Das Heideprinzeßchen. Eugenie Marlitt
Читать онлайн книгу.– Mit einer schwerfälligen Bewegung griff er in die Brusttasche seines Rockes. »Aber das unmenschlich viele Geld, das da nur so auf dem Boden hinkollerte, das haben die Leute nicht wiedergenommen, durchaus nicht! … Ich hab’s auflesen müssen – und da ist’s, Prinzeßchen!«
Er zählte die blanken Thaler in langer Reihe auf seine Rechte. Seine kleinen Augen glitzerten und funkelten und huschten liebäugelnd darüber hin.
Fünf Silberstücke – für jede Perle eins! So war es gemeint gewesen. Das »Hier, mein Kind!« des alten Herrn hatte so selbstverständlich geklungen, als seien die Dinger da von mir verlangt worden, und ich hatte die Perlen doch hinschenken wollen. Das verdroß mich jetzt erst über die Maßen.
»Ich will sie nicht, Heinz!« grollte ich und stieß nach seiner Hand.
Das Geld rollte abermals hinab … Was war das für ein entsetzliches Geräusch, als die schweren Metallstücke klingend und klirrend auf das harte Steinpflaster niederschmetterten! … Ich hatte es noch nie, und der Dierkhof wohl seit vielen Jahren nicht mehr gehört.
Unwillkürlich fuhr ich herum, und mein Blick zuckte scheu über das Fenster, das nach dem Fleet mündete. Hinter den halbblinden Scheiben hing ein dicker, farbenbunter Plüschteppich, den, so lange ich denken konnte, nie eine Hand von drinnen gehoben hatte – jetzt wurde er zurückgeschleudert, und die Augen meiner Großmutter funkelten heraus.
Das war ein Anblick, der dem Beherztesten Grauen einflößen konnte. Zitternd bückte ich mich, um das Geld zu sammeln; aber da flog auch schon die neben dem Fenster befindliche Thür auf – wie ein Windstoß brauste es heran – ich wurde an der Schulter gepackt und auf die Tenne hinabgestoßen.
»Nicht anrühren!« gellte es mir in die Ohren. Welch einen erschütternden Klang hatte doch die Stimme, die seit langen Jahren für mich verstummt war! Ich schlug entsetzt die Augen auf.
Da stand die gewaltige Frau und schüttelte grimmig die Faust nach Heinz hin. »Du« – zischte es drohend von ihren Lippen.
»Gut sein, gnädige Frau, gut sein!« stotterte er bittend. »Ich trage ja gleich, jetzt auf der Stelle, das ganze dumme Lumpenzeug ‘nüber in den Fluß!« Er zitterte wie Espenlaub – ich sah zum ersten Male, daß diese unverwüstlich frische Gesichtsfarbe bis in die Lippen erbleichen konnte.
Sie wandte ihm mit einer heftigen Bewegung den Rücken. Die langen, grauen Flechten peitschten ihre Hüften, und ich erwartete unter stockenden Pulsen, daß sie sich wieder auf mich stürzen werde. Da stieß ihr Fuß an eines der Geldstücke; sie fuhr zurück, als habe sie auf eine Schlange getreten. – Nun kam ein Schauspiel, das ich nie, nie vergessen kann. Kichernd schleuderte sie das Geldstück mit der Fußspitze fort, daß es weithin flog und rasselnd auf die Steine niederschlug, dann ein zweites, ein drittes, und so schritt sie auf dem Fleet hin und her – ich mußte an das grausame Spiel der Katze mit der Maus denken … Und wie grauenhaft wechselte das Mienenspiel auf dem rot überflammten Gesicht! Man sah, sie stieß das Geld voll Ingrimm und Abscheu von sich, und doch, sobald es wirbelnd niederfiel, lauschte sie vorgestreckten Halses mit unverkennbarer Lust, ja mit einer Art von Begierde, dem hellen Silberklang, bis die letzte leiseste Schwingung erloschen war.
Ich rührte mich nicht von der Stelle und wagte kaum zu atmen; Spitz, der sonst so rauflustige Spitz, schlich mit eingeklemmtem Schwanz vom Herde weg und drückte sich dicht neben Heinz, der regungslos, wie festgemauert auf seinem Platze verharrte, nur seine todesängstlichen Augen huschten einige Mal nach mir hinüber … Ach! Ilse – wo blieb sie nur? … Sie war die Einzige, die Macht über meine Großmutter hatte. Hörte sie denn den Lärm gar nicht, der so unheimlich und nervenerschütternd gegen die alten Balken des Dierkhofes schlug?
Das Klingen und Springen der Silberstücke dauerte fort. Die alte Frau schien nicht mehr zu wissen, daß zwei Menschen wie Bildsäulen in ihrer Nähe standen. Sie rannte immer leidenschaftlicher auf und ab und flüsterte und gestikulierte nach etwas Unsichtbarem hin … Da auf einmal fuhr es wie ein Ruck durch ihre Glieder; sie kam eben am Eßtisch vorüber und blieb förmlich versteinert stehen, während die Augen minutenlang seitwärts auf die Tischdecke niederstierten – da lag der unglückselige Brief, der nach dem ausdrücklichen Befehl meines Vaters ihr nie zu Gesicht kommen sollte.
