verschlossenes kupfernes Schatzkästchen zu bringen, während sie aus einer zusammengebundenen Anzahl kleiner Schlüssel den rechten suchte. Das Kästchen war leicht, baares Geld augenscheinlich nicht darin. Die Herrin erschloß es, es enthielt nur Papiere. Eines nach dem andern dieser Papiere nahm sie heraus und legte es vor den Enkel, der wieder auf ihren Wink neben ihr Platz genommen hatte, indem sie mit kurzen Worten den Inhalt dieser wichtigen Schriften andeutete.

      Dies ist, begann die Aufzählung: der Original-Ehecontract zwischen dem Prinzen Henri Charles de la Tremouille et Talmont und der Prinzessin Emilie zu Hessen-Cassel. Der Brautschatz dieser meiner Urgroßmutter betrug einhundertundfünfzigtausend Livres, und blieb der Vermählten als Wittwe vertragsmäßig zu freier Verfügung, nebst einer Summe von vierundzwanzigtausend Livres für Kleider und Juwelen. Vom Jahr eintausendsechshundertundachtundvierzig.

      Hier der Ehecontract meiner Großmutter, vom Jahr eintausendsechshundertundachtzig, mit der Bemerkung, daß die Prinzessin alle Gerechtsame an väterliche und großväterliche Verlassenschaften, auch andere künftige Erbfälle anzusprechen habe, nur nicht die ihrer beiden Brüder und ihrer einzigen Schwester Maria Sylvia. Letzteres hat sich dennoch durch besonderes Vermächtniß geändert.

      Hier ein Document, das der Großmutter anstatt der genannten Ansprüche von Seiten ihres Bruders, des Herzogs Charles de la Tremouille, die Summe von sechzigtausend Livres fest zusichert. Aus diesem wichtigen Vergleichsinstrument vom Jahre sechzehnhundertdreiundachtzig geht hervor, daß die de la Tremouille’schen Gütereinkünfte in den Provinzen Poitou, Bretagne, Maine, Xaintoque, Auluis und Laudunois auf das in Paris, Straße Vaugirard, gelegene Palais der Familie gestellt sind.

      Hier eine Schrift über die unserm Hause zustehende Baronie Vitré, deren Ertrag als Bürgschaft für ein Kapital von sechzigtausend Livres verschrieben ist, welche Summe meiner Großmutter von ihrer Mutter, der geborenen Landgräfin zu Hessen, vererbt und vermacht wurde. Dieses Kapital ist ebenfalls auf mich übergegangen.

      Hier ein Schuldbrief des Bruders der Großmutter wegen Antheils an fünfundzwanzigtausend Livres am Erbe der verstorbenen Prinzessin Maria Sylvia, vom Jahre sechzehnhundertdreiundsechzig.

      Hier wieder ein Vergleich vom zwölften Juli siebzehnhundertundeins, betreffend den Antheil der Großmutter von vierzigtausend Livres der Verlassenschaft ihrer königlichen Hoheit, Mademoiselle de Montpensier. Aus dieser Verlassenschaft kam das Herzogthum Chatellerault und die Vicomté Brossé an das Haus de la Tremouille, und es erhellt aus diesem Vergleich des Weiteren die Verwandtschaft unseres Hauses mit den Häusern Orleans, Bourbon, Nassau-Oranien, Bouillon und andern.

      Genug mit diesen, der Kasten ist noch halb voll, wir wollen uns nicht ermüden. Kurz und rund: Ich, deine Großmutter, habe an das herzogliche Haus de la Tremouille und Talmont in Frankreich Summa Summarum zweihundertundfünfundfünfzigtausend Livres zu fordern, welche als Erbtheil meiner Frau Großmutter mir überkommen, und die bei dem Stadthause zu Paris, obschon leider mit nur dritthalb Procent verzinslich angelegt sind, so daß sie eine Rente von sechstausenddreihundertundfünfundsiebenzig Livres, die halbjährlich ausgezahlt wird, abwerfen. Seit dem tödtlichen Hintritt meines in Gott ruhenden Herrn Vaters, des Reichsgrafen Anton des Zweiten, sind diese bis zu den letzten Jahren richtig ausbezahlt worden, und weder Krieg noch Friede haben daran gekürzt. Diesen Zinsabfall trete ich an dich ab zu deinen Reisen und deiner ferneren Ausbildung, mein in Wahrheit geliebtester Enkel. Hier hast du die nöthigen Ausweise zu deren Erhebung vom nächsten Monat an. Bedarfst du der Hülfe von Bankiers, so eröffnen dir diese Briefe Credit in Hamburg beim Hause des Procurators, Wechselsensals und Senators Egbertus Bernardus Den Tale, einer niederländischen weltberühmten Firma, und ebenso beim Hause Chapeaurouge dort, in Amsterdam bei dem Hause van der Valck, im Haag bei den Gebrüdern Le Ferrier, in Paris bei Grossier Vater und Söhne.

