Gesammelte Werke. Джек Лондон
Читать онлайн книгу.erklärte er heiser flüsternd. »Ich habe es dir ja gesagt.«
Sie nickte resigniert.
»Er hatte ganz blanke Augen«, räumte sie ein. »Und er hatte keinen Kragen um, obgleich er mit einem weggegangen ist. Aber vielleicht hat er nur ein paar Glas getrunken.«
»Er konnte ja nicht auf den Beinen stehen«, versicherte ihr Mann. »Ich hab' ihn beobachtet. Er konnte nicht über den Fußboden gehen, ohne zu stolpern. Du hast ja selbst gehört, daß er auf dem Vorplatz beinahe fiel.«
»Ich glaube, er stolperte über Alices Wagen«, sagte sie. »Er konnte in der Dunkelheit nicht sehen.«
Bernard Higginbothams Zorn wuchs, und seine Stimme hob sich. Den ganzen Tag mußte er im Laden den Demütigen spielen, abends aber, wenn er mit seiner Familie zusammen war, wollte er er selber sein dürfen.
»Ich sage dir doch, daß dein Prachtkerl von Bruder besoffen war.«
Seine Stimme klang alt, scharf und gebieterisch, und bei jedem Wort schlug er die Lippen zusammen wie den Kolben einer Dampfmaschine. Seine Frau seufzte und schwieg. Sie war groß und stark, stets nachlässig gekleidet und stets müde von den Lasten, die sie zu tragen hatte: ihrem eigenen Körper, ihrer Arbeit und ihrem Mann.
»Das steckt in ihm, sage ich dir, er hat das von seinem Vater«, fuhr Bernard Higginbotham vorwurfsvoll fort. »Und er wird in der Gosse enden wie der. Das weißt du auch.«
Sie nickte, seufzte und nähte weiter. Sie waren sich einig, daß Martin betrunken heimgekommen war. Ihre Seelen kannten kein Schönheitsgefühl, sonst hätten sie gewußt, daß die strahlenden Augen und das glühende Gesicht von der ersten Liebe eines jungen Mannes erzählten.
»Er gibt den Kindern ein schönes Beispiel!« fauchte Herr Higginbotham plötzlich und unterbrach damit die Pause, die seine Frau verschuldet hatte, und die ihn ärgerte. Zuweilen hätte er fast gewünscht, daß sie ihm mehr widersprochen hätte. »Wenn das noch einmal vorkommt, dann muß er raus. Verstehst du! Ich dulde die Sauferei nicht. Er verdirbt nur die unschuldigen Kinder. Jawohl!«
Aber seine Frau seufzte immer noch, schüttelte traurig den Kopf und nähte weiter. Herr Higginbotham machte sich wieder an seine Zeitung.
»Hat er die Pension für die letzte Woche bezahlt?« schleuderte er über den Rand seiner Zeitung hinweg.
Sie nickte und fügte dann hinzu: »Er hat noch etwas Geld.«
»Wann geht er wieder zur See?«
»Wenn seine Heuer verbraucht ist, denke ich«, antwortete sie. »Er war gestern in San Franzisko, um sich nach einem Schiff umzusehen. Aber er hat noch Geld, und er sieht sich die Schiffe genau an.«
»Das kommt einem solchen Rumtreiber gerade zu!« schnaufte Herr Higginbotham verächtlich. »Genau! Hm!«
»Er sprach von einem Schoner, der klargemacht würde, um irgendwohin ins Ausland zu fahren und nach vergrabenen Schätzen zu suchen, und er sagte, daß er mit dem fahren wollte, wenn sein Geld so lange reichte.«
»Wenn er nur mal Ruhe geben würde, dann könnte ich ihn als Kutscher gebrauchen«, sagte ihr Mann mit demselben verdrießlichen Ton. »Tom ist gegangen.«
Seine Frau sah ihn besorgt und fragend an.
»Ist gestern abend gegangen. Er soll bei Carruthers arbeiten. Sie bezahlen ihm mehr, als ich geben kann.«
»Ich sagte dir ja, daß du ihn nicht behalten würdest«, rief sie. »Er war mehr wert, als du ihm gabst.«
»Nun hör' mal, Alte«, polterte Higginbotham. »Zum tausendstenmal sage ich dir jetzt, daß du dich nicht in meine Geschäfte mischen sollst. Jetzt sag' ich's dir zum letztenmal.«
»Das ist mir einerlei«, schnaufte sie. »Tom war ein braver Junge.«
Ihr Mann sah sie wütend an. Das war offenkundiger Trotz.
»Wenn dein Lümmel von Bruder auch nur ein bißchen was wert wäre, dann könnte er den Wagen fahren«, schnaufte er verächtlich.
