Gesammelte Werke. George Sand

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Gesammelte Werke - George Sand


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be­we­gungs­los und starr vor Schreck und wag­te kaum den kah­len, kal­ten Bo­den der Grot­te an­zu­se­hen, als ob sie ge­fürch­tet hät­te, blu­ti­ge Spu­ren dar­auf zu ent­de­cken.

      Sie war noch ver­tieft in die­se trüb­se­li­gen Be­trach­tun­gen, als sie Al­bert sei­ne Gei­ge stim­men hör­te, und bald sang das In­stru­ment ihr den al­ten Psalm vor, den sie zum zwei­ten Male zu hö­ren so in­stän­dig ge­wünscht hat­te. Die Me­lo­die war so ei­gen­tüm­lich und Al­bert trug sie mit so rei­nem, rich­tig ge­fühl­tem Aus­druck vor, dass sie die gan­ze Angst ver­gaß, sich sacht dem Orte nä­her­te, wo er stand, ge­lockt und wie be­schwo­ren von ma­gne­ti­scher Ge­walt.

      12.

      Die Tür der Kir­che war of­fen ge­blie­ben: Con­sue­lo blieb auf der Schwel­le ste­hen, um den be­geis­ter­ten Künst­ler und das selt­sa­me Hei­lig­tum zu be­trach­ten.

      Die­se an­geb­li­che Kir­che war nichts wei­ter als eine un­ge­heue­re Höh­le, wel­che von den Hän­den der Na­tur un­re­gel­mä­ßig in den Fels ge­bro­chen und zum großen Teil durch die un­ter­ir­di­sche Ar­beit des Was­sers aus­ge­spült war. Ei­ni­ge Fa­ckeln, hier und da auf ge­wal­ti­gen Stein­blö­cken aus­ge­stellt, streu­ten selt­sa­me Lich­ter über die grü­nen Fels­wän­de und flirr­ten an fins­te­ren Tie­fen hin, in de­nen die un­be­stimm­ten For­men lang­ge­streck­ter Tropf­stein­ge­bil­de gau­kel­ten, wie Ge­s­pens­ter, wel­che die Hel­le ab­wech­selnd su­chen und flie­hen.

      Die mäch­ti­gen Nie­der­schlä­ge, wel­che das Was­ser ehe­mals an den Sei­ten der Höh­le ab­ge­setzt hat­te, stell­ten tau­send gril­len­haf­te Fi­gu­ren dar, bald rin­gel­ten sie sich wie rie­si­ge Schlan­gen, die sich ge­gen­ein­an­der bäu­men und ein­an­der ver­schlin­gen, bald er­ho­ben sie sich von dem Bo­den und stie­gen in furcht­ba­ren Na­deln em­por ge­gen die De­cke, bei de­ren Berüh­rung sie wie un­ge­heue­re za­cki­ge Zäh­ne er­schie­nen in klaf­fen­den Ra­chen, die die schwar­zen Fels­s­pal­ten bil­de­ten. An an­de­ren Stel­len glaub­te man un­förm­li­che Lei­ber, ko­los­sa­le Bil­der von bar­ba­ri­schen Gott­hei­ten des Al­ter­tums zu se­hen.

      Sie trat nä­her und sah Al­bert auf­recht ste­hen an dem Ran­de der Quel­le, die mit­ten in der Höh­le ent­sprang. Das Was­ser, wel­ches reich­lich ge­nug em­por­ge­trie­ben wur­de, war doch in ein so tie­fes Be­cken ein­ge­schlos­sen, dass auf sei­ner Ober­flä­che kein Spru­deln zu spü­ren war. Die­se war glatt und glän­zend wie ein dunk­ler Sa­phir, und die schö­nen Was­ser­ge­wäch­se, wo­mit Al­bert und Zden­ko den Rand der Quel­le um­ge­ben hat­ten, reg­ten sich auch nicht lei­se. Die Quel­le war an ih­rem Aus­gangs­punk­te warm und der laue Dunst, den sie in der Grot­te ver­brei­te­te, un­ter­hielt dar­in eine mil­de, feuch­te Luft, die dem Pflan­zen­le­ben güns­tig war. Sie trat aus ih­rem Be­cken in meh­re­re Ge­rin­ne, von de­nen ei­ni­ge sich mit dump­fem Mur­meln un­ter dem Ge­stein ver­lo­ren, an­de­re still in blin­ken­den Fur­chen das In­ne­re der Höh­le durch­zo­gen und sich in dem dun­keln Ge­klüft ver­lie­fen, in wel­chem die Be­gren­zung der­sel­ben un­be­stimmt ver­schwamm.

