Das Dekameron. Giovanni Boccaccio

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Das Dekameron - Giovanni  Boccaccio


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einige Zeit bei sich und legte ihm die Buße auf, dass er alle Morgen die Messe zum heiligen Kreuze hören und sich hernach zur Mittagsstunde bei ihm vorstellen musste, wogegen er mit der übrigen Tageszeit anfangen durfte, was immer er wollte. Jener richtete treulich aus, was ihm auferlegt war, und da traf es sich eines Morgens bei der Messe, dass in dem Evangelium die Worte abgelesen wurden: Es wird euch alles hundertfältig vergolten werden, und ihr werdet das ewige Leben haben. Diese Worte schrieb er sich ins Gedächtnis und erschien, dem Befehle gemäß, um die Mittagsstunde vor dem Inquisitor, der schon bei Tische saß. Dieser fragte ihn, ob er des Morgens die Messe gehört habe.

      „Ja, Hochwürden“, war die Antwort.

      „Ist dir nichts dabei vorgekommen, woran du einige Zweifel hättest und mich darüber befragen möchtest?“

      „Nichts“, sprach der gute Mann. „Ich zweifle an keinem, das ich gehört habe, sondern glaube alles fest und gewiss. Aber eine Sache habe ich gehört, die mir leid ist um Euretwillen und wegen aller Eurer Mitbrüder, wenn ich an den unglücklichen Zustand denke, der Euch in jener Welt erwartet.“

      „Wie lauteten denn die Worte, die dich so zum Mitleid mit uns bewegten?“ fragte der Minorit.

      „Es waren die Worte des Evangeliums: Es wird euch alles vergolten werden hundertfältig.“

      „So steht in der Schrift geschrieben“, sprach der Inquisitor, „aber warum haben dich diese Worte so sehr bewegt?“

      „Ich werd‘s Euch sagen, hochwürdiger Herr! Seitdem ich hier aus- und eingehe, habe ich täglich gesehen, dass eine Menge armer Leute bald einen, bald mehrere Kessel Suppe hier abholen, die als überschüssig von Eurer Tafel und der der übrigen Brüder weggeräumt werden. Wenn Ihr nun für jeden Kessel Suppe hundert in jener Welt wiederbekommt, so müsst Ihr ja alle darin ersaufen.“ Hierüber lachten nun zwar alle, die an des Inquisitors Tafel saßen, er selbst aber, der wohl spürte, dass diese Stichelei auf ihre infame heuchlerische Suppenspende abziele, verfärbte sich ganz, und wenn er nicht gefürchtet hätte, dass dieser Vorgang ihm keine Ehre machen würde, so hätte er dem Spötter einen neuen Prozess aufgehalst, weil er mit seinem witzigen Einfall ihn und die anderen faulen Bäuche aufgezogen hatte. Übelgelaunt befahl er ihm zu gehen, wohin er wolle, und ihm nur nicht wieder vor die Augen zu kommen.

       SIEBENTE NOVELLE

      Bergamino beschämt Herrn Cane della Scala auf eine feine Art wegen einer plötzlichen Anwandlung von Geiz, indem er ihm die Geschichte vom Primasseau und von dem Abte zu Cligny erzählt.

      Emiliens Geschichte und ihre muntere Art zu erzählen gab der Königin und der ganzen Gesellschaft genug Anlass zum Lachen, und man lobte den komischen Einfall des Kreuzträgers. Wie aber das Lachen vorüber und alles wieder still war, fing Filostrato, den die Reihe traf, folgendermaßen an zu reden:

      Es ist zwar recht schön, meine trefflichen Damen, ein Ziel zu treffen, das an einem festen Ort steht, allein es ist viel mehr zu bewundern, wenn ein Bogenschütze, der etwas Unerwartetes plötzlich erblickt, es auch sogleich trifft. Dass das lasterhafte und abscheuliche Leben der Geistlichen als ein immerwährendes Ziel der Lasterhaftigkeit dasteht, bietet einem jeden, dem es beliebt, einen leichten Anlass dar zum Afterreden, Sticheln und Tadeln, und obwohl der Ehrenmann ganz recht hatte, der dem Inquisitor die heuchlerische Mildtätigkeit seiner Brüder vorwarf, die den Armen das geben, was sich nur für die Schweine oder zum Wegwerfen schickt, so scheint mir doch der noch mehr Beifall zu verdienen, von dem ich euch, durch die vorhergehende Geschichte veranlasst, jetzt erzählen will; indem er den Herrn Cane della Scala, einen sonst freigebigen Mann, wegen einer bei ihm unerhörten plötzlichen Anwandlung von Geiz durch eine artige Geschichte strafte, in der er ihm unter fremdem Namen das vorstellte, was eigentlich sie beide selbst betraf.

