Das große Jagen. Ludwig Ganghofer
Читать онлайн книгу.die in die anstoßende Kammer führte. »Gute Sus? Du tust noch allweil nit schlafen, gelt?«
Eine müde Stimme: »Mögen tät ich. Mein Schlaf ist, ich weiß nit, wo.«
»Ich tu dich bitten, komm ein bißl zu mir!«
»Kind, was ist dir?« Etwas Graues huschte lautlos aus dem Dunkel heraus. »Du bist doch nit krank?«
»Krank nit. Ich tu mich sorgen, daß ich sündig bin, weil ich höllische Gespenster seh!«
»Geh, du Närrle!«
»Tu mich halsen, Sus! Noch fester! Jetzt ist mir wohl. Und alles ist wieder schwarz. Komm, Sus, tu beten mit mir.«
Leis erwiderte das Mädel: »Beten kann ich nit. Allweil muß ich an die Soldaten Gottes denken, und was dem guten Herren hätt drohen können.«
Es wurde laut im Haus. Eine Türe ging. Schritte und Stimmen; am deutlichsten die Stimme des Meisters.
Da tauchte plötzlich die Sus das Gesicht gegen den Schoß der Haustochter und brach in erwürgtes Schluchzen aus.
»Sus? Du Liebe! Was hast du denn?«
»Mir ist so weh, ich kann's nit sagen. Es bringt mich noch um.«
»Das sind die Soldaten nit. Das ist der Vater, den der Himmel jetzt erlöst – von den anderen zwei, die ich nit leiden mag. Gott tut mich warnen vor ihnen. Die bet ich noch fort aus unserem Haus. Sei still, liebe Sus! Da mußt du nit Angst haben.«
»Es ist nit Angst. Es ist die Zeit. Die liegt auf jedem als wie ein Stein.«
»Die Zeit muß keiner fürchten, der gläubig ist. Komm, Sus, du frierst. Ich spür, wie du zitterst. Laß dich zudecken! Einen Menschen haben, ist gut.«
Die drei Männer, die draußen hinunter gingen über die Stiege, hatten eine Weile im Flur zu schaffen, bis sie die mit Brettern und Holzscheiten verbarrikadierte Türe frei bekamen.
Durch die Klüfte der zerschlagenen Haustür wehte kein Schnee mehr herein. Das Gestöber war versiegt. Draußen eine schweigsame Winternacht, durch deren ziehendes Gewölk der Vollmond herunterglänzte.
Während Meister Niklaus im Flur die Barrikade wieder baute, schritten Pfarrer Ludwig und Simeon Lewitter lautlos durch den Schnee.
Hunde schlugen an, bald nah, bald ferne, mit Stimmen, die halb erloschen im Rauschen der Ache.
Simeon flüsterte: »Die Nacht ist wieder ohne Ruh.«
»Es wandern die Unsichtbaren.«
Die beiden folgten der Straße. Da faßte der Pfarrer den Arm des Freundes und deutete über eine verschneite Wiese hinaus. »Dort! Siehst du's?«
Etwas Wunderliches war zu sehen: ein im Mondschein gleitender Menschenschatten, ohne daß man einen Menschen sah.
Rasch watete Pfarrer Ludwig in die Wiese hinaus und stand vor einer Gestalt, die bis zu den Füßen in Leinwand gekleidet war, so weiß wie der Schnee, über dem Kopf eine Kapuze mit Löchern für die Augen, in denen es funkelte gleich geschliffenen Gläsern. »Wer bist du?« Keine Antwort. Der Pfarrer lachte ein bißchen. »Ich bin nit gefährlich. Nur neugierig wie Kinder und alte Leut. Gehst du zum Toten Mann? Oder kommst du von ihm?« Keine Antwort. Nur das Strömen eines schweren Atems. »Leupolt? Bist du's?«
»Wohl.«
»Was suchst du noch?«
»In Sorg bin ich gewesen. Um den Meister. Jetzt weiß ich, wer bei ihm gewesen ist. Da bin ich ledig aller Sorg.«
»Heut hast du ihm viel zulieb getan. Wie hast du wissen können, daß die Soldaten Gottes bei ihm einkehren?«
»Der Vater hat's heimgebracht vom Pflegeramt und hat mit der Mutter geredet. Ich hab's gehört.«
»So? Und da bist du weggesprungen über Vater und Mutter! Und hast dem anderen geholfen? Warum?«
»Weil ich's tun hab müssen.«
»Als sein Bruder in Gott? Gelt, ja? Und sonst aus keinem anderen Grund!« Wieder lachte der Pfarrer. »Geh schlafen, lieber Bub! Die Gefahr ist vorbei. Steig nur nit gar zu fleißig auf den Toten Mann! Dir vergönn ich ein lebendiges Glück. Will auch helfen dazu, so gut ich's versteh. Zwei Herrgötter sollen dich hüten, der deine und der meine. Doppelt genäht hält allweil besser.« Der Pfarrer stapfte durch den Schnee zur Straße zurück. Als er das Gesicht wandte, sah er keine Gestalt mehr, nur noch den unbeweglichen Menschenschatten.
