Ausgewählte Werke von Arthur Schnitzler (76 Titel in einem Band). Ðртур Шницлер
Читать онлайн книгу.auch –«, setzte er mit gekünstelter Lebhaftigkeit hinzu.
»Also du würdest mir verzeihen?« fragte sie lächelnd.
Er drückte sie an sich und war plötzlich ganz aufgeräumt. Eine lebhafte, etwas gerührte Zärtlichkeit flammte in ihm auf für das sanfte, gute Geschöpf, das er in den Armen hielt, und von dem ihm, er fühlte es tief, niemals ein ernstliches Leid kommen konnte. »Es wäre wahrhaftig nicht so schlimm«, sagte er heiter. »Du würdest eben Wien für einige Zeit verlassen, das ist alles.«
»Na, gar so einfach wär das allerdings nicht, wie du dir’s plötzlich vorzustellen scheinst.«
»Warum nicht? Eine Ausrede ist bald gefunden. Im übrigen, wen geht’s denn an? Uns zwei. Niemanden andern. Und was mich anbelangt, so weißt du, ich kann jeden Tag fort. Kann auch ausbleiben, so lange ich will. Ich habe noch nicht einmal einen Kontrakt fürs nächste Jahr unterschrieben«, setzte er lächelnd hinzu. Dann erhob er sich, um die Wachskerzchen auszulöschen, deren kleine Flammen beinahe ganz heruntergebrannt waren; und immer lebhafter sprach er weiter. »Es wäre sogar wunderschön. Denk doch, Anna! Ende Februar, oder anfangs März würden wir abreisen, in den Süden natürlich, nach Italien, ans Meer vielleicht. Würden an irgendeinem stillen Ort wohnen, wo kein Mensch uns kennt, in einem schönen Hotel mit einem Riesenpark. Und arbeiten könnt man da unten, Donnerwetter!«
»Also darum!« sagte sie, wie in plötzlichem Verstehen. Er lachte, nahm sie fester in seine Arme, und sie drängte sich an seine Brust. Von draußen kam kein Laut mehr. Orgel und Menschenstimmen waren verklungen. Vor den Fenstern schwebte der Schneevorhang nieder… Georg und Anna waren glücklich wie niemals zuvor.
Während sie im Dunkel ruhten, sprach er von seinen musikalischen Plänen für die nächste Zeit und erzählte ihr Heinrichs Opernstoff, soweit er es vermochte. Mit schimmernden Schatten füllte sich der Raum. Einen märchenhaften Königssaal durchrauschte ein Hochzeitsfest. Ein leidenschaftlicher Jüngling schlich sich ein und zückte seinen Dolch auf den Fürsten. Ein dunkles Urteil, geheimnisvoller als der Tod, wurde verkündet. Auf dämmernder Flut trieb ein träges Schiff unbekannten Zielen entgegen. Zu Füßen des Jünglings ruhte eine Prinzessin, die eines Herzogs Braut gewesen. Ein Unbekannter nahte auf leuchtendem Kahn mit seltsamer Botschaft; Narren, Sterngucker, Tänzerinnen, Höflinge schwebten vorbei. Schweigend hatte Anna gelauscht. Am Ende war Georg neugierig zu erfahren, was für einen Eindruck sie von den flüchtigen Bildern empfangen hätte.
»Ich kann’s nicht recht sagen«, erwiderte sie. »Jedenfalls ist es mir heut noch ganz rätselhaft, wie aus dem ziemlich wirren Zeug jemals irgendwas Wirkliches werden soll.«
»Natürlich kannst du dir das heute noch nicht vorstellen besonders nach meiner Erzählung… Aber den musikalischen Hauch, der aus der Geschichte herausweht, den spürst du doch, nicht wahr? Ich hab mir sogar schon ein paar Motive aufnotiert, – und ich möchte sehr gern, daß Bermann sich bald ernstlich an die Arbeit machte.«
»An deiner Stelle, Georg… ich darf doch was sagen?«
»Natürlich, red nur.«
»Also ich an deiner Stelle würde doch zuerst einmal das Quintett abschließen. Es kann ja jetzt nicht mehr viel dran fehlen.«
»Viel nicht und doch… Übrigens darfst du nicht vergessen, daß ich in der letzten Zeit allerlei anderes angefangen habe. Die zwei Klavierstücke, dann das Orchesterscherzo – das ist sogar ziemlich weit gediehn. Aber es gehört unbedingt in eine Symphonie.«
Anna erwiderte nichts. Georg merkte, daß ihre Gedanken abschweiften, und er fragte sie, wohin sie ihm denn schon wieder entrückt sei.
