Hexenhammer 1 - Die Inquisitorin. Uwe Voehl
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Asmodi lachte dröhnend. »Was bist du nur für ein seltsames Geschöpf!«, erkannte er, weil er wieder ihre Gedanken gelesen hatte. »Sorgst dich wegen dieser lächerlichen Schwester, anstatt dich vor mir zu fürchten!«
»Verzeiht, HERR!«
»Du scheinst nicht zu begreifen, mit wem du es zu tun hast. Entweder bist du dumm – oder besonders mutig.« Er lachte amüsiert. »Vielleicht auch beides, aber das werde ich schon herausfinden. Und jetzt – erfülle ich dir deinen Wunsch!«
Er klatschte zweimal in die Hände, und von überall her, aus allen Winkeln, kamen die Ratten herangewieselt. Sie kletterten auf die Schränke, öffneten die Türen, Fässer und Bottiche, klaubten sämtliche Vorräte zusammen, und in Windeseile war der große Anrichtetisch gedeckt. Er bog sich förmlich unter der Last der Speisen. Brote, Wurst, Speck und Eier, Käse und Milch – alles war in Hülle und Fülle vorhanden. Vieles davon hatte Lotte noch niemals gekostet, sondern nur ansehen oder für die Schwestern anrichten dürfen.
»Nun bedien dich schon, ich habe nicht die ganze Nacht Zeit!«
Zögerlich griff sie nach einer Scheibe Brot. Es war nicht trocken oder schimmlig, wie sie es kannte. Es war frisch und verströmte einen herrlichen Duft.
Dennoch musste sie sich überwinden, hineinzubeißen.
Es ist nicht recht.
Aber andererseits … Über das Recht bestimmten die Schwestern. Doch über allem stand der HERR. Er macht die Gesetze, so stand es geschrieben in der Schwarzen Bibel, und so lehrten es die Schwestern. Also durfte sie sich bedienen, wenn der HERR es ihr erlaubte. Mehr noch: Sie musste sich bedienen, um ihn nicht zu erzürnen.
Nun biss sie herzhafter zu, schmierte Butter aufs Brot, belegte es mit Wurst und Käse. Ihr Hals war trocken, sodass es ihr schwerfiel zu schlucken. Asmodi kredenzte ihr einen Krug mit einer roten Flüssigkeit darin. War das Blut? Vorsichtig nippte sie daran. Nein, es war etwas völlig … Neues. Es schmeckte herb und bitter, aber es bewirkte schon nach wenigen Schlucken, dass sie glaubte zu schweben. Die Angst fiel von ihr ab wie ein schweres Tuch, und sie fühlte sich fröhlich und frei.
Alles um sie herum geriet in Bewegung: die Irrlichter, der Tisch mit den Speisen, die Teller, Schalen, Löffel und Messer, sie alle tanzten fröhlich umher. Auch die Ratten reihten sich in den Reigen ein und wirkten auf einmal gar nicht mehr bedrohlich.
Die Wände begannen sich aufzulösen, gaben den Blick frei auf ein wirbelndes Spektakel von Formen und Farben, wie sie Lotte noch nie erblickt hatte. Auch sie hielt es nun nicht mehr am Tisch. Mit einem Hühnerschenkel in der Hand begann sie ebenfalls zu tanzen und zu singen. Sie wusste nicht, woher sie die Melodien kannte, aber es waren nicht die, die die Schwestern sie gelehrt hatten. Sie waren fröhlich und erwärmten das Herz und …
»Schluss damit!«
Asmodis Stimme klang wie ein Gewitter. Es zerstörte von einer Sekunde zur anderen alles. Die Lichter erloschen. Die Speisen und anderen Dinge standen wieder an ihrem Platz. Die Wände schoben sich bedrohlich auf sie zu. Die Ratten waren ängstlich verstummt und duckten sich zu Boden.
»Dir ist der Trunk zu Kopf gestiegen! Woher kennst du dieses Lied?«
»Welches Lied, oh HERR?«
»Das du eben gesungen hast. Es war auf Deutsch, und es verherrlichte den Unaussprechlichen. Du hast seinen Namen genannt, du Törichte! Haben etwa die Schwestern es dich gelehrt?«
»Nein, nein, nein!« Sie wusste nicht mehr, welche Worte über ihre Lippen gekommen waren. Sie waren ihr ganz plötzlich in den Sinn gekommen und sofort wieder, kaum ausgesprochen, entschwunden.
»Das ist also der Dank!«, schrie er. »Es zeigt mir, wie unreif du doch bist! Ich habe mich in dir getäuscht, Charlotte!«
Sie spürte nicht nur Wut, sondern tatsächlich Enttäuschung. Aber was hatte er erwartet? Was hatte sie falsch gemacht? Sie hatte doch alles getan, was er befohlen hatte, und die Worte, diese unseligen Worte, dafür konnte sie nichts …!
