Seewölfe - Piraten der Weltmeere 34. Roy Palmer
Читать онлайн книгу.wäre. Rodriguez hatte de Veloso daraufhin spontan zum neuen Kapitän befördert. Eine Woche hatte er dem Konvoi Geleitschutz geliefert, dann, am tragischen 12. August, hatten die Serranilla-Bänke dem ohnehin schon arg reduzierten Konvoi den Rest gegeben.
Rodriguez hatte sich überlegt, ob er nun einfach fliehen sollte. Doch das konnte er nicht. Man würde ihn suchen und finden. Er mußte nach Havanna laufen, was blieb ihm anderes übrig?
Die letzte Chance bot eben nur Diaz de Veloso. Er, Rodriguez, würde ihn mit sich nach Havanna locken, wenn er zurückkehrte. Auf Kuba würde er ihn dann ganz rigoros der Pflichtvernachlässigung bezichtigen und ihm die ganze Schuld an dem Unheil in die Schuhe schieben. Was konnte de Veloso zu seiner Verteidigung vorbringen? Nichts! Er war ja der Geleitschutz.
Gewiß, Rodriguez hatte einen Narren an ihm gefressen. Doch was bedeutete das schon? Männer stiegen und fielen in seiner Gunst, wie es ihm gerade in den Kram paßte. Und in einer Situation wie dieser war sich jeder selbst der Nächste.
Rodriguez fühlte sich eingedenk dieser Erkenntnis irgendwie erleichtert. Vielleicht hatte er Glück, vielleicht ließ sich doch noch alles zu seinen Gunsten bereinigen. Er wandte sich von dem Fenster ab, zündete eine Öllampe an und verließ die Kapitänskammer. In den Schiffsgängen war es düster. Ohne Licht konnte man nicht die Hand vor den Augen sehen. Rodriguez wanderte durch sein stolzes Flaggschiff und glich die rollenden und stampfenden, beständig zunehmenden Decksbewegungen mit erstaunlichem Geschick aus. Er war ein dicker Mann, aber dennoch besaß er große Wendigkeit.
Rodriguez steuerte einen bestimmten Raum im Vordeck an. Er war zu dem Schluß gelangt, daß alle Seelenqual nichts nutzte und ihn nicht weiterbrachte. Abwechslung tat not. Er wollte die tristen Gedanken verdrängen und über Bord werfen.
Plötzlich polterten Schritte den Niedergang hinunter. Der Generalkapitän wollte sich verstecken, doch es war zu spät. Es paßte ihm nicht, hier von einem seiner Untergebenen gesehen zu werden. Aber jetzt ließ es sich nicht mehr ändern.
Ausgerechnet der Erste Offizier trat ihm entgegen. Er grüßte höflich, aber um seine Mundwinkel spielte ein spöttischer Ausdruck.
„So früh schon auf den Beinen, mi Capitan General? Aber, aber, das ist doch ganz gegen Ihre Gewohnheiten. Ist etwas nicht in Ordnung?“
„Wir kriegen Sturm“, erwidete Rodriguez unfreundlich.
„Ja. Aber ich versichere Ihnen, daß auch hier unten im Vordeck alles ordnungsgemäß gestaut und festgezurrt ist.“
„Es empfiehlt sich, immer alles doppelt und dreifach zu prüfen“, entgegnete Francisco Rodriguez barsch. „Sie wissen genau, wie das ist. Die Mannschaft schläft mit offenen Augen. Man kann sich auf keinen der Hunde verlassen.“
Der Erste Offizier lächelte. Für eine Weile herrschte Schweigen, und sie fixierten sich über den Lichtkreis der Öllampe weg. Nur das Knarren und Ächzen der Verspannungen im Schiffsrumpf waren zu hören. Endlich bewegte sich der andere, ging an seinem Kapitän vorbei und deutete auf ein Schott. Rodriguez hatte es fast erreicht, als er von dem Mann gestört worden war. Schwach hoben sich die Umrisse des schwer verriegelten Schotts im trüben Lichtschimmer ab.
„Natürlich entzieht es sich meiner Kenntnis, was sich in dem Raum dort befindet“, sagte der Erste Offizier. „Sie haben den Schlüssel, mi Capitan General. Weiß der Teufel, was hinter dem Schott vorgeht. Wollen wir zusammen nachsehen, ob alles seine Richtigkeit hat?“
Rodriguez kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. „Wie soll ich das verstehen – was dort vorgeht?“
Der Offizier wußte, daß er mit dem Feuer spielte. Doch die Ereignisse der letzten Tage, die offensichtliche Niederlage und Schmach des Generalkapitäns, bemüßigten ihn zu einem Maß an Forschheit, das er sich sonst niemals erlaubt hätte.