Kapitel III
In den Schneekrystallen funkelte der Mondschein mit farbigen Blitzen.
Lewitter stellte keine Frage, als der Pfarrer wieder an seiner Seite war. Wortlos wanderten die beiden gegen den Markt hinüber und kamen an einem neuen, zierlichen Bau vorbei, der hinter hoher Mauer in einem Garten stand. Ein feiner, zirpender Spinettklang war zu vernehmen. »Hörst du?« flüsterte Pfarrer Ludwig. »Die Allergnädigste ist noch munter.«
Simeon schwieg.
Als sie an der Mauer vorüber waren, murrte der Pfarrer: »Hast du beim Tor die frischen Fußstapfen im Schnee gesehen? Süße Mitternachtsfährten! Und der Allergnädigste trägt die Unkosten. Maîtresse en titre heißen sie das in der fürnehmen Welt. Es gibt keine Ferkelei, für die man jetzt nit einen parisischen Namen findet, der allen Lebensdreck in eine höfische Fineß verwandelt. Wer's von den Herren nit mitmacht, glaubt nit Fürst zu sein. Er wär ein Minderwertiger unter seinen Standesbrüdern, wenn er dem französischen Hof nit alles nachschustert: die Sittenverderbnis, das Schuldenmachen, die Karossen und Läufer, die Peruckenfasnacht, die gestutzte Gärtnerei, den ganzen Jägerschwindel à la mode und das ‚Große Jagen‘ auf die haufenweis zusammengehetzte Kreatur – Mensch oder Vieh!« Der Pfarrer verstummte nicht, obwohl ihn Simeon beschwichtigend am Mantel zupfte. »Ach, Bruder, die Zeit ist ein übles Kehrichtfaß voll Heuchelei und Sinnenbrodel, voll Grausamkeit und verwesenden Dingen. Man sollt die ganze Schweinerei verbrennen, um aus der Asche was Neues wachsen zu lassen. Ob der Mann schon geboren ist, der das fertig bringt auf dem deutschen Acker?«
Lewitter atmete auf, weil der andere schwieg, und machte flinkere Schritte.
Ein bißchen lachend, zürnte der Pfarrer: »Allweil bist du wie eine Maus. So scheu, so flink, so lautlos.«
Simeons Stimme war wie ein Hauch. »Der Schnee verschärft jeden Laut. Und wie stiller eine Mauer ist, um so offener sind ihre Ohren.«
»Recht hast du! Siebzig Jahr! Und noch allweil bin ich der gleiche Hammelskopf, der sich die Hörner nit abgestoßen hat.«
Sie gingen in der Marktgasse schweigend an der Häuserzeile entlang, die im schwarzen Mondschatten lag. Außerhalb des Dunkels funkelte der Schnee im bleichen Licht, und die weißen Mauern der anderen Häuserseite sahen unter den dicken Winterkappen aus wie blasse Riesengesichter mit vielen finsteren Augen. Bei der Gasse, wo die Wege der beiden sich schieden, reichten sie einander die Hände. Jeder flüsterte die zwei gleichen Worte: »Mensch bleiben!« Dann der Pfarrer: »Das wird mich nit schlafen lassen heut.«
»Die Sorg um den Niklaus?«
»Auch. Und was du uns fürgelesen hast.«
Nun lächelte Lewitter. »Du hast doch gesagt, dich rührt's nit an.«
»Ob das allweil so ist? Bei den neuen, tiefen Gedanken? Es ist wie ein Funken, den man nit fallen spürt in sich. Und gählings wärmt er und wird ein Feuer, das leuchtet! – Ich will mir's heut in der Nacht noch aufschreiben. Guten Morgen, mein Simmi!« Lautlos ging der Pfarrer durch den funkelnden Schnee davon. Lewitter zappelte in die enge Gasse hinein, in der nur die Giebel noch Mondschein