Sie fühlte sich von unsichtbaren Händen auf die Steinfliesen gedrückt, Blut schoss ihr aus der Nase, sie glaubte zerquetscht zu werden wie ein Käfer, als der Druck immer schwerer auf ihr lastete. Es wurde schwarz um sie herum, doch als sie schon glaubte, in Ohnmacht gefallen zu sein, wurde sie hochgerissen, und wieder waren es unsichtbare Arme, die sie durch die Luft wirbelten, sodass sich alles drehte und ihr erneut schwarz vor Augen wurde. Dazwischen hörte sie den HERRN toben und schreien, so als ob sich seine Wut immer heftiger entfache.
Lotte schrie auf, als die Hände, die sie gepackt hielten, sie durch die Küche zur Tür schleuderten, die Treppen hinauf in die Halle. Sie kreischte, als die geschlossene Pforte auf sie zuschoss, doch wie bei ihrem Eintreten glitt sie mühelos hindurch, erblickte für ein paar flüchtige Sekunden die Sterne über sich, bevor sie endgültig begriff, wohin ihre unsichtbaren Häscher sie brachten.
Zurück ins Loch!
»Nein, bitte nicht, nein!«, schrie sie, doch ihr Flehen blieb unerhört. Sie flog die Treppen hinab, durchstieß die feuchte Wand und –
Fand sich dort wieder, wo Asmodi ihr erschienen war.
In vollkommener Dunkelheit.
Allein.
Aus der Nase schoss noch immer das Blut. Die Rippen schmerzten, als seien sie gebrochen. In ihren Ohren war ein Rauschen und Pfeifen und Dröhnen, wie der Nachhall von Asmodis Wutausbruch. Schluchzend rollte sie sich auf dem Boden zusammen und wünschte sich, nicht für einen kurzen Moment die Freiheit gekostet zu haben. Denn nun kam ihr ihr Martyrium nur noch schlimmer vor.
Hatte der HERR dies beabsichtigt?
Aber nein, er war in Wut geraten aus einem ganz anderen Grund. Weil sie versagt hatte.
Und noch immer wusste sie nicht, was genau der Grund dafür gewesen war.
AUFSTEHEN. Antreten …
Die Ratten standen plötzlich vor ihr. Zwischen Tag und Traum. War es überhaupt Tag? Oder Nacht? Wie viel Zeit war vergangen, seit sie wieder ins Loch zurückgekehrt war?
Als sie nicht schnell genug gehorchte, halfen die Ratten mit ihren kurzen spitzen Schwertern nach und stachen damit in ihr Fleisch.
»Die Schwester Oberin will dich sehen. Sofort!«
»Die Schwester Oberin …? Aber was …?«
Statt einer Antwort stachen sie abermals auf sie ein, damit sie schneller aufstand. Die Tür, durch die sie sie schoben, hatte sie zuvor nie wahrgenommen. Bevor sie sich wundern konnte, drängten die Ratten sie weiter, aufgeregt und ängstlich, den Willen der Schwester Oberin nicht schnell genug zu erfüllen.
Es war tatsächlich Tag.
Das Licht blendete sie. Lotte schloss die Augen und wünschte sich, wieder den leuchtenden Sternenhimmel zu sehen, wenn sie sie öffnete.
Doch die Zeit des Wünschens war vorbei. Sie hatte es selbst verspielt, indem sie den HERRN verärgert hatte. Sie hatte sich noch nicht einmal sattessen können.
Als sie die Halle betrat, sah sie sogleich, dass etwas passiert sein musste. Die Wände hatten Risse, die Bilder, die ihn in seinen vielfältigen Manifestationen zeigten, lagen auf dem Boden zerstreut. Manche waren zerstört. Der Boden selbst zeigte Sprünge. Überall waren Ratten, Schwestern und Schüler damit beschäftigt, aufzukehren, aufzuräumen und die schlimmsten Beschädigungen auszubessern.
Was war nur geschehen? Es sah aus, als wäre ein ganzes Heerlager kriegerischer Soldaten eingefallen und hätte alles zerstört.
Einige der Ratten warfen ihr scheue Blicke zu. Die meisten erkannte sie. Sie waren in der Nacht in der Küche gewesen, hatten mitgetanzt, hatten alles gesehen.
Ein Schreck durchfuhr sie. Sicherlich hatten die Ratten der Schwester Oberin erzählt, was sich nächtens ereignet hatte, und nun würde man sie zur Rechenschaft ziehen.
Doch