»Nicht gar so weit«, entgegnete sie. »Mir ist nur so durch den Kopf gegangen, was alles geschehen sein kann, bis die Oper einmal wirklich fertig sein wird.«
»Ja«, sagte Georg langsam, beinahe etwas befangen, »wenn man so in die Zukunft blicken könnte.«
Sie seufzte ganz leise, und er drängte sich näher an sie, fast mitleidig. »Sei ruhig, mein Schatz, sei ruhig«, sagte er, »ich bin ja da… und ich werde immer da sein.« Er glaubte zu fühlen, wie sie dachte: Kann er nichts Besseres sagen?… nichts Stärkeres? nichts, das alle Angst, – und das sie für immer von mir nähme? Und unaufrichtig, wie mit dem Gedanken sich in eine Gefahr zu begeben, fragte er sie: »Woran denkst du?« Und noch einmal, als sie beharrlich schwieg: »Anna, woran denkst du denn?«
»An etwas sehr Sonderbares«, erwiderte sie leise.
»Woran?«
»Daß das Haus schon steht, wo es zur Welt kommen wird, – und wir haben keine Ahnung wo… daran hab ich denken müssen.«
»Daran«, sagte er seltsam berührt. Und mit neu aufflammender Zärtlichkeit sie an sein Herz pressend: »Ich werde euch nie verlassen, euch beide…«
Als es wieder licht im Zimmer wurde, waren sie sehr vergnügt, pflückten von den Ästen des kleinen Weihnachtsbaumes die letzten vergessenen Zuckersachen, freuten sich auf das Wiedersehen unter lauter gleichgültigen Menschen, das ihnen bevorstand, wie auf ein heiteres Abenteuer, lachten und redeten lustigen Unsinn.
Sobald Anna fortgegangen war, versperrte Georg die Notenblätter in der Tischlade, löschte die Lampe aus und öffnete ein Fenster. Leicht und dünn fiel der Schnee. Über die Stiege aus dem Dunkel kam ein alter Mann, und sein mühseliges Atmen tönte durch die unbewegte Luft herauf. Grau ragte die stumme Kirche gegenüber… Georg blieb eine Weile am Fenster stehen. Er war in diesem Augenblick beinahe überzeugt, daß Anna sich in ihrer Annahme täuschte. Wie eine Beruhigung fiel ihm jene Äußerung Leo Golowskis ein, daß Anna bestimmt wäre im Bürgerlichen zu enden. Wahrhaftig es konnte nicht in der »Linie ihres Schicksals« liegen, von einem Liebhaber ein Kind zu bekommen. Und nicht in der Linie des seinen lag es, Verpflichtungen ernster Art zu tragen, heute schon und vielleicht für alle Zeit an ein weibliches Wesen festgebunden zu sein; Vater zu werden in so jungen Jahren. Vater!… Schwer, beinahe düster sank das Wort in seine Seele.
Um acht Uhr abends trat er in den Ehrenbergschen Salon. Walzerklänge tönten ihm entgegen. Am Klavier saß der alte Eißler, dem der lange graue Vollbart fast bis auf die Tasten herabsank. Georg, der, um nicht zu stören, am Eingang stehenblieb, wurde von allen Seiten durch Blicke begrüßt. Der alte Eißler spielte mit weichem Anschlag und kräftigem Rhythmus seine berühmten Wiener Tänze und Lieder, und Georg hatte wie immer viel Freude an den süßen, wiegenden Melodien.
»Herrlich«, sagte Frau Ehrenberg, als der Alte sich erhob.
»Bewahren Sie sich die großen Worte für größere Gelegenheiten, Leonie«, erwiderte Eißler, dessen altes Vorrecht es war, alle Frauen und Mädchen bei ihren Vornamen zu nennen. Und es schien jeder wohl zu tun, ihn von diesem schönen alten Mann, mit der tiefen, klingenden Stimme aussprechen zu hören, in der es manchmal bebte wie ein sentimentales Echo aus bewegten Jugendtagen. Georg fragte ihn, ob alle seine Kompositionen im Druck erschienen wären.
»Die wenigsten, lieber Baron; ich selbst kann leider keine Noten schreiben.«
»Es wäre aber wirklich jammerschade, wenn diese charmanten Melodien ganz verloren gehen sollten.«
»Ja, das hab ich ihm auch oft gesagt«, nahm Frau Ehrenberg das Wort. »Aber er gehört leider zu den Menschen, die sich selber nie ganz ernst genommen haben.«
»O, das ist ein Irrtum, Leonie. Wissen Sie denn, wie ich meine musikalische Karriere begonnen habe? Eine große Oper hab ich komponieren wollen. Allerdings war ich damals siebzehn Jahre alt und in eine Sängerin rasend verliebt.«
Die Stimme der Frau Oberberger tönte vom Tische in der Ecke her: »Es wird eine Choristin gewesen sein.«
»Sie irren sich, Katharina«, erwiderte Eißler. »Choristinnen waren nie mein Fall. Es war sogar eine platonische Liebe, wie die meisten großen Leidenschaften meines Lebens.«
»Waren Sie so ungeschickt?« fragte Frau Oberberger.
»Manchmal wohl auch das«, erwiderte Eißler sonor und mit Anstand; »denn wahrscheinlich hätte ich gerade soviel Glück haben können wie ein