Leni Behrendt Staffel 1 – Liebesroman. Leni Behrendt
Читать онлайн книгу.Heimat war, verließ die beiden Menschen, an denen sein Herz zutiefst hing. Das andere hatte mit seinem Herzen nichts zu tun, war nur eine Verirrung gewesen. Dessen wurde er sich gleich bewußt, sobald er den Verführungskünsten der raffinierten Kokotte entrückt war. Der Onkel tat ihm leid, der sich auch in ihren Netzen so gründlich verfangen hatte. Er würde seine späte Liebe bitter bereuen müssen.
Allein, das Schicksal hatte ein Einsehen, öffnete dem Verblendeten die Augen noch vor Toresschluß, und die skrupellose Schöne wurde auch diesen Ehekandidaten los. Nun, sie machte sich nicht viel daraus.
Um so mehr litten die beiden Männer darunter, der eine hier, der andere dort. Es schien keine Brücke mehr zu geben, die sie wieder zusammenführte. Der Onkel verwaltete weiter seinen Besitz, der Neffe trieb sich irgendwo in der Weltgeschichte herum. Er konnte es unbesorgt tun, da er über das elterliche Vermögen verfügte, welches von dem fürsorglichen Vormund sicher angelegt worden war.
Daß er einmal Brandungen übernehmen konnte, den Traum hielt Detlef Trützger für ausgeträumt. Er zweifelte nämlich keinen Augenblick daran, daß der Onkel die verräterische Frau geheiratet hatte. Und diese war noch jung genug, um Brandungen den Erben zu schenken.
Um so besser war der Onkel über den Neffen orientiert. Er wußte genau über dessen Leben und Treiben, über seinen Aufenthalt Bescheid.
Und so konnte es kommen, daß Detlef den Brief des Arztes erhielt. Das Schreiben hatte ihn, der sich gerade hoch oben in Norwegen aufhielt, auf Umwegen und mit beträchtlicher Verspätung erreicht. Und in dem Schreiben stand, daß sein Onkel Rasmus lebensgefährlich erkrankt sei und daß er das Kommen des Neffen ersehnte. –
Langsam wandte der junge Graf sich jetzt dem Arzt zu, der im Sessel saß und geduldig wartete, bis der Mann sich zu einem klaren Entscheid durchgerungen hatte.
»Ich möchte jetzt zu meinem Onkel, Herr Doktor«, klang die sonore Männerstimme fest durch das tiefe Schweigen. »Ich bin bereit, alles das zu tun, was er von mir verlangt, verlangen muß, da es um die Zukunft seines einzigen, so heißgeliebten Kindes geht.«
»Das freut mich, Herr Graf«, entgegnete der Arzt warm. »Ehrlich gesagt, habe ich mit diesem Entschluß gerechnet und erwarte für meinen Kranken viel von ihm. Möge der Herrgott dem Hause Trutzger gnädig sein.«
*
Leise trat der junge Graf an das Bett des Pflegevaters und beugte sich über ihn. In dem harten Männerantlitz zuckte es vor Erschütterung. Was war aus dem kerngesunden, immer so schneidigen Mann geworden, der, als er ihn vor Jahren verließ, die Vitalität eines jungen Mannes besaß? Ein menschliches Wrack.
Warm umschlossen die nervigen Männerhände die schlaffen, müden, und eine vibrierende Stimme sprach langsam und behutsam:
»Onkel Rasmus, ich bin bei dir. Onkel Rasmus, dein Junge ist da.«
Die Lider des Kranken zuckten, öffneten sich mühsam, und dann hob ein tiefer Atemzug die Brust.
»Endlich bist du da, mein Junge. Gott sei Lob und Dank! Weißt du auch, was mein heißester Wunsch ist? Rosita und du…«
Flehend hingen die Augen des Kranken an dem Gesicht über dem seinen, bettelten wie um Gnade.
»Junge, darf ich das überhaupt von dir verlangen?«
»Ja, Onkel Rasmus, das darfst du«, erfolgte die Antwort fest und bestimmt. »Kraft deines Vaterrechtes, das du an dem Waisenknaben erwarbst und der dir zur Dankbarkeit verpflichtet ist. Ich schwöre dir, deinen berechtigten Wunsch zu erfüllen.«
Da glitt ein Lächeln um den blutleeren Mund des Kranken. Der Bick wanderte wie suchend weiter und blieb dann an dem gleißenden Köpfchen hängen, das am Bettrand lehnte. Fest lagen die langen Wimpern über den Augen, die in den kummervollen Tagen und Nächten sich heiß und müde geweint hatten. Die kraftlose Hand des Kranken hob sich mühsam, legte sich wie segnend auf das Köpfchen seines Kindes, und dann fielen auch diese müden Augen zu.
