Der Wehrwolf: Eine Bauernchronik. Löns Hermann

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Der Wehrwolf: Eine Bauernchronik - Löns Hermann


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nackigten Kindern wimmelte. Eins davon, ein Mädchen, das wohl schon an die dreizehn Jahre alt war, aber so bloß war wie ein Fisch, sprang aus dem Wagen und ehe Harm es sich versah, saß es bei ihm auf dem Sattelpferd und bettelte ihn an und drei, vier andere machten sich bei Ulenvater im Wagen zu schaffen.

      »Das Takelzeug ist noch zäher als wie Hirschläuse,« meinte der Wulfsbauer, als sie die nackte Gesellschaft abgeschüttelt hatten, und er setzte hinzu: »Was für Völker jetzt im Lande herumstromen! Eine Schande ist es, daß da nichts getan wird! Gaudiebe und Vagelbunden sind beinahe die Herren jetzt. Wenn das so beibleibt, kann es noch gut werden.«

      Indem er sich nach den Zigeunern umsah, wurde er gewahr, daß die drei Reiter umgedreht hatten und hinter ihnen herkamen. Das schien ihm verdächtig und deshalb ließ er die Pferde ordentlich laufen; so kam er früher vor der Stadt an, als die Reiter.

      Bei dem Tore sah es bunt aus; eine Menge fremden Kriegsvolkes lag dort, und als die Bauern den Wächter fragten, was das für eine Bewandtnis habe, hörten sie, daß das allerlei Gesindel war, daß der Halberstädter Bistumsverwalter Christian von Braunschweig gegen die Kaiserlichen angeworben hatte. Die Leute hielten sich ziemlich anständig, denn sie lagen unter den Kanonen der Stadt und eine Abteilung herzoglicher Kriegsknechte unter einem Hauptmann paßte auf, daß sie keinen Unfug anstellten. Aber Harm dachte sich, als er sie besah: »Die mehrsten sehen aus, als wenn sie mit einem Strick um den Hals weggelaufen sind.«

      In Celle spannten sie in der Wirtschaft zur goldenen Sonne aus, wo sie gut bekannt waren, und frühstückten mit vier Bauern aus dem Gau Flottwede. »Wir werden bald allerlei gewahr werden,« meinte der Wathlinger Burvogt; »die Wienhäuser Nönnekens haben sich schon dünne gemacht, denn sonst könnten sie wohl bald ihr Nonnenfleisch losgeworden sein. In Altencelle haben die Halunken von Kriegsleuten den Bauern mit Gewalt die Würste und Schinken genommen und sie obendrein mit Schlägen zugedeckt. Der Vollmeier Pieper in Burg liegt auf den Tod; er wollte es nicht leiden, daß sie sich an seinen Töchtern vergriffen, und da hat ihm ein Kerl mit dem Säbel über den Kopf geschlagen, daß der Brägen herauskam.«

      Er sah sich um und flüsterte dann: »Der Kerl, der das getan hat, ist aber auch verschwunden; es wird gesagt, die Knechte haben ihn um die Ecke gebracht. In Wathlingen sind auch zwei von den Brüdern fortgekommen. Meinen Segen haben sie!«

      »Das ist das eine,« sagte ein Bauer aus Eicklingen, »das ist das eine. Seines Lebens ist man nicht mehr sicher, und dazu kommen noch die Steuern. Der Landtag hat die dreifache Schatzung ausgeschrieben und es heißt, daß das nicht das letztemal sein soll, denn das Land braucht jetzt Geld für Soldaten. Ja, das ist wohl so, und das wäre auch noch auszuhalten, aber dann kommen die fremden Völker und legen uns auch noch allerlei Lasten auf, das heißt, wenn sie nicht überhaupt nehmen, was sie kriegen können. Pohlmanns Ludjen haben sie eine milchende Kuh von der Weide genommen, und als er wenigstens Geld wollte, haben sie ihn ausgelacht, und als Hein Reimers vom Felde kam, ist er zwei gute Pferde auf die Art losgeworden. Wenn das so weiter geht, gibt es kein Recht und kein Gesetz mehr!«

      Nun erzählten die Ödringer, weswegen sie nach Celle gekommen waren; aber alle meinten, sie sollten den Falben ruhig in den Rauchfang schreiben, denn wenn die Obrigkeit hinter alle solche Sachen hinterfassen sollte, dann hätte sie viel zu tun. Ul aber meinte, versuchen wollte er es doch und ging los.

      Nach zwei Stunden kam er wieder und ließ den Kopf hängen, wie ein krankes Huhn. Ganz begossen sah er aus. »Ja, Junge,« sagte er, »ist das ein Betrieb! Angeschnauzt haben sie mich; ich sollte sie mit solchen Dummheiten in Ruhe lassen, denn sie hätten Notwendigeres zu tun, als hinter deinem Pferde herzulaufen. Na, so unrecht haben sie ja nicht, denn wie mir der zweite Koch erzählte, geht es ja jetzt in der Welt her, wie in einem Ameisenhaufen, bei dem der Specht zugange ist. Die Kaiserlichen kommen von der einen, der Braunschweiger und der Durlacher von der anderen Seite, und was unser regierender Herzog ist, der muß zusehen, daß er sich nicht dabei die Finger klemmt. Na, Mertens meinte, Herzog Georg, den sie doch zum Kreisoberst gemacht haben und der an die zwanzigtausend Mann unter sich hat, der wird schon dafür sorgen, daß sie uns nicht lebendig schinden. Aber den Falben bist du darum doch quitt. Tors Pferd soll den Kerl schlagen!«

