Gesammelte Werke. Джек Лондон
Читать онлайн книгу.zu beißen, indem er sich gegen ein ihm zugefügtes Unrecht empörte. In dem Dorfe ging Wolfsblut, wie es die Hunde zu tun pflegten, auf Raub aus. Ein Indianerknabe hieb gerade mit einem Beil gefrorenes Elchfleisch in kleine Stücke, und es flogen Bröckchen davon in den Schnee. Wolfsblut, der gerade vorbeischlich, blieb stehen und begann die Bröckchen zu verzehren. Da sah er, wie der Bursche das Beil niederlegte und einen derben Knüttel ergriff. Wolfsblut sprang zur Seite, als der Schlag ihn eben treffen sollte. Der Junge verfolgte ihn, und da Wolfsblut im Dorfe fremd war, so verirrte er sich zwischen zwei Wigwams und sah plötzlich einen hohen Erdwall vor sich. Hier war kein Entkommen. Der einzige Ausweg führte an den Wigwams vorbei, und den hütete der Knabe. Indem dieser den Knüttel hoch hielt, ging er auf das in die Enge getriebene Tier los. Wolfsblut war wütend. Sein Gerechtigkeitsgefühl war verletzt, und er kehrte sich zähnefletschend und mit gesträubtem Haar gegen den Knaben. Er wußte, daß alle Fleischabfälle den Hunden gehören, die sie fanden. Er hatte darum nichts Unrechtes getan, kein Gesetz verletzt, und doch wollte der Bursche ihn schlagen. Wolfsblut wußte kaum, was er tat, so schnell übermannte ihn die Wut, und es geschah alles so schnell, daß auch der Knabe erst zur Besinnung kam, als er sich im Schnee liegend fand, während die Hand, welche den Knüttel hielt, eine breite Wunde von Wolfsbluts Zähnen zeigte.
Aber Wolfsblut wußte, daß er das Gesetz übertreten hatte, indem er das geheiligte Fleisch eines Gottes mit den Zähnen zerrissen hatte; und eine schreckliche Strafe konnte seiner nur warten. Er lief zu dem Grauen Biber, hinter dem er sich verkroch, als der gebissene Knabe, von der ganzen Familie gefolgt, kam, um Rache zu verlangen. Der Graue Biber verteidigte Wolfsblut, dasselbe taten Mitsah und Klukutsch. Wolfsblut, der den Wortwechsel anhörte und die ärgerlichen Gebärden beobachtete, begriff, daß seine Handlungsweise gerechtfertigt wurde, und er lernte einsehen, daß es auch unter den Göttern einen Unterschied gab. Ob Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit in den Handlungen sei, das war einerlei! Von den eigenen Herren mußte man alles hinnehmen! Doch von den andern sich Ungerechtigkeiten gefallen zu lassen, dazu war man nicht verpflichtet. Da hatte man das Vorrecht, die Zähne zu gebrauchen, – so wollten es die Götter!
Ehe der Tag zu Ende ging, sollte Wolfsblut noch mehr über dies Gesetz erfahren. Als Mitsah im Walde Brennholz sammelte, traf er auf den gebissenen Jungen. Eine Menge Knaben waren bei ihm, und es kam zu heftigen Worten. Alle griffen Mitsah an, dem es übel erging, denn es regnete auf ihn Schläge von allen Seiten. Zuerst sah Wolfsblut zu. Es war eine Angelegenheit der Menschen und ging ihn nichts an. Als ihm jedoch klar wurde, daß Mitsah, einer seiner Herren, mißhandelt wurde, da ließ ihn zwar kein bewußter Trieb handeln, aber von wildem Zorn getrieben, sprang er unter die Kämpfenden. Fünf Minuten später flohen die Knaben nach allen Richtungen, und der Schnee färbte sich mit ihrem Blut zum Zeichen, daß Wolfsbluts Zähne bei einigen nicht müßig gewesen waren. Als Mitsah das Erlebnis den Seinen im Lager erzählte, ließ der Graue Biber Wolfsblut Fleisch, und sogar sehr viel Fleisch geben, und dieser lag darauf vollgestopft und schläfrig vor dem Feuer und wußte, daß er recht getan hatte.
Durch solche Erfahrungen begriff er das Gesetz vom Eigentum und die Pflicht, dasselbe zu verteidigen. Vom Schutze seines Herrn zur Behütung seines Besitztums war nur ein Schritt, den er schnell machte. Was dem Herrn gehörte, mußte gegen die ganze Welt verteidigt werden, auch auf die Gefahr hin, andere Götter dabei zu verletzen. Eine solche Tat war zwar gefährlich, aber nicht frevelhaft. Zwar war ein Hund den Menschen nicht gewachsen, dazu waren sie zu mächtig, aber Wolfsblut lernte es doch, ihnen unerschrocken und mutig die Stirn zu bieten. Die Pflicht ging über die Furcht, und Diebe lernten das Eigentum des Grauen Biber in Ruhe lassen.
Schnell begriff Wolfsblut, daß ein Dieb gewöhnlich auch ein Feigling war, der beim ersten Lärm davonlief, und daß beim Lärmschlagen der Graue Biber ihm in kurzer Zeit zur Hilfe käme. Auch merkte er, daß der Dieb nicht so sehr Furcht vor ihm hatte als vor dem Grauen Biber. Durch Bellen schlug aber Wolfsblut nicht Lärm, denn er bellte nie. Er griff vielmehr den Eindringling sogleich an und versuchte, ihn zu beißen. Da er sich um die andern Hunde nicht kümmerte, sondern einsam und ungesellig lebte, so war er ungemein geeignet, das Eigentum des Herrn zu bewachen und darin wurde er von dem Grauen Biber bestärkt. Die Folge war, daß Wolfsblut immer wilder, unzähmbarer und einsamer wurde.
