Die großen Herrscherinnen und Regentinnen. Dr. Barbara Beck

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Die großen Herrscherinnen und Regentinnen - Dr. Barbara Beck


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für das oströmische Kaisertum wirkten sich die ideellen Verluste durch Irenes problematische Position als Kaiserin aus. Nach römischem Recht konnte nämlich keine Frau legal als Kaiser agieren, da sie nicht das Oberkommando über das Heer innehaben konnte, was der Kaiser kraft seines Amtes besaß. Papst Leo III. in Rom betrachtete deshalb den römischen Kaiserthron als vakant und krönte den fränkischen Herrscher Karl den Großen im Dezember 800 zum römischen Kaiser. Mit dieser Krönung wurde das weströmische Kaisertum erneuert, das 476 untergegangen war. Der universale Anspruch des byzantinischen Kaisertums, wonach es nur einen Kaiser geben durfte, erlitt dadurch einen schweren Schaden. Byzanz wurde von dem Ereignis überrascht. Kaiserin Irene schickte nach diesem Affront daher im Herbst 801 eine gesandtschaftliche Delegation nach Aachen, um die Lage zu sondieren. Sie wollte sich Gewissheit über die weiteren Absichten Karls verschaffen, vor allem auch im Hinblick auf Unteritalien, und eventuelle Kompromisslösungen ausloten. Karl reagierte darauf seinerseits 802 mit einer Gesandtschaft nach Konstantinopel. Ob zur Beseitigung des fatalen Doppelkaisertums tatsächlich eine Ehe zwischen Karl und Irene, die beide verwitwet waren, Gegenstand der Verhandlungen war, wie dies der byzantinische Chronist Theophanes behauptet, erscheint eher fraglich. Die Lösung des Zweikaiserproblems wurde durch den politischen Umschwung in Konstantinopel, der sich kurz nach der Ankunft der westlichen Gesandten ereignete, vertagt.

      Kaiserin Irene wurde nämlich mittels eines Putsches in der Nacht des 31. Oktober 802 abgesetzt. Die Palastrevolution wurde von führenden Beamten und Offizieren getragen. Irene wurde durch den Leiter der Finanzbehörde Nikephoros auf dem Thron ersetzt. Sie akzeptierte dies: „Die Ursache meiner gewaltsamen Absetzung schreibe ich mir selbst und meinem Sohn zu.“ Irene starb am 9. August 803 im Exil auf Lesbos.

      Olga, die Heilige

      * um 900 in Pskow (?)

      † 969 in Kiew

      Regentin der Kiewer Rus

      945 – 962

      Großfürstin Olga, eine bemerkenswerte Herrscherinnengestalt aus dem Frühmittelalter, nimmt als erste „christliche“ Herrscherin der Kiewer Rus einen besonderen Platz in der Geschichte ein. Seit dem 12. Jahrhundert als Heilige verehrt, wurde sie 1547 von der russisch-orthodoxen Kirche als apostelgleich heiliggesprochen.

      Die wichtigste Quelle zu ihrem Leben ist die altrussische Nestorchronik, die zu Beginn des 12. Jahrhunderts aus mehreren Vorlagen und Materialien zusammengestellt wurde. Da die Chronik Olga bis zu ihrem Regierungsantritt 945 praktisch nicht erwähnt, sind kaum Aussagen über ihr Leben vor dieser Zeit zu treffen. Ihr Geburtsjahr ist unbekannt. Laut der Nestorchronik stammte sie aus Pskow. Gesicherte Nachweise über ihre Abkunft liegen nicht vor. Olga war mit dem Großfürsten Igor von Kiew verheiratet, der seit 912 die Rus regierte. Macht und Reichtum der Kiewer Fürsten gründeten in erster Linie auf der Kontrolle des Handelswegs zwischen dem Ostseeraum und dem Byzantinischen Reich.

      Nachdem Fürst Igor 945 während eines Feldzuges gegen die aufsässigen Drewljanen, einem tributpflichtigen slawischen Stamm, erschlagen worden war, übernahm seine Witwe Olga für ihren noch minderjährigen Sohn Swjatoslaw die Regentschaft. Eine Zurückdrängung der Drewljanen war für sie ein Gebot der politischen Notwendigkeit, um für die Zukunft ein für alle Mal jeglichen Ungehorsam von tributpflichtigen Stämmen zu unterbinden und sich als Herrin über die Rus zu behaupten. Die Nestorchronik breitet Olgas erbarmungslosen und brutalen Rachefeldzug gegen die Drewljanen und deren Fürsten sehr ausführlich aus. Die Schilderung ähnelt dabei motivverwandten germanischen Sagen. So ließ die Großfürstin zwei drewljanische Gesandtschaften, die ihr zum Zwecke der Beschwichtigung eine nicht unübliche Brautwerbung ihres Fürsten unterbreiteten, grausam und hinterlistig ermorden. Am Gedenktag für ihren ermordeten Gemahl nutzte sie ein Trauermahl dazu, 5 000 Drewljanen hinmetzeln zu lassen. Die Hauptstadt der Drewljanen, Iskorosten, das heutige Korosten, wurde nach langer Belagerung auf ihren Befehl hin vollständig niedergebrannt. Ihren Sieg krönte sie mit der Tötung und Versklavung eines Teils der Bevölkerung sowie mit der Verfügung eines harten Tributs: „Und man legte ihnen einen schweren Tribut auf; zwei Drittel des Tributs kamen nach Kiew, ein Drittel nach Wyshegorod an Olga; denn Wyshegorod war Olgas Stadt. Und Olga durchzog mit ihrem Sohn und der Drushina das Land der Drewljanen und stellte Satzungen auf und setzte Zins fest.“

