Karin Bucha Staffel 3 – Liebesroman. Karin Bucha
Читать онлайн книгу.Zimmer zurück, stellte sich abermals ans Fenster und verlor sich in Grübeleien.
Wenn Markhoff nun das Kind überhaupt nicht wiederbrachte? Wenn er ihr auf diese Weise weh tun wollte? Aber nein! Das Kind gehörte doch ihr – ihr war es zugesprochen.
Unsinn – sie hatten sich verspätet.
Aber Stunde auf Stunde verrann – Ursula kam nicht!
Sie wußte bald nicht mehr, was sie tun sollte. Sie lief immer wieder ans Fenster, eilte die Treppen hinunter und die Straße entlang. Dann hetzte sie zurück, glaubte die Kleine sei inzwischen von der anderen Seite gekommen. Doch keine Ursula war zu sehen! Die junge Frau war dem Wahnsinn nahe.
Warum brachte man ihr das Kind nicht wieder! Ob sie bei Markhoff anrief? Aber in der Zwischenzeit konnte Ursula zurückkommen.
Bis zur nächsten Fernsprechzelle waren es immerhin fünf Minuten. So überlegte und grübelte sie. Ihre Gedanken hetzten wild durcheinander. Ihr Puls flog. Ihr schmales Gesicht schien keinen Tropfen Blut mehr zu besitzen.
Mittag war längst herangekommen. Noch immer war Ursula nicht zurück.
Jetzt war Brigitte überzeugt, daß Markhoff ihr einen Streich gespielt hatte. Ach, warum war sie wieder auf ihn hereingefallen. Nur eine Stunde!
Wild schluchzend warf sie sich in ihrem Schlafzimmer aufs Bett, bis Angst und Sorge um das Kind sie wieder emportrieben.
Ursula mußte gefunden werden! Ach, was waren dagegen die Sorgen um die Zukunft? Nichts! Ursula gehörte zu ihr!
Sie zwang sich zu ruhiger Überlegung. Aber hinter ihrer Stirn pochte und hämmerte es. Jeden Schritt, den sie tat, empfand sie als feinen Nadelstich im Kopf.
Seit Ursula aus dem Haus war, hatte sie noch nichts zu sich genommen. Sie dachte auch jetzt nicht ans Essen.
Was sollte sie tun? Zur Polizei laufen? Hilfe holen?
Achtlos stülpte sie ihren Hut aufs Haar, riß die Tasche an sich und stürmte aus der Wohnung. Auf der Treppe mußte sie sich am Geländer festhalten, so sehr zitterten ihr die Beine. Ihr war, als müsse sie jeden Augenblick zu Boden sinken.
Vor der Haustür stieß sie mit einem Mann zusammen. Sie wollte sich entschuldigen und schluchzte im nächsten Augenblick auf.
»Vater!«
»Brigitte, mein Gott, wie siehst du aus?«
Philipp Freier sah der Tochter besorgt in das bleiche, verstörte Gesicht, in dem die Augen flackerten.
»Markhoff hat mir Ursula genommen! Er hat sie heute morgen abholen lassen, um sie eine Stunde zu sehen, und bis jetzt ist sie nicht zurückgebracht worden! Vater, hilf mir, was soll ich nur tun? Bitte, hilf mir!«
Halb ohnmächtig umklammerte sie den Arm des Vaters. Erschüttert führte Freier die junge, an allen Gliedern zitternde Frau die Treppe wieder hinauf. Ihr Atem ging fliegend wie im Fieber. Wenn sie sich weiter so erregte, dann brach sie womöglich zusammen.
Seine Ruhe, die allerdings auch nur gekünstelt war, wirkte zunächst besänftigend auf die völlig kopflos gewordene Brigitte.
»Ursula kommt nicht wieder, Vater! Das ist Markhoffs Rache«, stieß sie, in der Wohnung angekommen, tonlos hervor. »Ich werde noch wahnsinnig! – Siehst du, Vater«, fuhr sie nach einer Weile bitter fort, »so hat er mich auch früher immer gequält. Bis an den Rand der Verzweiflung hat er mich gebracht, hat gelacht, während mir das Herz blutete.«
Freier erfaßte jetzt erst alles, nachdem er den Brief gelesen, den Brigitte achtlos auf den Tisch geworfen hatte. Sie trat neben ihn. Ihr Atem ging keuchend.
