Gesammelte Werke. Джек Лондон
Читать онлайн книгу.konnte den Wind hören. Wie ein gedämpftes Brausen drang er mir ans Ohr. Ab und zu stampften Füße über meinem Kopf. Von allen Seiten erklang ein unaufhörliches Knarren, das Holzwerk ächzte, quiekte und stöhnte in tausend Tonarten. Die Jäger stritten immer noch und brüllten wie eine halbmenschliche Amphibienbrut. Die Luft schwirrte von Flüchen und Zoten. Ich konnte ihre zornigen, erhitzten Gesichter sehen, ins Riesenhafte verzerrt durch das krankhafte Gelb der Schiffslampen, die mit dem Schiff hin und her schwankten. In dem trüben Tabakdunst wirkten die Kojen wie die Käfige in einer Menagerie. Ölzeug und Seestiefel hingen an den Wänden, und hier und dort waren Gestelle mit Flinten und Büchsen angebracht. Es gemahnte an die Ausrüstung von Freibeutern und Piraten in vergangenen Zeiten. Ich ließ meiner Phantasie freien Lauf und konnte nicht schlafen. Es war eine lange, lange Nacht, ermüdend, unheimlich und endlos, aber meine erste Nacht im Zwischendeck war auch die letzte. Am nächsten Tage wurde Johansen, der neue Steuermann, von Wolf Larsen zum Schlafen ins Zwischendeck geschickt, während ich die Koje in der winzigen Kajüte erhielt. Den Grund des Wechsels erfuhren die Jäger bald, und er erweckte ziemlich viel Unbehagen unter ihnen. Johansen schien jede Nacht im Schlaf die Ereignisse des Tages noch einmal zu durchleben. Sein unaufhörliches Reden, Schreien und Kommandieren war Wolf Larsen zuviel gewesen, und er hatte den lästigen Schlafgenossen deshalb zu seinen Jägern abgeschoben. Nach einer schlaflosen Nacht erhob ich mich, müde und leidend, um meinen zweiten Tag auf der Ghost zu beginnen.
Um halb sechs warf Thomas Mugridge mich aus der Koje, ungefähr so, wie ein roher Mann seinen Hund hinausgejagt haben würde; aber seine Roheit gegen mich wurde Herrn Mugridge in gleicher Münze zurückgezahlt. Der unnötige Lärm, den er schlug, mußte einen von den Jägern geweckt haben, denn ein schwerer Schuh sauste durchs Halbdunkel, und ich hörte, wie Herr Mugridge vor Schmerz aufheulte und demütig um Entschuldigung bat. Später bemerkte ich, daß sein Ohr gequetscht und angeschwollen war. Es bekam seine frühere Form nie ganz wieder und wurde von den Matrosen von jetzt an „Blumenkohlohr" genannt.
Der Tag wurde eine Kette von Verdrießlichkeiten verschiedenster Art. Ich hatte am Abend meine getrockneten Kleider vom Kombüsendach heruntergeholt und wollte sie nun zunächst wieder mit dem Zeug des Kochs vertauschen. Ich sah nach meiner Börse. Außer einigem Kleingeld (ich habe ein gutes Gedächtnis für derlei) hatte sie hundertfünfundachtzig Dollar in Gold und Scheinen enthalten. Die Börse fand ich, aber bis auf das Kleingeld war sie leer. Ich fragte den Koch danach, und wenn ich auch eine schroffe Antwort erwartet hatte, so überstieg ihre Niedertracht doch alle Grenzen.
„Sag mal, Hump", begann er knurrend, und seine Augen leuchteten vor Bosheit, „was willst du eigentlich? Wenn du meinst, daß ich ein Dieb bin, dann hast du dich geirrt. Ich will blind sein, wenn das nicht der schwärzeste Undank ist, den ich je erlebt habe. Da kommt so ein elendes Gestell von Mensch, ich nehme es in meine Kombüse, behandle es gut, und das hab ich nun davon! Das nächstemal kannst du meinetwegen zum Teufel gehen, ich werde schon dafür sorgen!"
Damit hob er die Fäuste und ging auf mich los. Zu meiner Schande sei gesagt, daß ich dem Schlage feige auswich und zur Kombüse hinauslief. Was hätte ich tun sollen? Gewalt, nichts als rohe Gewalt herrschte auf diesem Schiffe. Moralische Begriffe galten hier nicht.
Meine Flucht aus der Kombüse verursachte qualvolle Schmerzen in meinem Knie, und hilflos sank ich neben der Kajütentür zu Boden. Aber der gewalttätige Koch hatte mich nicht verfolgt.
„Sieh mal, wie er laufen kann! Wie er laufen kann!" hörte ich ihn rufen. „Und mit dem Bein! Komm nur wieder her, Muttersöhnchen. Ich tue dir ja nichts, wirklich nicht."
Ich kam zurück und nahm meine Arbeit wieder auf. Für diesmal war von der Sache nicht mehr die Rede, wenn sich auch später weitere Verwicklungen daraus ergeben sollten. Ich deckte den Frühstückstisch in der Kajüte, und um sieben Uhr wartete ich Jägern und Offizieren auf. Der Sturm hatte sich im Laufe der Nacht etwas gelegt, wenn die See auch noch hoch ging und immer noch ein steifer Wind wehte. Die Segel waren wieder gehißt worden, so daß die Ghost jetzt unter voller Leinwand bis auf die beiden Toppsegel und den Außenklüver dahinschoß. Diese drei Segel sollten, wie ich der Unterhaltung entnahm, gleich nach dem Frühstück gesetzt werden.
