Seefahrt ist not!. Gorch Fock
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Mediis tranquillus in undis.
Und das war so gekommen: als Klaus das Fahrzeug bauen ließ, bei Jochen Behrens an der Süderelbe, der ein gutes Stück der Flotte gezimmert hat, dachte er selbst viel über einen Bordsegen nach, blätterte die Bibel und das Gesangbuch durch und zerbrach sich bannig den Kopf, aber er konnte nichts ketschern, das ihm gut genug war. Da ging er denn eines Tages, als er wieder nach der Werft wollte, beim Pastoren vor und fragte den. Bodemann, der schon manchem Fischermann geraten hatte, mußte etwas wissen.
Nun hatte er den Tag aber gerade einen Auszug aus dem Borkumer Kirchenbuch über eine angeschwemmte Finkenwärder Leiche bekommen und über den lateinischen Spruch auf dem roten Siegel nachgedacht; er nötigte den Besuch deshalb in einen Stuhl, der so weich war, daß Klaus Mewes an Abrahams Schoß erinnert wurde, und schrieb ihm die vier Wörter auf. „Sühso, mien lebe Klaus Mees,“ sagte er und fragte nach Schiff und Stapellauf.
Der Fischermann bedankte sich, dann aber drehte er den Zettel überkopf, als wenn die Worte in Spiegelschrift abgefaßt wären, guckte ihn nochmals scharf an und sagte dann: „Dat is woll latiensch, Herr Pastur, wat?“ „Jawoll, Herr Mees, latiensch!“ „So, so! Non, Herr Pastur, weten Se: son betjen latiensch kann ik jo: an Jan Eitzen sien Kutter steiht Ora et labora, un dat heet: Bete und arbeite. Un an Neßbur sien Hus steiht Soli deo gloria, un dat heet: Gott allein die Ehre. Ober mit düt Medis sitt ik all gliek fast!“
„Mediis tranquillus in undis: Klaus Mewes: geruhig inmitten der Meereswogen heet dat!“ sagte der Pastor ernst. „Mit den Spruch lett sik woll no See fohren.“
Da hatte Klaus Mewes sich bedankt und war seines Weges gegangen. Der Spruch gleißte zwei Jahre unter seiner Koje, dann ging einmal ein Schullehrer in der Stachelbeerzeit mit ihm nach See, ein deutschgesinnter, begeisterter Junggast, der schlug großen Lärm darum: „Schiffer Mewes, was soll das Latein dort? Ist Ihr Schiff kein deutsches und muß es keinen deutschen Spruch haben, den Sie verstehen und bei dem Sie sich etwas denken können? Was sollen überhaupt alle die lateinischen, griechischen, hebräischen, englischen und französischen Namen, die Eure Schiffe haben? Wer heckt sie aus, wer hat sie bedacht, wer tauft hier deutsche Fahrzeuge Sagitta, Poseidon, Ebenezer, Avance, Courier, Salamander, Pescatore, Vlieboot und Cito? Die Alten machten es besser, die nannten die Schiffe wie ihre Frauen: danach müßte Ihr Ewer Gesa heißen und nicht Laertes. Und statt des Lateins müßte hier ein guter deutscher Spruch stehen!“
„Schallst recht hebben, mien Jung,“ sagte Klaus Mewes, „ik frei mi jümmer, wenn een kleuker is as ik bün. An den Laertes lett sik jo nu nix mihr innern, ober wenn du en scheunen Spruch för de Koi weest, denn weut wi mol sehn.“ Da kam das starke, ewige Lutherwort unter die Koje:
Ein feste Burg ist unser GOTT,
den lateinischen Spruch aber erhielt die Knechtenkoje als Schmuck. So ging es wieder zwei Jahre gut, bis der lange Harm Riegen, der Ewersprüche sammelte, einmal in die Kajüte trat und ausrief: „Twee Wiltsproken stoht dor all, Klaus, oder de drütte, de von Kap Horn bit ant Nurdkap snackt ward un de üller is as de annern beiden tohop, fehlt dor noch bi: plattdütsch!“
„So,“ lachte Klaus Mewes, „du kummst van wegen de Sprüch: ik meen all, du wullst mol meten, keen greuter is van uns twee beiden! Harm, plattdütsch kannen doch bloß snacken, to schrieben geiht dat doch ne!“
„Klaus, dat gifft hunnert grote, dicke Beuker, de plattdütsch sünd!“
„Kann ne angohn, Harm! Dor hebb ik noch nix van hürt!“
„Wat?“ schrie Harm Riegen, sprang auf, rannte wie ein durchgehendes Pferd den Deich entlang und kam nach einer Viertelstunde mit einer großen plattdeutschen Bibel von 1486 zurück.