»Er bezahlt Kost und Logis«, lautete die Antwort. »Und er ist mein Bruder, und solange er dir kein Geld schuldet, hast du kein Recht, ihn bei jeder Gelegenheit zu beschimpfen. Ich hab' doch auch Gefühl im Leibe, wenn ich auch sieben Jahre mit dir verheiratet bin.«
»Hast du ihm nicht gesagt, daß ich extra für Gas verlange, wenn er noch weiter abends im Bett liest?« fragte er.
Frau Higginbotham antwortete nicht. Die Empörung, die ihr müder Körper hatte aufbringen können, legte sich wieder. Ihr Mann triumphierte. Er hatte sie unterjocht. Ein rachgieriger Ausdruck trat in seine grauen Augen, während seine Ohren sich über ihr Schnaufen freuten. Es machte ihm eine unsagbare Freude, sie zu unterjochen, und das war allmählich so leicht geworden, wenn es auch in den ersten Jahren ihrer Ehe anders gewesen war, als die große Kinderschar und sein ewiges Schelten ihre Lebenskraft noch nicht untergraben hatten.
»Also du sagst es ihm morgen, erledigt«, sagte er. »Und laß morgen Marian kommen, daß sie auf die Kinder achten kann. Da Tom gegangen ist, muß ich selbst den Wagen fahren, und da mußt du wohl den ganzen Tag im Laden stehen.«
»Aber morgen ist Waschtag«, protestierte sie schwach.
»Dann steh früh auf und wasche vorher. Ich fahre erst um zehn.«
Er raschelte wütend mit der Zeitung und begann wieder zu lesen.
Viertes Kapitel
Martin Eden, dessen Blut immer noch vor Zorn über den Zusammenstoß mit seinem Schwager kochte, tastete sich über den unbeleuchteten Vorplatz und erreichte sein Zimmer, eine winzige Mädchenkammer, in der gerade Platz für ein Bett, einen Waschtisch und einen Stuhl war. Bernard Higginbotham war zu sparsam, um ein Mädchen zu halten, wenn seine Frau die Arbeit tun konnte, und außerdem konnten sie auf diese Weise zwei Pensionäre statt eines haben. Martin legte den Swinburne und den Browning auf den Stuhl, zog den Rock aus und setzte sich auf den Bettrand. Ein Krachen der asthmatischen Federn begrüßte das Gewicht seines Körpers, aber er bemerkte es nicht. Er begann sich die Schuhe auszuziehen, hielt aber inne und starrte auf die Wand, deren geweißte Fläche nur von langen braunen Streifen unterbrochen wurde, die der durchs Dach gesickerte Regen gezeichnet hatte. Und auf diesem schmutzigen Hintergrund begannen jetzt die Visionen zu flammen. Er vergaß seine Schuhe und starrte lange vor sich hin, bis die Lippen sich zu bewegen begannen und den Namen Ruth murmelten. »Ruth!« Nie hätte er gedacht, daß ein einfacher Laut so schön sein könnte. Er entzückte sein Ohr und berauschte ihn, so oft er ihn wiederholte. »Ruth!« Das war ein Talisman, eine Zauberformel. Sooft er diesen Namen murmelte, stand ihr Gesicht leuchtend vor ihm und überflutete die schmutzige Wand mit goldenem Glanz. Und dieser Glanz beschränkte sich nicht auf die Wand. Er verbreitete sich bis ins Unendliche, und durch seine goldene Tiefe suchte seine Seele die ihre. Das Beste in ihm löste sich in einem mächtigen, reißenden Strom aus. Der bloße Gedanke an sie hob und läuterte ihn, machte ihn besser und erweckte in ihm die Sehnsucht, noch besser zu werden. Dies war etwas Neues für ihn. Noch nie hatte er Frauen gekannt, die ihn besser gemacht hatten. Sie hatten stets die entgegengesetzte Wirkung auf ihn ausgeübt und ihn tierisch gemacht. Er wußte nicht, daß viele von ihnen ihr Bestes getan hatten, wenn es auch nicht viel gewesen war. Er hatte nie viel über sich nachgedacht und wußte nicht, daß er in seinem Wesen das hatte, was die Liebe der Frauen gewann und die Ursache dazu gewesen war, daß sie trotz seiner Jugend die Hände nach ihm ausstreckten. Hatten sie ihn auch oft geplagt, so hatte er sich doch nicht mit ihnen abgegeben, und er ahnte nicht, daß es Frauen gab, die bessere Menschen geworden waren, weil sie ihn getroffen hatten. Er hatte sein Leben bisher in erhabener Gleichgültigkeit gelebt, und jetzt kam es ihm vor, als hätten sie stets die schamlosen Hände nach ihm ausgestreckt. Das war weder gerecht gegen sie noch gegen sich selber. Aber es war das erstemal, daß er zum Bewußtsein seiner selbst kam, und er war um so weniger imstande, klar zu urteilen, als