      Er schlug sich Feuer für seine Pfeife, spuckte vor sich hin und sah seinen Eidam an: »Ich weiß nicht, ich glaube, es geht nicht anders: wir müssen daran denken, was dein Großvater immer sagte: Helf dir selber, dann helft dir auch unser Herregott! Denn warum? Die Obrigkeit, die wird alle Hände voll zu tun haben, daß sie im allgemeinen für Ordnung sorgt, soweit das angeht; der einzelne Mann muß sich selber wahren. Ich weiß man nicht, wie wir das anstellen sollen; denn was sollen wir zum Beispiel machen, wenn solche Galgenvögel, wie sie vor dem Tore liegen, hundert Stück und mehr, nach Ödringen verschlagen werden?«

      »Komm,« meinte er dann, »wollen weg! Hier haben wir ja doch nichts mehr zu holen.« Er rief den Wirt und bezahlte. »Nanu,« schrie er auf einmal, »Harm, Junge, was ist denn das?« Und schnell lief er aus der Türe. Als Harm ihm in den Hof nachging, sah er, daß einer der drei Reiter, die ihnen am Morgen begegnet waren, das Sattelpferd aus dem Stalle zog.

      »Hoho!« rief er und machte das Messer locker, »was soll denn das heißen?« Der fremde Mann sah ihn an und lachte: »Na, ich kann mir ja doch wohl das Pferd mal ansehen! Ich habe dem Knecht das ja gesagt und ihn gefragt, wem es gehörte. Ich bin nämlich Pferdehändler und dein Pferd hat mir gleich in die Augen gestochen, denn es paßt ganz zu einem, auf das ich handele, und das würde ein feines herrschaftliches Gespann geben. Was soll es gelten?«

      Der Wulfsbauer schüttelte den Kopf: »Es ist mir nicht feil,« sagte er und führte es vor den Wagen. »Na, denn nicht; was nicht ist, kann noch werden. Vielleicht besinnst du dich.« Damit ging der Händler ab.

      Die Ödringer sahen ihm mit schiefen Augen nach, und der Wirt schnippte mit den Fingern. »Tja der,« knurrte er, »der und Pferdehändler! Wer so billig einkauft, kann es zu was bringen in der Welt. Er kehrt öfter bei mir ein und verzehren tut er gut, aber ich sehe ihn lieber gehen als kommen, zum ersten, weil mir seine Augen nicht gefallen können, und dann weil ich ihn mit Völkern von der Masch zusammengesehen habe, denen jeder Kerl, der was auf sich hält, aus dem Wege geht. Hanebut heißt er, Jasper Hanebut, und aus Bothfeld bei Hannover soll er sein, und die er meist bei sich hat, Hänschen von Roden und Kaspar Reusche, den Brüdern traue ich auch nicht über den Weg.«

      Gerade als sie losfahren wollten, gab es von der Stechbahn her ein großes Geschrei. Ein Bauer kam zwischen zwei Stadtknechten daher und hinter ihm ging seine Tochter, ein blasses Mädchen von siebzehn Jahren, das in ihre Schürze weinte. Der Bauer schimpfte gewaltig: »Verfluchte Zucht!« schrie er; »totschlagen soll man die Hunde! Ich bin wahrhaftig keiner, der nicht einen Spaß verträgt, aber was zu viel ist, das ist zu viel. Ist denn meine Tochter dazu da, daß jeder Lausepelz seinen Hahnjökel damit treiben kann? Na, so bald tut der Lümmel das nicht wieder; sein eines Auge paßt ihm in vier Wochen noch nicht wieder in den Kopf, und es tut mir bloß leid, daß es nicht ganz herausgekommen ist. Und ich will doch sehen, ob noch Recht und Gerechtigkeit im Lande ist, und ob wir in einem christlichen Staate leben oder unter Türken und Heiden!«

      Ein Handwerksmeister, den der Wirt kannte, erzählte, was los war. Der Bauer, der aus Boye war und mit seiner Tochter, die es auf der Brust hatte, zum Doktor wollte, war zwischen das Halberstädter Kriegsvolk geraten, und die hatten das Mädchen hergekriegt und abgedrückt, als wenn es ein Taternfrauenzimmer war. Ihr Vater hatte dann dem einen Kerl eins mit der Faust ins Gesicht gegeben, daß das Auge gleich vor dem Kopfe stand, na, und der Ordnung halber mußte die Sache untersucht werden. »Aber,« setzte der Mann hinzu, »sie werden ihn wohl gleich laufen lassen; vom Schlosse aus ist den Braunschweigern angesagt worden, wenn sie nicht in einer Stunde unterwegs sind, dann würden die Leute des Herzogs sie auf den Trab bringen.« Er sah die Bauern an: »Ich würde an eurer Stelle noch etwas warten, ehe daß ich losfahre; sie ziehen gerade ab und gute Laune haben sie just nicht.«

      Das schien den Ödringern ein guter Rat zu sein, und so gingen sie mit dem Manne wieder in die Gaststube. Gerade als die Kastenuhr ausholte, um die zweite Stunde anzumelden, riß Ul die Augen auf, machte ein Gesicht, als ob er etwas Schreckliches sah, und sprang auf: »Komm,«


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