»War ich abermals zu leichtgläubig, Vater? Bin ich Markhoff blindlings in eine Falle gegangen?«
»Beruhige dich, Brigitte!«
Freier legte den Arm um sie. Sie hatte nicht gefragt, woher er kam, hatte ihn auch nicht mit Fragen überschüttet, weshalb er sie solange gemieden hatte. Daraus ersah er, wie sehr Brigitte erschüttert und aufgewühlt war. Er strich der Tochter über die heiße Stirn.
»Ich bin ja nun da, Brigitte. Zunächst rufe ich bei Markhoff an. Du wirst inzwischen hier warten, falls das Kind zurückgebracht wird.«
Gehorsam ließ sich Brigitte zur Couch führen, sank stöhnend darauf nieder und grub das heiße, zuckende Gesicht in die Kissen.
»Ursula! Ursula!«
Dieser grenzenlose Jammer schnürte Freier fast das Herz ab.
Behutsam drückte er die Tür hinter sich ins Schloß. Er war maßlos erbittert über Markhoff. Wie konnte er die junge Mutter in eine derartige Aufregung versetzen! Er war völlig davon überzeugt, daß das alles in der Absicht geschehen war, Brigitte zu quälen.
Oh, er sollte etwas erleben, dieser Markhoff, und wenn ein Unglück geschah!
In der nächsten Fernsprechzelle rief er in Markhoffs Wohnung an. Gerda, das Hausmädchen, meldete sich und war nicht weniger bestürzt.
»Ich denke, das Kind ist längst wieder bei Frau Markhoff! Nein, Herr Markhoff ist noch nicht zurück. Er ist mit dem Kind im Wagen fortgefahren. – Ja, ich bringe das Kind sofort zu Ihnen, sobald Herr Markhoff mit ihm zurückkommt.«
Um nichts erleichtert kehrte Freier wieder in die Wohnung seiner Tochter zurück.
Schon an der Tür hörte er Brigittes verzweifeltes Schluchzen.
Als er eintrat, flog ihr Kopf in die Höhe.
»Nun?«
Mutlos hob er die Schultern.
»Er ist mit dem Wagen fort und noch nicht zurückgekehrt«, sagte er und ließ sich nahe der Tür seufzend auf einen Stuhl fallen. »Wir müssen abwarten, Brigitte! Wir können vorläufig nichts unternehmen.«
»Ich bekomme Ursula nicht wieder! Paß auf, Vater, er hat mir das Kind genommen.«
»Unsinn, Brigitte!« beschwichtigte er sie. »Er wird sich unbeabsichtigt verspätet haben. Er hat das Kind bei sich. Vielleicht gefällt es Ursula so gut, daß sie gar nicht heimverlangt.«
Ein ungläubiges Lachen kam von ihren Lippen.
»Ich sehe noch ihre traurigen Augen. Sie wollte nicht zu ihm, wollte bei mir bleiben. Ich habe sie gezwungen – hörst du, Vater, ich selbst zwang sie zu gehen! Und nun?«
Wieder hetzte sie hin und her, nahm den Teddy zur Hand und sah aus tränenblinden Augen auf ihn nieder.
Plötzlich sank sie mit einem Wehlaut zu Boden.
Freier sprang hinzu, hob die leichte Gestalt auf und legte sie sanft auf die Couch. Voll tiefen Mitleids blickte er in das todblasse Gesicht der jungen Frau.
Ach, war das ein Jammer! Und er hatte Brigitte und das Kind mit heimbringen sollen! Kläre wartete auf ihn und die beiden.
*
Nahe beim See, in einem Gartenlokal, das sich terrassenförmig bis hinab zum Ufer senkte, saß Markhoff mit dem Kind.
Verschüchtert, still, die Augen zu Boden gesenkt, lehnte Ursula in einem Korbsessel mit bunten Kissen.
Vor ihr stand eine Schale mit Eis – unberührt.
»Iß doch, Ursula!« drängte Markhoff und neigte sich über dem Tisch dem Kind zu. »Ich glaube gar, du weinst! Schäm dich, ein so großes Mädel weint doch nicht!«
Ursula hob die grauen dunkelbewimperten Augen zu ihm empor. Tränen glänzten aber nicht darin.
Auf der zarten Wange waren noch die Spuren von dem Schlag des Vaters zu sehen.
»Wann fahren wir wieder fort?«
Markhoff lehnte sich lässig zurück und zündete sich eine Zigarette an. Er antwortete nicht, aber der Blick des Kindes wurde ihm langsam unbehaglich.
Hin und wieder warf er einen Blick auf seine Armbanduhr.