Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi. Leo Tolstoi

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Die wichtigsten Werke von Leo Tolstoi - Leo Tolstoi


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in acht!«

      »Nun, zweimal passiert mir das nicht«, erwiderte Anatol mit gleichmütigem Lachen.

      122

       Inhaltsverzeichnis

      Am folgenden Tag blieben Rostows zu Hause und es kam auch niemand zum Besuch. Maria Dmitrijewna sprach heimlich mit dem Grafen, und Natalie erriet mit Verdruß, daß sie von dem alten Fürsten sprachen, daß sie etwas zu tun beabsichtigten. Sie erwartete jeden Augenblick den Fürsten Andree und sandte zweimal täglich Diener nach dem Postgebäude, um sich zu erkundigen, ob er noch nicht gekommen sei.

      Er kam nicht, und sie fühlte sich jetzt mehr von Schwermut bedrückt als in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft. Sie fürchtete, er werde niemals kommen, oder noch vor seiner Ankunft werde ihr etwas zustoßen. Wenn sie an ihn dachte, so erwachte sogleich auch die Erinnerung an ihren Besuch bei dem alten Fürsten, an Marie, an das Theater und an Kuragin. Den Hausgenossen erschien Natalie lebhafter als gewöhnlich, aber sie war nicht mehr so ruhig und glücklich wie zuvor. Am Sonntag führte Marie Dmitrijewna ihre Gäste zur Frühmesse, als sie zurückkamen, fanden sie die Modistin, Madame Chalmé, vor. Natalie wurden neue Kleider angemessen und anprobiert, was ihr eine willkommene Unterbrechung war. Während sie vor dem Spiegel stand, um zu sehen, ob der Rücken gut sitze, vernahm sie im Salon eine lebhafte Unterhaltung ihres Vaters mit einer weiblichen Stimme. Es war die Stimme Helenes. Die Tür öffnete sich, und die Gräfin Besuchow trat strahlend mit freundlichem Lächeln, im dunkelroten Sammetkleid mit hohem Kragen, ein.

      »Reizend«, sagte sie zu der errötenden Natalie. »Nein, das ist nicht zu verantworten, Graf, in Moskau zu leben und niemand zu besuchen! Heute abend wird Mamsell Georges bei mir deklamieren, und wenn Sie nicht Ihre Schönheiten mitbringen, welche noch hübscher sind als Mamsell Georges, so will ich Sie nicht mehr kennen. Mein Mann ist nicht da, er ist nach Iwer gefahren, sonst hätte ich ihn zu Ihnen gesandt.« Sie schwatzte fortwährend heiter und freundschaftlich und bewunderte fortwährend die Schönheit Natalies.

      Natalie lächelte vergnügt und fühlte sich beinahe verliebt in diese schöne und liebenswürdige Frau. Helene war gekommen, weil Anatol sie gebeten hatte, ihn mit Natalie zusammenzuführen, ein Auftrag, von dessen Ausführung sie sich viel Vergnügen und Unterhaltung versprach. Obgleich sie früher Natalie grollte, weil sie ihr in Petersburg Boris entfremdet hatte, dachte sie jetzt nicht mehr daran und wünschte Natalie von Herzen nur Gutes. Ehe sie abfuhr, rief sie ihren Schützling beiseite.

      »Gestern hat mein Bruder bei mir gespeist. Wir wollten sterben vor Lachen! Er ißt nichts und seufzt nach Ihnen! Er ist wahnsinnig in Sie verliebt.«

      Natalie errötete tief bei diesen Worten.

      »Wie sie errötet! Entzückend!« sagte Helene. »Aber kommen Sie jedenfalls! Daß Sie jemand lieben, ist doch kein Grund, sich einzuschließen! Und ich bin überzeugt, Ihr Bräutigam kann auch nicht wünschen, daß Sie vor Langeweile sterben.«

      »Sie weiß also, daß ich Braut bin«, dachte Natalie. »Sie hat jedenfalls mit ihrem Mann, mit dem rechtschaffenen Peter darüber gesprochen und gelacht. Es ist also ganz unbedenklich.« Und unter dem Einfluß Helenes erschien ihr wieder alles einfach und natürlich, was ihr früher schrecklich erschienen war.

      Maria Dmitrijewna kam zu Tisch nach Hause. Sie war schweigsam und ernst und schien mit dem alten Fürsten einen Zusammenstoß gehabt zu haben. Sie war noch zu sehr aufgeregt, um die Sache ruhig erzählen zu können. Auf die Frage des Grafen erwiderte sie, es sei alles gut und sie werde morgen erzählen. Über den Besuch der Gräfin Besuchow und die Einladung zu ihrer Abendgesellschaft sagte Maria Dmitrijewna: »Ich liebe nicht, mit dieser Frau umzugehen und rate es euch auch nicht. Aber wenn du es versprochen hast, so fahre hin, mein Kind, das wird dich zerstreuen.«

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       Inhaltsverzeichnis

      Graf Rostow führte die Mädchen zur Gräfin Besuchow. Es waren ziemlich viele Gäste zugegen, die aber Natalie fast alle unbekannt waren. Der alte Graf bemerkte mit Mißvergnügen, daß die ganze Gesellschaft fast ausschließlich aus Herren und Damen bestand, die durch ihre freie Lebensweise bekannt waren. In einer Ecke stand Mamsell Georges, umgeben von jungen Leuten, und noch einige Franzosen waren zugegen, darunter auch Metivier. Der Graf beschloß, sich nicht an den Kartentisch zu setzen und die Mädchen nicht zu verlassen, und nach Hause zu fahren, sobald die Vorstellung von Mamsell Georges zu Ende sein werde.