Ich erfuhr auch, daß Wolf Larsen bedacht war, soviel wie möglich aus dem Sturm herauszuholen, der ihn nach Südwest, der Gegend zutrieb, wo er erwarten konnte, in den Nordostpassat zu kommen. Mit diesem stetigen Wind hoffte er den größten Teil der schnellen Fahrt nach Japan zurücklegen zu können, und deshalb schlug er jetzt einen Bogen nach Süden in die Tropen, um dann, wenn er sich der asiatischen Küste näherte, wieder nach Norden zu steuern.
Nach dem Frühstück hatte ich wieder ein recht unangenehmes Erlebnis. Als ich das Geschirr abgewaschen und den Herd gereinigt hatte, trug ich die Asche an Deck, um sie über Bord zu schütten. Wolf Larsen und Henderson standen, in ein Gespräch vertieft, in der Nähe des Ruders. Johansen steuerte. Als ich nach Luv ging, sah ich, wie er eine Bewegung mit dem Kopf machte, die ich aber mißverstand und für einen Gutenmorgengruß hielt. In Wirklichkeit war es ein Versuch, mich zu warnen, die Asche in Luv über Bord zu werfen. Ohne zu ahnen, was ich anrichtete, ging ich an Wolf Larsen und dem Jäger vorbei und warf die Asche gegen den Wind über Bord. Der Wind aber wehte sie zurück und überschüttete nicht nur mich, sondern auch Wolf Larsen und Henderson damit. Im nächsten Augenblick hatte mir der Kapitän einen Stoß versetzt, als wäre ich ein Hund, einen Stoß, der so heftig war, daß ich gegen die Kajüte taumelte, wo ich mich halb ohnmächtig gegen die Wand lehnte. Alles schwamm mir vor den Augen, und mir wurde übel.
Mit Mühe gelang es mir, an die Reling zu kriechen. Wolf Larsen folgte mir nicht. Er klopfte sich die Asche von der Kleidung und nahm seine Unterhaltung mit Henderson wieder auf. Johansen, der den ganzen Auftritt mit angesehen hatte, schickte ein paar Matrosen nach achtern, um das Deck zu säubern.
Später am Morgen erlebte ich eine Überraschung ganz anderer Art. Nach Anweisung des Kochs war ich in Wolf Larsens Kajüte gegangen, um aufzuräumen. An der Wand, dicht neben dem Kopfende der Koje, befand sich ein volles Büchergestell. Ich warf einen Blick darauf und sah zu meinem Erstaunen Namen wie Shakespeare, Tennyson und Poe. Auch wissenschaftliche Werke gab es, darunter Bücher von Darwin, Astronomie und Naturwissenschaften waren vertreten, und ich bemerkte Bulfinchs „Zeitalter der Fabel", Shaws „Geschichte der englischen und amerikanischen Literatur" und Johnsons „Naturgeschichte" in zwei dicken Bänden. Ferner eine Anzahl Grammatiken. Und ich mußte lächeln, als ich ein Exemplar von Deans „Die englische Sprache" sah. Ich konnte diese Bücher nicht mit dem Manne, wie ich ihn bisher kennengelernt hatte, in Einklang bringen. Ob er sie wirklich las? Als ich aber das Bett machte, fand ich zwischen den Decken die Cambridge-Ausgabe von Browning, die ihm offenbar beim Einschlafen aus der Hand geglitten war. In dem Buche war das Gedicht „Auf einem Balkon" aufgeschlagen, und ich sah, daß er mehrere Stellen mit einem Bleistift angestrichen hatte. Als ich bei einer heftigen Bewegung des Schiffs den Band fallen ließ, fiel ein Blatt Papier heraus. Es war über und über mit geometrischen Figuren und Berechnungen bekritzelt.
Es war klar, daß dieser furchtbare Mensch kein Dummkopf sein konnte. Er wurde mir plötzlich ein Rätsel. Ich hatte schon bemerkt, daß seine Sprache ausgezeichnet war, nur gelegentlich konnte sich ein kleiner Fehler einschleichen. In der Unterhaltung mit Seeleuten und Jägern strotzte sie natürlich von Slangausdrücken, aber die wenigen Worte, die er bisher mit mir gewechselt hatte, waren klar und korrekt gewesen.
Der Schimmer, den ich von der andern Seite seines Wesens erblickt hatte, muß mich ermutigt haben, denn ich entschloß mich, über den Verlust meines Geldes mit ihm zu sprechen.
„Ich bin bestohlen worden", sagte ich zu ihm, als ich ihn bald darauf traf, wie er allein auf dem Achterdeck auf und ab schritt.
„Herr", verbesserte er mich, nicht rauh, aber ernst.
„Ich bin bestohlen worden, Herr", machte ich meinen Fehler wieder gut.
„Wie ist das zugegangen?" fragte er.
Da erzählte ich ihm die ganze Geschichte. Er lächelte bei meinem Bericht. „Nebeneinnahmen", schloß er, „Köchleins Nebeneinnahmen. Finden Sie nicht, daß Ihr Leben den Preis wert war? Nebenbei: Betrachten Sie es als eine Lehre. Lernen Sie, selbst auf Ihr Geld zu achten. Ich denke mir, daß das bis jetzt