      Wie soll, wie kann ich Ihnen danken für so viele himmlische Güte! rief Ludwig, ganz überrascht von dem Reichthum, der ihn so plötzlich überströmte.

      Das sollst du sogleich hören, antwortete die Matrone. Dein Dank bethätige sich dadurch, daß du genau die Lehren befolgst, die ich dir jetzt bei unserm Scheiden herzlich und schmerzlich mit auf den Lebensweg gebe. Halte, mein geliebtes Kind, dein Herz frei und rein von allen unlautern Trieben, wie vom Laster; meide stets das Gemeine im Denken, wie im Thun und Handeln. Halte stets treu am gegebenen Wort und übernommener Pflicht, wenn es dir auch schwer ankommt und Neigung und Sinne sich dagegen sträuben; ja, scheue nicht die größten Opfer, wenn es gilt, Pflichterfüllung und Ueberzeugungstreue zu üben. Suche dich auszubilden und zu lernen so viel als möglich; nützliche Kenntnisse sind eine Macht, und ihre Anwendung bewahrt vor Mißmuth und Langeweile. Gehe mit dem Gelde weise und sparsam um, und lerne dessen selbst erwerben; verlasse dich nicht auf den dir jetzt groß erscheinenden Besitz, denn diese Quelle könnte leicht plötzlich versiegen. Achte treue Freundschaft hoch und hüte dich vor falschen Freunden. Suche dein Glück, wenn du dir Erfahrungen gesammelt, nicht im glanzreichen Hofleben, nicht im Geräusch der großen Städte und glaube mir, daß die Einsamkeit wunderköstliche Stunden gewährt. Führt dein Geschick dich auf eine kriegerische Laufbahn, so vereine mit Muth und Tapferkeit Milde und Menschenfreundlichkeit; sei hülfreich dem Unterdrückten, schütze verfolgte Unschuld – sei das Beste, was du auf Erden werden kannst – ein reiner, guter, edler Mensch!

      Ein heiliges überwältigendes Gefühl, wie er gleiches noch nie empfunden, ging durch des Jünglings noch unentweihte Seele. Thränen stürzten aus seinen Augen, und er sank lautlos auf seine Kniee vor der wunderbaren alten Frau nieder, die so treu, so mütterlich, so fest und stark auf ihn einsprach. Ihr nahete nicht leicht eine Rührung, ihre Seele war voll Kraft; dennoch fühlte sie, daß in dieser Stunde ein Theil ihres Herzens sich von ihr losriß; sie fühlte, wie sie ihren Liebling geliebt, fühlte, was sie ohne ihn entbehren werde, hätte so gerne alles Glück der Welt auf ihn gehäuft, hätte ihr Leben in dieser Stunde lassen wollen, wäre damit eine Bürgschaft zu erkaufen gewesen für sein Leben und für seine Zukunft.

      Noch einmal legte sie segnend ihre Hände auf das Haupt des vor ihr knieenden Enkels und sprach bewegt: Gott mit dir, sein heiliger Wille führe dich! Auch du wirst durch die schmerzlichen Flammen der Läuterung gehen; o gehe rein aus ihnen hervor! Ehre Gottes Gebote und liebe die Menschen. Sei mildthätig und barmherzig, und vergelte Kränkungen nur mit Wohlthaten, auf daß dereinst in dem Kreise, in den du eingetreten bist, dein Name im Segen fortdauere von Geschlecht zu Geschlecht! –

      Stehe auf, mein Ludwig Carl – laß uns recht ruhig noch diese Weihestunde mit einander feiern, es ist ja – o Gott – es ist die letzte!

      O nein – nein, meine theure, meine angebetete Großmutter! rief der Jüngling mit schwärmerischem Blick.

      Widersprich mir doch nicht, mein Kind, entgegnete die Großmutter mit dem alten gemüthvoll-traulichen Tone, den sie meist beim Zusammensein mit dem Enkel angenommen. Nur in so weit hast du recht, daß ich nicht eher an das Ueberirdische denken soll, bis ich dir das nächstnaheliegende Irdische geordnet.


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