»An Frau Rätin von Sassen!« unterbrach sie endlich das tödliche Schweigen und strich sich tiefaufseufzend mit der Hand über die Stirn. »Frau Rätin von Sassen! Das war ich – ich!«
Ich kämpfte mit mir selber, ob ich hinzuspringen und ihr den Brief entreißen solle, auf den sie eben die Hand legte. Aber was war ich schwaches zerbrechliches Geschöpf unter den Händen dieser Frau! Sie hätte mich ohne Weiteres zurückgeschleudert und den Besitz des verhängnisvollen Papieres erst recht behauptet. Ich machte Heinz die beredtesten Zeichen – er sah mich völlig verständnislos an, und da geschah auch schon das Gefürchtete – meine Großmutter zog den Brief aus dem Kouvert.
»Laß mal sehen!« sagte sie, indem sie langsam das Blatt entfaltete.
Sie las nicht, ihr Blick fiel nur auf die Unterschrift – was mußte es wohl für ein Name sein, der eine solche Wirkung haben konnte? … Mit einem Wutgeschrei zermalmte die alte Frau sofort den Brief zwischen den Fingern. »Deine Christine!« lachte sie gellend auf, schleuderte den gestaltlosen Papierklumpen weit in die Tenne hinein und lief mit einer wildabwehrenden Bewegung in ihr Zimmer zurück – gleich darauf kreischte drinnen der vorgeschobene Riegel.
Ilse, die eben mit einem Korb voll Torfstücken aus dem Hofe kam, blieb erstaunt auf der Schwelle stehen.
»War das nicht die Großmutter?« fragte sie halb erschrocken, halb ungläubig. Die Thür, die da eben krachend zuschlug, wurde ja nie benutzt – Schloß und Riegel mußten längst eingerostet sein.
Mir schlugen die Zähne wie im Fieber zusammen; aber ich fühlte mich doch gleichsam erlöst und erzählte ihr flüsternd und atemlos den Vorgang. Ich sah wohl, wie sie zusammenschrak und sich verfärbte; aber Ilse hätte nicht Ilse sein müssen – sie sagte kein Wort, stellte ihren Korb neben den Herd und fing an, die Torfstücken auszupacken und symmetrisch aufeinanderzulegen; nur als Heinz herantrat, hob sie den Kopf – sein heiliger Respekt vor den scharfen Augen war sehr begründet, sie hefteten sich vernichtend auf sein schreckerfülltes Gesicht.
»Bist ja ein Mordkerl, Heinz!« sagte sie. »Hab’ jahrelang gesorgt, daß nicht einmal Groschengeld auf den Dierkhof gekommen ist, und jetzt macht solch ein Politikus das nette Kunststückchen und wirft mir eine ganze Handvoll Silberthaler auf die Steine! … Ei je, die Vierzig auf dem Rücken und keine Ueberlegung!«
Mir traten die Thränen in die Augen. Trotz meiner wahrheitsgetreuen Schilderung und meiner Selbstanklage bekam Heinz die Schelte, und er ließ alles geduldig über sich ergehen, er widersprach mit keinem Wort. Ich schlug meine Arme um ihn und drückte das Gesicht in den Aermel seines alten Drellrockes.
»Ja, tröste ihn nur, deinen Heinz! – Das hält eben immer wie die Kletten zusammen!« sagte Ilse; aber schon war alle Schärfe aus Blick und Ton verschwunden.
Sie nahm die Lampe vom Tisch und schritt die Tenne hinab, um den Papierknäuel zu suchen, aber so viel sie auch umherleuchten mochte, er fand sich nicht.
Bis dahin hatte ich in dem Zimmer meiner Großmutter nur selten eine Lebensäußerung gehört, vielleicht nur nicht beachtet; ich mied ja auch instinktmäßig die nächste Umgebung desselben; jetzt drang das Murmeln einer leidenschaftlich erregten, rauhen Stimme, von Stöhnen und tiefem Aufseufzen unterbrochen, durch das teppichverhangene Fenster.
»Sie betet,« flüsterte Heinz mir zu.
Aber dieses Gebet wurde nicht knieend verrichtet. Sie ging mit so wuchtigen Schritten drinnen auf und ab, daß der Teppich hinter den Glasscheiben leise schwankte und der Boden hier draußen unter unseren Füßen nachschütterte.
»Gebt Licht herein!« schrie sie plötzlich angstvoll auf.
»Licht?« wiederholte Ilse. »Ich habe ja die Lampen hineingestellt.« Sie lief nach dem engen Gang, der, an der östlichen tiefen Seite der Wohnräume hinlaufend,