Martin Luther. Martin Luther

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Luther biografisch betrachtet zusammen? – Es ist der in die Tiefe der Gottesferne und der daraus sich ergebenden Verzweiflung hineingestürzte, mit der iustitia Dei, der Gerechtigkeit Gottes, ringende Christ, der keinen Ausweg findet. Dieser Situation gibt er Ausdruck in den Versen aus seinem Lied „Nun freut euch lieben Christen g’mein“:

       „Die Angst mich zur Verzweiflung trieb, dass nichts denn Sterben bei mir blieb / zur Höllen musst ich sinken.“

      Man wird sich nicht damit aufhalten müssen, dass diese hohe Rühmung aus heutiger Sicht gewiss eine Überbewertung darstellt. Der Zeitpunkt und der Lebensaugenblick des mit der Gerechtigkeit Gottes ringenden Ordensmannes sind zu bedenken. Feststeht immerhin, dass die Theologia Deutsch als eine Grundschrift der volkssprachlichen Mystik nach der Art der Predigten eines Johannes Tauler in einem entscheidenden Augenblick Luthers Aufmerksamkeit geweckt hat. Es handelte sich um die Jahre um und nach 1510, als der Mönch und Theologe den theologischen Klärungsprozess durchlief, der ihn zur reformatorischen Erkenntnis in Wort und Schrift und Tat geführt hat. Es ist jene Erkenntnis, die in den „Glauben ohne des Gesetzes Werke“ (sola fide) einmündet. Es war der katholische Kirchenhistoriker Hubert Jedin, der darauf hinwies, dass dieser Glaube bei Luther ausgesprochen mystische Züge trägt. Es ist jene Mystik, die mit dem Begriff des raptus ausgedrückt wird; gemeint ist ein „Hineingerissenwerden des Geistes in die klare Erkenntnis des Glaubens“. Da ist der ganze Mensch beteiligt, der mit Gott konfrontierte Mensch in der Tiefe seiner Existenz.

      3. LUTHERS EINSCHÄTZUNG DER GLAUBENSMYSTIK

      Gleichwohl hat Luther selbst spirituelle Höhenerfahrungen aufzuweisen. Zu ihnen hat er sich gelegentlich ausdrücklich bekannt. Und doch muss man sagen: Diese Art des Innewerdens der Gottesnähe konnte sein Weg nicht sein. Ihm konnte es nicht darum gehen, in die Höhe spiritueller Ausnahmezustände zu gelangen, sondern ihm war von entscheidender Wichtigkeit, dass Gott in Jesus Christus den Weg in die Tiefe gegangen ist. Das ist das Eine. – Auf der anderen Seite aber haben wir zahlreiche Zeugnisse dafür, wie Luther sich immer wieder der Aussageweise der Mystik bedient, um das Wesen seines Christusglaubens verständlich zu machen, beispielsweise in seinen Vorlesungen über den Hebrärerbrief. Für ihn war der Christusglaube in seiner Hochform nach eigenem Bekunden „ein Hinweggenommenwerden [raptus] und ein Entrücktwerden [translatio].

      Nach seiner Überzeugung werde Christus durch den Glauben zu unserer substantia, zu unserem Reichtum; andererseits werden wir durch denselben Christus seine substantia; das heißt: Wir werden eine neue Kreatur, die kainé ktísis, das heißt die neue Schöpfung, auf die bereits Paulus (2 Kor 5,17) aufmerksam macht. Glauben heißt daher für Luther: Christus anziehen, eins mit ihm werden und alles mit ihm gemeinsam haben. Einmal gebraucht er die Vokabel conglutinatio (Zusammenleimung), die die Verbundenheit des Sünders mit seinem Erlöser in möglichst sinnenhafter Weise ausdrücken soll. Dies in Anspielung auf die unio mystica, die hier freilich keine mystische, das menschliche Ich auslöschende Verschmelzung meint, sondern communio und ein personales Zusammenkommen des Gottlosen mit seinem Gott, der ihn aus der Verlorenheit herausreißt. Entscheidend ist aber auch für ihn der Erfahrungscharakter (experimentaliter), gilt es doch, mit Christus Gleichförmigkeit (conformitas) zu erlangen.


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