Menschen, die Geschichte schrieben. Christine Strobl

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Menschen, die Geschichte schrieben - Christine  Strobl


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an dem das Schema der Heilsgeschichte ex negativo bekräftigt werden soll.

      So jedenfalls müssen wir, auf der Grundlage des Titels wie des Endes, das Erzählprogramm des anonymen Autors der Historia von 1587 wohl verstehen. Der weitere Titel formuliert genau in diesem Sinn:

      Mehrertheils aus seinen eygenen hinderlassenen Schrifften / allen hochtragenden/ fürwitzigen und Gottlosen Menschen zum schrecklichen Beyspiel / abscheuwlichen Exempel / und treuwherziger Warnung zusammen gezogen und in den Druck verfertiget.

      Was das Programmatische betrifft, lässt diese Ankündigung keine Fragen offen. Dennoch wird sich zeigen, dass die Historia gerade deshalb so fragwürdig ist, weil ihr erklärtes Programm nicht durchweg aufgeht und womöglich sogar ins Gegenteil umschlagen kann. Dazu nachher mehr.

      Zunächst zu einer näherliegenden und dringlicheren Frage: Wer ist oder war dieser Doktor Johann Faustus, der hier so emphatisch als Negativexempel eingesetzt wird?

      SCHRIFTEN UND SPUREN

      Mit dieser Frage nun bewegen wir uns historisch ein ganzes Stück zurück und müssen auf die frühen Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts blicken, gut ein bis zwei Generationen bevor die Historia im Druck erschien. Nach den Spuren der historischen Faust-Gestalt zu suchen ist insgesamt eine sehr mühselige und strittige Unternehmung, mit der sich die Forschung seit geraumer Zeit beschäftigt und zu der es bis heute keine einheitliche Meinung gibt. Dennoch müssen wir uns dieser Frage stellen, wenn es – gemäß der eingangs aufgestellten These – zu untersuchen gilt, wie und wodurch Faustus zu einem Renaissance-Mythos geworden ist.

      Einen ersten Hinweis gibt uns wiederum der Titel der Historia. Wie eben zitiert, wird darin nicht nur behauptet, es handele sich um eine wahre Lebensgeschichte, sondern auch, dass diese Darstellung von Faustens Leben „mehrenteils seinen eigenen hinterlassenen Schriften“ folge, also gewissermaßen aus erster Hand erzählt sei. Davon trifft allerdings nur so viel zu, dass die Historia ein Kompilat aus vielen vorliegenden Schriften ist, darunter jedoch keiner einzigen, die von ihrem Titelhelden selbst stammt. Wer immer dieser Faustus war oder gewesen sein könnte, er hat jedenfalls keine Schriften hinterlassen und sehr wahrscheinlich nie welche verfasst. Dagegen gab es um 1500 eine ganze Reihe großer europäischer Gelehrter oder Humanisten, die mit Geheimwissen und Magie in Zusammenhang standen, darunter so gewichtige Figuren wie Heinrich Cornelius Agrippa von Nettesheim, der Mediziner Paracelsus oder der Philosoph Johannes Trithemius, Abt in Sponheim. Sie alle waren weithin anerkannte, wenn auch oft umstrittene Autoren, deren Werke über die hermetischen Wissenschaften große Wirkung hatten, viel gelesen und vielfach debattiert wurden.

      Es ist bei weitem nicht immer klar, ob solche Hinweise jeweils dieselbe Person betreffen. Allein der Name variiert erheblich. Als aussichtsreichster Kandidat einer historischen Faust-Figur gilt ein gewisser Georg Helmstetter, auf dessen Lebensweg, soweit er sich in archivierten Spuren niederschlägt, viele der genannten Quellenfunde hinzudeuten scheinen. Feststeht jedenfalls, dass viele prominente Zeitgenossen des frühen 16. Jahrhunderts einen Gelehrten namens Faustus anführen und zahlreiche Geschichten über ihn erzählen, die einschlägig auf Magie und Hermetismus verweisen und die später in erweiterter und zum Teil erheblich spektakulärerer Form in der Historia wiederkehren. Zumeist sind dies – und das ist zweifellos bedeutsam – klare Abschreckungsgeschichten. Zu den prominentesten Vertretern jener Zeit, von denen wir auf diese Weise einiges von Faustus und seinem Teufelsverkehr hören, zählen beispielsweise die großen Wittenberger Reformatoren. Luther kommt in seinen Tischreden wie auch Melanchthon in seinen Sonntagspredigten immer wieder auf Faustus zurück. Beide wurden damit gleichermaßen zu den wirkungsvollsten Überlieferern seiner Geschichte. Mit den vielfachen Erzählungen und Erwähnungen in diesem Kontext gerät die Figur immer stärker in die zeitgenössischen Debatten und Konflikte um die Neuordnung der Kirche und der Religion. Das sollte sich für ihre weitere Wirkung als sehr folgenreich erweisen. Spätestens seit den 1520er bis 30er Jahren wird Faustus zu einer protestantischen und polemischen Figur, die in den Auseinandersetzungen der Römischen Kirche mit der Reformation wie zugleich auch bei den Auseinandersetzungen innerhalb des Protestantismus oft und gern beschworen wird. Hätte es Faustus nie gegeben, so kann man diesen Tatbestand zusammenfassen, hätte man ihn hierzu wohl erfinden müssen, denn in den erbitterten Glaubens- und Machtkämpfen der Renaissance spielt er bald eine unersetzliche Rolle. Es hat ihn aber offenbar gegeben, und ehe wir auf die Reformatoren zurückkommen, sollten wir wenigstens eine der dokumentarischen Spuren, die er hinterlassen hat, kurz betrachten.

      TITEL UND NAMEN

      Magister Georgius Sabellicus Faustus iunior, fons necromanticorum, astrologus, magus secundus,


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