„Hier, Klaus Mees!“
„Wat? Dat is en Book? Ik meen, dat wür en räukerten Schinken!“
Nachdem er sich aber zu seiner Verwunderung überzeugt hatte, daß sie wirklich plattdeutsch gedruckt war und nachdem Harm ihm ein Kapitel daraus vorgelesen hatte, erklärte er sich damit einverstanden, auch einen plattdeutschen Spruch zu setzen und gab zehn Bund getrockneter Scharben für die Worte, die nun unter seiner Koje prangten und leuchteten:
Hilpt mi, Sünn und Wind,
hilpt mi bit Fischen!
Ik heet Klaus Mees
un bün van Finkwarder.
„Egentlich harr ik di twintig Bund todacht, Harm,“ sagte er aber doch dabei, „ober dat riemt sik jo ne, dorüm kriegst du bloß tein!“ Den hochdeutschen Spruch bekam die Jungenkoje.
* *
*
Wiederum stand der kleine Störtebeker auf und befühlte seine Sachen, er hängte sie um und stökerte das Feuer nach. Du liebe Zeit, wie lange dauerte das! Er kriegte ja von dem Eisbrechen gar nichts mehr zu sehen, denn bei dem vielen Hurra mußten sie wohl bald nach dem Fahrwasser kommen!
Einem plötzlichen Einfall folgend, schob er die Hinterwand der Koje zurück und guckte über die Ketten hinweg nach den fünf Totenschädeln, die ganz vorn im Steven zwischen den Kneeßen steckten. Kap Horn hatte sie ihm vorher einmal gezeigt und gesagt, die hätten sie in der Kurre gefangen. Man dürfe solche Totenköpfe nicht wieder über Bord werfen, sondern müsse sie in den Steven stecken, dann könne der Ewer niemals umkippen. Nachdenklich starrte der Junge sie an, als wenn er nicht recht klug daraus werden könnte, denn sein Vater hatte auf seine Fragen geantwortet: das sei nichts zum Besprechen und Besehen, sondern etwas zum Schweigen. Wie grösig kalt die Luft aus dem dunkeln Loch kam! Störtebeker zitterte vor Kälte, schob die Klappe zu und wärmte sich wieder auf. Als er aber einen Augenblick gelegen hatte, litt es ihn nicht mehr unter der Decke: er holte die Seekarten vom Bort und rollte sie auf und sah die roten Punkte an, die Feuer bedeuteten, und die kleinen Feuertürme und Baken, die am Rande der Karten standen, während es draußen wieder lärmte und rief.
Abermals stand er auf. Das Zeug war noch klamm und fuchtig, aber er dachte wie sein Vater: Uppen Lief dreucht upt best! und zog sich an, so schnell es gehen wollte. Er war noch nicht ganz fertig damit, als es draußen dreimal Hurra rief, da hielt er es nicht mehr aus, halb angezogen, in Unterhosen, mit einem Stiefel am Fuß und einem in der Hand, sauste er nach oben und guckte aus der Kapp: da drängte der Ewer gerade die letzten Eisstücke beiseite und glitt langsam in das freie Fahrwasser hinein. Klaus Mewes und seine Macker zogen die mitgeschleiften Kurrleinen ein, der Ewer aber benutzte die Dünung eines vorbeigehenden Slomans zu einigen tiefen Dankesverbeugungen vor seinen Helfern: Ok veelen Dank, dat ji mi rutholpen hebbt!
Auch vom Deich und von den Schallen rief es jetzt Hurra.
Die Fahrensleute gingen in froher Stimmung, ehrlich erfreut über ihren Erfolg, gruppenweise über das Eis nach dem Deich zurück und sprachen und taten von der Fahrt, denn jetzt war der Weg nach der See frei geworden: was dem Einzelnen noch übrig blieb, die kleine Rinne von seinem Ewer nach dem großen Priel, war Sache eines Tages und ließ sich leicht beschicken. Die Schollenzeit war angebrochen für die Schollengreifer vom Neß: Hurra, hurra, hurra!
Auf H. F. 125 aber, dem Ewer „Laertes“, ließen sie den Draggen zu Wasser, schossen die Leinen auf, reinigten das Deck, hängten die Laterne an das Fockstag und kletterten dann in das Boot, um den Bärenhunger zu vertreiben, der alle befallen hatte.
Störtebeker saß auf der Euschenducht und quälte sich mit drei Dingen ab: daß der verdrehte Kerl von Schuster ihm die Stiefel noch nicht gemacht hatte, daß sein Vater morgen fahren wollte und ihn nicht mitnahm und daß sein grüner Kahn noch im Neßgraben festsaß und er noch nicht schippern konnte.
„Du hest dat en betjen god, Seemann,“ sagte er aus diesen Gedanken heraus und streichelte den Hund, der auch keine Kniestiefel hatte und noch viel kleiner als er war und doch immer mit nach See durfte. Seemann aber hielt die Nase hoch, denn vom Deich kam ein Geruch wie von gebratenen Klößen mit dem Abendwind herübergeweht.
Klaus Mewes lachte und wriggte schneller, denn er roch hinter den Klößen schon die See und grüßte