      Nach der Niederwerfung der Drewljanen richtete Olga ihr Augenmerk auf den administrativen Ausbau des Kiewer Reichs. Die steuerlichen Abgaben und Tribute wurden geordnet und systematisiert. Es wurden befestigte Plätze als Verwaltungsmittelpunkte und Abgabestellen eingerichtet. Für diesen Zweck bereiste sie selbst das ganze Land. Selbst im Winter unternahm die Fürstin diese Staatsreisen. In Kiew ließ sie eine steinerne Pfalz erbauen. Dies legt nahe, dass dort eine ständige Residenz bestand. Einiges spricht dafür, dass es sich bei den durch archäologische Ausgrabungen in den 1980er Jahren freigelegten Mauerteilen, Marmor- und Keramikresten auf dem Altkiewer Berg tatsächlich um die Fragmente dieses Fürstenhofes handelt. Beruhten die Herrschaftsstrukturen in der Kiewer Rus vor Olgas Regentschaft noch gänzlich auf dem Personenverband der Gefolgschaft, begann sich nun langsam eine territorialstaatliche Herrschaftsorganisation zu entwickeln.

      Mit Ausnahme des blutigen Rachefeldzugs gegen die Drewljanen zu Beginn ihrer Regentschaft verfolgte sie nicht mehr die kriegerische Politik ihrer Vorgänger, zu der ihr Sohn Swjatoslaw nach seiner Regierungsübernahme im Jahr 962 zurückkehrte. Da er fast permanent durch seine zahlreichen Eroberungszüge abwesend war, führte Olga für ihn in diesen Zeiten die Regierung.

      Im Zuge ihrer Maßnahmen zur Zentralisierung der Staatsverwaltung im Kiewer Rus-Reich keimte in ihr der Gedanke, dass es sinnvoll wäre, eine einheitliche Religion einzuführen. Diese einheitliche Religion würde nicht nur helfen, die staatliche Organisation weiter zu befestigen, sondern auch dazu beitragen, die herrscherliche Macht zu steigern. Weil im mittelalterlichen Europa das Christentum vorherrschte, bot eine Christianisierung Russlands die Aussicht, das internationale Ansehen des Landes zu stärken. Dem Herrscherhaus eröffneten sich dadurch ganz neue Möglichkeiten zur Anknüpfung dynastischer Beziehungen. In Kiew existierte bereits eine christliche Gemeinde, die für die beabsichtigte Christianisierung herangezogen werden konnte. Außerdem gab es innerhalb der Oberschicht des Landes schon eine größere Anzahl von Christen.

      Um eine Christianisierungswelle in Gang zu setzen, ließ sich Olga selbst taufen. Ort und Zeitpunkt dieser Taufe sind in der Wissenschaft allerdings umstritten. Die Nestorchronik verlegt dieses wichtige Ereignis in das Jahr 955, demgegenüber sehen viele Forscher das Jahr 957 als wahrscheinlicher an. Während die Chronik Konstantinopel als Ort der Taufe benennt, geht ein Teil der Forschung dagegen davon aus, dass Olga bereits in Kiew getauft worden war, bevor sie mit großem Gefolge an den Konstantinopeler Hof des byzantinischen Kaisers Konstantin VII. Porphyrogennetos reiste. Laut dem Zeremonienbuch des Kaisers wurde Olga im September 957 ein prächtiger Empfang bereitet. In erster Linie ging es bei ihrem Besuch wohl um eine Bestätigung und Erweiterung des russisch-byzantinischen Friedensvertrags von 944.

      Allem Anschein nach entstanden zwischen der russischen und der byzantinischen Seite erhebliche Unstimmigkeiten darüber, unter welchen Bedingungen die Christianisierung des Kiewer Reichs ablaufen sollte. Wegen der von Konstantinopel erhobenen politischen und kirchlichen Hegemonialansprüche scheiterte das Projekt der Christianisierung. Von ähnlich geringem Erfolg war auch Olgas Versuch gekrönt, mit der weströmischen Kirche in Fühlungnahme zu treten. 959 hatte die Großfürstin eine Gesandtschaft an den Hof des späteren römisch-deutschen Kaisers Otto I. geschickt mit der Bitte um einen Bischof und Missionare. Die schließlich abgesandten Missionare konnten in Kiew nichts ausrichten, da sich unter Swjatoslaw bereits eine Art heidnische Reaktion gebildet hatte. Erschwerend kam hinzu, dass es Otto I. und dem deutschen Episkopat im Grunde genommen genauso wie den byzantinischen Machthabern nur darum ging, die künftige Diözese Russland in ihren Machtbereich einzubeziehen. Trotz dieser herben Rückschläge hatte die Großfürstin, die am 11. Juli 969 in Kiew verstarb, der Einführung des Christentums als Staatsreligion in Russland den Weg geebnet. Der Chronist hob daher in der Lobpreisung zu ihrem Tod emphatisch hervor: „Sie war dem christlichen Lande vorausgegangen wie der Morgenstern der Sonne, wie die Morgenröte dem Tageslicht, denn wie der Mond in der Nacht scheint, so glänzte sie unter den Ungläubigen.“ Unter ihrem Enkelsohn Wladimir


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