Er baute sich vor Rodriguez auf und sagte ohne Umschweife: „Jetzt mal ganz offen, was verbergen Sie dort? Glauben Sie denn, es ist mir entgangen, daß die Kombüse tagtäglich größere Rationen kocht, als für Offiziere und Mannschaft verbraucht werden? Meinen Sie, ich hätte Tomaten auf den Augen? Dreimal täglich schafft Ihr Aufklarer Proviant hier herunter und hat strenge Order, die Tabletts und Kübel und was sonst noch alles vor dem Schott abzusetzen. Und weiter? Dann erscheinen Sie, schließen auf und lassen die Leute dort drinnen Essen fassen. Na schön, Sie haben das alles stets heimlich abgewickelt. Aber für wie dumm halten Sie uns Offiziere eigentlich? Auf einem Schiff kann so was nicht lange verborgen bleiben. Wir beobachten Sie seit einiger Zeit. Ich verlange eine Erklärung.“
Don Rodriguez war kleiner als sein Erster Offizier. Rein äußerlich gab er eine eher groteske als respekteinflößende Figur ab. Doch das täuschte nicht über den harten Kern in seinem Inneren hinweg. Der Erste Offizier war zu weit gegangen, er bemerkte es. Rodriguez’ Augen hatten plötzlich einen eisigkalten, erschrekkenden Ausdruck. Der Erste Offizier bereute seine Worte, noch bevor der Generalkapitän zur Antwort ansetzte, aber zurücknehmen ließ sich das Gesagte nicht mehr.
„Erklärung?“ fuhr Rodriguez ihn an. „Was fällt Ihnen überhaupt ein, sich eines solchen Tones zu bemächtigen? Diese Frechheit werden Sie noch bereuen, de Morales, das schwöre ich Ihnen. Was Sie sich hier anmaßen, grenzt an Meuterei!“
De Morales, der Erste Offizier der „San Josefe“, versuchte seinen Fehler durch Flucht nach vorn zu übertrumpfen. Er trat zwei Schritte vor. Plötzlich zuckten seine Hände hoch, packten die Rockaufschläge des Generalkapitäns und hielten sie fest. De Morales’ Gesicht war dicht vor dem von Rodriguez.
„So leicht winden Sie sich nicht heraus“, sagte de Morales scharf. „Antworten Sie auf meine Frage. Wer verbirgt sich in dem Raum?“
Rodriguez lief vor Zorn und Empörung dunkelrot an. In diesem Augenblick sah es wirklich so aus, als blähe sich sein gewaltiger Leib noch mehr auf. Sein Selbstvertrauen war erschüttert, aber nicht so weit, daß er sich jetzt von einem simplen Schiffsoffizier erniedrigen und seiner Autorität berauben ließ.
„Sie!“ keuchte er. „Bastardo – Hundesohn! Verdammter Querulant, dir werde ich zeigen, was es heißt, einen Rodriguez anzugreifen!“
De Morales wußte nicht, welcher Teufel ihn ritt, aber er ließ nicht von dem dicken Mann ab. Im Gegenteil, er krallte die Finger in dessen Aufschläge fest und schüttelte ihn. „Spuck es aus, dein Geheimnis. Eher kommst du hier nicht ’raus!“
Wenn de Morales aber geglaubt hatte, sich jetzt den übergewichtigen Kapitän unterwerfen zu können, dann hatte er sich gründlich getäuscht. Es war eben sein Pech, daß er zuvor niemals Gelegenheit gehabt hatte, seine Kräfte mit denen Rodriguez’ zu messen. Er hatte ihn unterschätzt. Er war nicht besonders groß, dieser Francisco Rodriguez, aber er verfügte über verblüffende Körperkraft, besonders in den Armen.
Unversehens fühlte sich de Morales hochgehoben und durch den Gang des Vorkastells geschleudert. Er ruderte mit den Armen, aber das nutzte ihm nichts. Rücklings prallte er gegen eine Wand, stöhnte auf und rutschte daran zu Boden. Ehe er sich wieder aufrappeln konnte, war Rodriguez bei ihm. Rodriguez eilte flink wie ein Affe herbei. Seine Körpermassen wabbelten und schwabbelten, doch sie behinderten ihn nicht in seiner Aktion.
„Dreckskerl! Meuterer!“ schrie er. Und dann prasselte ein Trommelfeuer von Ohrfeigen, Boxhieben, Knüffen und Tritten auf de Morales nieder.
Der Gepeinigte versuchte den Angriff abzuwehren. Er trachtete geradezu verzweifelt danach, eine Bresche in den Hagel aus Hieben zu treiben, doch jedes Unterfangen wurde durch Rodriguez’ Heftigkeit unterbunden.
De Morales’ Wangen färbten sich rot bis violett. Seine Stirn hatte Schrammen. Seine Unterlippe platzte auf, und aus seiner Nase tropfte plötzlich Blut. Für kurze Zeit konnte er die Arme des Generalkapitäns festhalten, doch dann riß jener sich wieder los unf drang von neuem auf ihn ein.
„Aufhören“, stammelte de Morales. „Ich ergebe mich.“
Rodriguez stieß einen wilden Schrei aus. Er klang mehr wie ein Heulen. „Ha! Er ergibt sich! Daß ich nicht lache. Hier bestimme ich, wann alles vorüber ist.“
Und