      Messer Cane della Scala, ein Mann, den das Glück auf mancherlei Weise begünstigt hatte, war, wie die Sage fast überall geht, einer von den vornehmsten und hochherzigsten Herren, die es seit Kaiser Friedrichs II. Zeit in Italien gegeben hat. Als dieser einst in Verona ein überaus prächtiges und Aufsehen erregendes Fest angesetzt hatte und schon von allen Orten und Gegenden, besonders vom Hofe, Gäste von vielerlei Stand und Würden sich einstellten, besann er sich plötzlich – weiß der Teufel, warum – eines andern, sorgte einigermaßen für diejenigen, die gekommen waren, beschenkte und entließ sie. Nur ein gewisser Bergamino, ein Mann, von dessen schlagfertiger und zierlicher Beredsamkeit man sich, ohne ihn gehört zu haben, keinen Begriff machen konnte, blieb allein unbeschenkt zurück, ohne seinen Abschied zu erhalten, doch blieb er in der ausgesprochenen Absicht, in der Folge schon noch auf seine Kosten zu kommen. Allein Herrn Cane hatte es gedeucht, dass alles, was er an ihm täte, nicht besser angewandt wäre, als wenn er es ins Feuer würfe. Indessen sagte er selbst ihm nichts davon und ließ ihm auch nichts sagen. Da Bergamino nach Verlauf einiger Zeit sah, dass er weder eingeladen, noch eine Probe seiner Kunst von ihm begehrt wurde, und dass er übrigens mit seinen Dienern und Pferden in der Herberge sein Geld verzehrte, fing er an, missvergnügt zu werden; doch wartete er noch immer, weil er es nicht für ratsam hielt, sich zu entfernen. Er hatte drei schöne, kostbare Kleider, die ihm andere Herren geschenkt hatten, mitgebracht, um mit Ehren bei dem Feste erscheinen zu können. Wie nun sein Wirt Geld haben wollte, gab er ihm zuerst eins von den Kleidern in Bezahlung, und wie er noch länger verweilen musste, war er auch genötigt, das zweite herzugeben, wenn er in seinem Quartier bleiben wollte. Endlich fing er auch an, auf das dritte Kleid Kredit zu nehmen, entschlossen auszuharren, solange dies hinreichte, und dann zurückzureisen. Indem er nun noch an diesem letzten Kleide zehrte, traf es sich eines Tages, da eben Messer Cane an der Mittagstafel saß, dass er mit ziemlich bekümmerter Miene ihm gerade gegenüber stand. Messer Cane, der dieses gewahr ward, fragte ihn, mehr um ihn zu foppen, als um eines seiner bekannten Bonmots zu hören: „Bergamino, was fehlt dir? Du siehst ja so niedergeschlagen aus, erzähle uns doch etwas.“

      Bergamino, ohne sich einen Augenblick zu bedenken, gab ihm auf der Stelle durch folgende Erzählung seine Lage zu erkennen.

      „Ihr werdet wohl wissen, Herr, dass Primasso ein trefflicher Grammatiker und ein vor vielen anderen berühmter und geschickter Dichter war, weswegen er bald überall so geschätzt und geehrt ward, dass, obwohl ihn nicht ein jeder persönlich kannte, doch fast kein Mensch war, der von seinem Namen und seinem Ruf nicht schon gehört hätte. Nun traf es sich einmal, dass er sich in einem ärmlichen Aufzuge in Paris aufhielt (wie denn sein Talent, das nur wenig Unterstützung bei vermögenden Leuten fand, ihm selten einen besseren Zustand verschaffte), wo er von dem Abte zu Cligny reden hörte, von welchem man glaubte, dass er unter allen Prälaten der Kirche Gottes, den Papst ausgenommen, die größten Einkünfte besaß. Von diesem erzählte man ihm Wunderdinge, beschrieb seine Hofhaltung in den buntesten Farben, und dass man es keinem, der zu ihm käme, an Speise und Trank fehlen ließe, wenn er sich nur bei dem Abt selbst zur Tafelzeit meldete. Als Primasso dies hörte, der immer ein Vergnügen darin fand, ausgezeichnete Männer und hohe Herren kennenzulernen, entschloss er sich, hinzugehen und die hochherzige Freigebigkeit des Abtes in Augenschein zu nehmen. Er erkundigte sich, wie weit von Paris er wohne, und erfuhr, dass er sich nur etwa sechs Meilen davon auf einem seiner Landgüter aufhalte, sodass Primasso rechnete, wenn er des Morgens zeitig aufbreche, dass er um die Mittagszeit dort eintreffen könne. Er ließ sich den Weg sagen, doch weil er niemanden hatte, der ihn begleitete, so besorgte er, dass er vielleicht irregehe und an einen Ort kommen möchte, wo er nicht leicht ein Mahl fände; um nun also nicht Hunger zu leiden, fand er für gut, drei Brote mit sich zu nehmen, denn Wasser, dachte er, fände sich wohl allenthalben, wiewohl er sonst eben kein Liebhaber davon war. Die Brote steckte er in die Tasche, machte sich auf den Weg und wanderte so rasch, dass er noch vor der Mittagszeit in dem Landhause des Abtes eintraf. Er ging hinein und sah sich allenthalben um, und wie er die Menge der gedeckten Tafeln, die großen Anstalten in der Küche und alles Übrige staunend betrachtete, was Bezug auf das Mittagsmahl hatte, dachte er bei sich selbst: ‚Wahrlich, der Abt ist so gastfrei, wie man‘s ihm nachsagt.‘ Indem er seinen Geist mit alledem beschäftigte, ließ der Haushofmeister Wasser zum Händewaschen bringen, worauf sich ein jeder zu Tische setzte. Es traf sich, dass Primasso gerade der Tür gegenüber zu sitzen kam, durch die der Abt hereintreten musste, um zur Tafel zu gehen. Nun war es an seinem


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