      Anatol hatte augenscheinlich bei der Tür Rostows Eintritt erwartet. Er begrüßte sogleich den Grafen, trat auf Natalie zu und folgte ihr nach. Natalie empfand wieder, wie im Theater, Vergnügen darüber, daß sie ihm gefiel. Helene empfing Natalie strahlend und rühmte laut ihre Schönheit und ihre Toilette. Bald darauf verließ Mamsell Georges das Zimmer, um sich umzukleiden.

      Es wurden Stühle in Reihen aufgestellt und die Gesellschaft nahm Platz. Anatol brachte für Natalie einen Stuhl herbei und wollte sich neben sie setzen. Aber der Graf, der keinen Blick von Natalie abwandte, kam ihm zuvor, und Anatol setzte sich hinter sie.

      Bald erschien Mamsell Georges mit entblößten, dicken Armen mit Grübchen. Sie hatte einen roten Schal über die eine Schulter geworfen und blickte streng und düster die Zuhörer an. Dann deklamierte sie einige französische Verse, worin von ihrer verbrecherischen Liebe zu ihrem Sohne die Rede war. Zuweilen erhob sie die Stimme, an andern Stellen flüsterte sie und erhob feierlich den Kopf, zuweilen verstummte sie, keuchte und riß die Augen auf.

      »Entzückend! Wunderbar!« riefen alle Zuhörer. Natalie sah die dicke Dame an, hörte und sah, verstand aber nichts von allem, was vorging. Sie fühlte sich wieder ganz in jener fremden Welt, in der man nicht wissen konnte, was gut und böse, was vernünftig, was unsinnig ist.

      »Wie schön sie ist!« sagte Natalie zu ihrem Vater, welcher mit den andern aufstand und durch die Menge sich nach der Schauspielerin drängte.

      »Wenn ich Sie sehe, finde ich das nicht«, sagte Anatol, welcher Natalie nachfolgte. Er sprach so, daß niemand seine Worte hören konnte. »Sie sind bezaubernd! Vom ersten Augenblick an, wo ich Sie sah, habe ich nicht aufgehört …«

      »Komm, komm, Natalie!« sagte der Graf, als er zu seiner Tochter zurückkehrte. »Wie schön!«

      Natalie trat schweigend zu ihrem Vater und sah ihn mit fragenden, verwunderten Blicken an. Nach einigen andern Deklamationen fuhr Mamsell Georges davon, und die Gräfin bat die Gesellschaft in den Saal.

      Der Graf wollte nach Hause fahren, aber Helene bat ihn, ihren improvisierten Ball nicht zu verderben. Sie blieben. Anatol forderte Natalie zum Walzer auf und während des Tanzes drückte er zuweilen ihre Gestalt und ihre Hand, sagte ihr, sie sei verführerisch und er liebe sie. Während der Ecossaise, die sie wieder mit ihm tanzte, sah Anatol sie nur schweigend an. Natalie war im Zweifel, ob sie nicht nur im Traum vernommen, was er ihr während des Walzers gesagt hatte. Am Ende der ersten Figur drückte er wieder ihren Arm. Natalie schlug ihre erschreckten Augen auf, aber in seinem freundlichen Gesicht und Lächeln lag ein so zuversichtlich zärtlicher Ausdruck, daß sie nicht auszusprechen vermochte, was sie sagen wollte. Sie senkte die Augen.

      »Sprechen Sie nicht solche Dinge! Ich bin verlobt und liebe einen andern!« sagte sie hastig.

      Anatol war weder verlegen noch erzürnt über das, was sie ihm sagte.

      »Sprechen Sie nicht davon! Was geht das mich an?« sagte er. »Ich sage nur, ich bin wahnsinnig verliebt in Sie! Bin ich etwa schuld, daß Sie so entzückend sind? … An uns ist die Reihe.«

      Natalie sah sich mit glänzenden Augen um und schien heiterer als gewöhnlich zu sein. Sie begriff fast nichts von den Vorgängen dieses Abends. Es wurde Ecossaise und Großvater getanzt, und als ihr Vater sie aufforderte, nach Hause zu gehen, bat sie, noch bleiben zu dürfen. Wo sie auch war, mit wem sie auch sprach, immer fühlte sie seinen Blick auf sich.


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