Die Monate vergingen, und das Bündnis zwischen Hund und Mensch wurde immer enger. Die Bedingungen waren einfach. Für einen Gott aus Fleisch und Blut tauschte Wolfsblut die eigene Freiheit ein und empfing dafür Speise und Feuer, Schutz und Gesellschaft. Dagegen behütete er das Eigentum des Herrn, schützte den Leib desselben, arbeitete für ihn und gehorchte ihm, denn einem Gotte gehören, bringt Dienstbarkeit mit sich. Wolfsblut diente ebensosehr aus Pflicht als aus Furcht, doch nicht aus Liebe. Die kannte er nicht, denn er hatte dieselbe nie erfahren. Kische war nur noch eine blasse Erinnerung. Allein derart waren die Bedingungen, die ihn mit den Menschen verknüpften, als er das freie Leben der Wildnis und den Verkehr mit seinesgleichen aufgegeben und sich dem Menschen unterworfen hatte, daß er den Herrn nicht wieder hätte aufgeben und zu Kische zurückkehren können, wäre sie ihm je wieder begegnet. Seine Treue gegen den Herrn schien ihm ein Gesetz für sich, das höher stand als die Liebe zur Freiheit und zu den eigenen Blutsverwandten.
6. Kapitel. Die Hungersnot
Der Frühling war ganz nahegekommen, als der Graue Biber seine lange Fahrt beendet hatte. Es war wieder April und Wolfsblut ein Jahr alt, als er in das heimische Dorf einzog und Mitsah ihn ausspannte. Obgleich noch nicht völlig ausgewachsen, war er neben Liplip der größte Hund seines Alters. Schon jetzt konnte er sich mit erwachsenen Hunden messen, denn von beiden Eltern hatte er Wucht und Stärke geerbt, und es fehlte ihm nur noch an Breite. Sein Körper war hager und eckig und seine Stärke mehr ausdauernd als gewichtig. Sein graues Fell zeigte die echte Wolfsfarbe, und dem Anschein nach war er ein echter Wolf. Was vom Hunde er von Kische geerbt, hatte ihm körperlich keinen Stempel aufgedrückt, wenn es auch in seiner geistigen Begabung eine Rolle spielte.
Er wanderte durch das Dorf und sah mit ruhiger Befriedigung die Personen wieder, die er vor der langen Fahrt gekannt hatte. Auch die Hunde besah er sich, junge, die, wie er, herangewachsen waren, und erwachsene, die nicht so groß und so schrecklich aussahen wie das Bild, das er von ihnen im Gedächtnis trug. Darum hatte er jetzt weniger Angst vor ihnen und schritt mit einet sorglosen Sicherheit unter ihnen umher, die ihm ebenso neu wie angenehm war. Unter ihnen gab es einen alten, grauen Burschen, Besik, der in früheren Tagen ihm nur die Zähne zu zeigen brauchte, um Wolfsblut die eigene Unbedeutendheit fühlen zu lassen, und durch den er nun erfahren sollte, welche Veränderung mit ihm vorgegangen war.
Beim Zerlegen eines frischerlegten Elches sollte Wolfsblut einsehen lernen, wie verändert seine Beziehungen zu den Hunden jetzt waren. Er hatte einen Huf und einen Teil des Schienbeins bekommen, an dem noch ein gut Stück Fleisch hing. Er hatte sich aus der unmittelbaren Nähe der Hunde entfernt und verzehrte seinen Anteil hinter einem Gebüsch, als Besik auf ihn loskam. Ohne sich lange zu besinnen, hatte Wolfsblut den mutmaßlichen Angreifer zweimal gebissen und war dann zur Seite gesprungen. Dieser war über die Verwegenheit und Schnelligkeit des Angriffs verblüfft und stand und starrte Wolfsblut an, während der blutige Knochen zwischen ihnen lag. Der Alte hatte schon bei den Hunden, die er früher anzuschnauzen pflegte, bittere Erfahrungen gemacht und die Klugheit zu Hilfe rufen müssen, um mit ihnen zu wetteifern. Früher wäre er in angebrachtem Zorn auf Wolfsblut losgesprungen, aber die mangelnden Kräfte erlaubten ihm kein solches Vorgehen mehr. Er sträubte nur wild die Haare und blickte finster nach dem Knochen hinüber. In Wolfsblut erwachte ein gut Teil der früheren Ehrfurcht, er zögerte, ob er nicht doch zurückweichen und einen nicht allzu schimpflichen Rückzug antreten sollte.
Hätte Besik sich damit begnügt, noch weiter drohend und finster zu blicken, so hätte Wolfsblut ihm am Ende den streitigen Knochen überlassen. Allein jener beging den Fehler, nicht zu warten. Er betrachtete den Sieg schon als errungen und machte einen Schritt auf die Beute zu. Als er sorglos den Kopf hinabbog, um diese zu beschnuppern, sträubten sich auch Wolfsbluts Haare. Selbst dann wäre es noch nicht zu spät gewesen, und Wolfsblut wäre endlich weggeschlichen, wäre der andere mit erhobenem Haupte und finsteren Blicken stehen geblieben. Allein der Geruch