»Um Gott, Herr Doktor!« fuhr Detlef angstgepeinigt zu dem Arzt herum, der dem Vorgang mit atemloser Spannung gefolgt war. Doch der flüsterte ihm beruhigend zu:
»Keine Angst, Herr Graf, unser Kranker schläft, und diesen Schlaf habe ich ersehnt. Ihr Erscheinen hat das Wunder bewirkt, das ich erhoffte. Doch nun müssen wir zusehen, daß wir das Komteßchen von seinem unbequemen Platz weglotsen. Das arme Kind ist ja zwölf Tage und Nächte lang nicht aus den Kleidern gekommen. Kein Wunder, daß der Schlaf es endlich überwältigte.«
Damit trat er zu der Schlafenden und schüttelte sie leicht.
»Heda, Komteßchen, ermuntern Sie sich«, sprach er gedämpft auf sie ein, die auch gleich hochfuhr und die schlaftrunkenen Augen erschrocken aufriß.
»Großer Gott, Paps, mein Paps!« flatterte das Stimmchen angstbebend – auf, doch schon legte sich die Hand des Arztes zärtlich auf die bebenden Lippen.
»Pst, er schläft, aber schauen Sie mal, wen wir hier haben.«
Sein Finger zeigte auf Detlef, die Mädchenaugen öffneten sich weit, dann hing dem Mann etwas Warmes, Weiches am Hals.
»Detlef, nun bist du endlich da, jetzt wird alles gut.«
Der zarte Körper wurde plötzlich schwer, sackte in sich zusammen – der Graf hielt eine Ohnmächtige im Arm. Rasch gefaßt hob er sie hoch, trug sie in das Nebenzimmer und legte sie auf den Diwan. Dann ging er dem Arzt zur Hand, und bald schlug Rosita die Augen auf.
»Nun, Komteßchen, das finde ich aber gar nicht hübsch von Ihnen«, polterte der Arzt, um seine Rührung zu verbergen. »Uns so zu erschrecken, ist einfach unerhört. Und dabei geht es dem Paps so gut, er schläft sich gesund.«
»Wirklich, Herr Doktor, brauche ich keine Angst mehr zu haben?«
»Na, erlauben Sie mal, kleine Dame, seit wann soll ich denn schwindeln? Und Angst haben nur Feiglinge, nicht wahr, Herr Graf?«
»Will ich meinen«, gab dieser lächelnd Antwort und setzte
sich auf den Diwan. Mit einem Gefühl der Rührung schaute er in das blasse, magere Gesichtchen, aus dem die Augen unnatürlich groß heraussahen.
»Bleibst du jetzt hier, Detlef?«
»Ja, Rosita.«
»Für immer?«
»Ja.«
»Wirst du mich auch heiraten, weil der Paps es so haben will?«
Er sowie die beiden anderen Menschen hatten Mühe, bei dieser kindlichen Frage ein Lächeln zu unterdrücken.
»Willst du mich denn auch, Rosita?«
»Ja, weil Paps das für richtig hält. Und du?«
»Gleichfalls.«
»Nun, dann ist ja alles gut, dann wird der Paps bestimmt gesund werden. Er konnte es ja bisher nicht, weil er sich so sehr um mich sorgte, aber jetzt bist du ja da.«
Die letzten Worte tropften nur noch schlaftrunken von den Lippen, dann fiel das gleißende Köpfchen zur Seite. Rosita schlief so tief und fest wie jemand, der sein Geschick in zuverlässigen Händen weiß.
Gerührt schauten die drei Menschen auf das schlummernde Mädchen, das trotz seiner neunzehn Jahre immer noch wie ein weltfremdes Kind war, ein verzogenes, wildes, aber liebreizendes Mädchen. Schmunzelnd meinte der Arzt:
»Die ist für mindestens vierundzwanzig Stunden wohlverwahrt und aufgehoben. Hat diesen Schlaf aber auch redlich verdient.«
*
Unberechenbar, wie der November nun einmal ist, brach er plötzlich sein Toben ab und ließ die verkrochene Sonne durch die zerrissenen Wolken lugen, bis in das Zimmer hinein, wo der gestern heimgekehrte junge Graf in seinem breiten Bett schlummerte. Die Augen öffneten sich, schauten zuerst noch schlaftrunken umher, ein kurzes Besinnen, dann sprang er mit beiden Beinen zugleich aus dem Bett, gähnte herzhaft, streckte die wundervoll gewachsenen Glieder und ging dann erst einmal unter die