      Als Graf Al­bert, der bis jetzt nur sei­ne Gei­ge ver­sucht hat­te, Con­sue­lo nä­her tre­ten sah, ging er ihr ent­ge­gen und half ihr über die schlän­geln­den Ge­rin­ne hin­über, die er an tie­fen Stel­len mit Baum­stäm­men über­brückt hat­te. An an­de­ren Stel­len bo­ten Stei­ne, ein­zeln aus dem Was­ser her­vor­ra­gend, dem ge­üb­ten Trit­te einen leich­ten Über­gang. Er reich­te ihr die Hand, um ihr zu hel­fen, und hob sie manch­mal hin­über; aber die­ses­mal hat­te Con­sue­lo Furcht nicht vor der Was­ser­strö­mung, wel­che ge­räusch­los und düs­ter un­ter ih­ren Fü­ßen da­hin­floh, son­dern vor ih­rem ge­heim­nis­vol­len Füh­rer, zu dem ein un­wi­der­steh­li­cher Drang sie hin­zog, wäh­rend eine un­er­klär­li­che Ab­nei­gung sie zu­gleich von ihm ent­fern­te.

      Als sie den Rand der Quel­le er­reich­te, sah sie auf ei­nem großen Stei­ne, der die­sel­be um ei­ni­ge Fuß über­rag­te, einen Ge­gen­stand, der we­nig ge­eig­net war, sie zu be­ru­hi­gen. Es war eine Art vier­e­cki­gen Mo­nu­ments, aus mensch­li­chen Kno­chen und Schä­deln künst­lich zu­sam­men­ge­stellt, wie man es in den Ka­ta­kom­ben sieht.

      – Las­sen Sie sich nicht ban­gen! sag­te Al­bert zu ihr, da er ihr Zit­tern fühl­te. Die­se ed­len Res­te ge­hör­ten den Mär­ty­rern mei­ner Re­li­gi­on an, und aus ih­nen ist der Al­tar ge­formt, vor wel­chem ich mich in Be­trach­tung zu ver­lie­ren und zu be­ten lie­be.

      – Was für eine Re­li­gi­on ha­ben Sie denn, Al­bert? frag­te Con­sue­lo in Ein­falt und mit schwer­mü­ti­gem Tone. Sind das Ge­bei­ne von Hus­si­ten oder Ka­tho­li­ken? Wur­den nicht bei­de Par­tei­en Op­fer ei­ner gott­lo­sen Wut und Mär­ty­rer ei­nes gleich le­ben­di­gen Glau­bens? Ist es wahr, dass Sie den Hus­si­ten­glau­ben er­grif­fen und dem Ih­rer An­ver­wand­ten vor­ge­zo­gen ha­ben, und dass Ih­nen die Ver­bes­se­run­gen des Glau­bens aus spä­te­rer Zeit als der des Jo­hann Huß nicht gleich wür­dig und heil­sam schei­nen? Re­den Sie, Al­bert! was von dem soll ich glau­ben, was ich über Sie ge­hört habe?

      – Wenn man Ih­nen ge­sagt hat, dass ich die Re­for­ma­ti­on der Hus­si­ten der lu­the­ri­schen und den großen Pro­cop dem rach­gie­ri­gen Cal­vin vor­zie­he, wie ich die Kriegs­taten der Ta­bo­ri­ten de­nen der Sol­da­ten Wal­len­steins vor­zie­he, so hat man Ih­nen die Wahr­heit ge­sagt, Con­sue­lo! Aber was fra­gen Sie nach mei­nem Glau­ben, Sie, die Sie die Wahr­heit durch An­schau­ung inne wer­den, die Sie die Gott­heit bes­ser ken­nen als ich? Gott be­hü­te mich, Sie an die­sen Ort ge­führt zu ha­ben, um Ihre rei­ne See­le zu be­las­ten und Ihr ru­hi­ges Ge­wis­sen mit den Zwei­feln und den Qua­len mei­nes Den­kens zu trü­ben! Blei­ben Sie, Con­sue­lo, wie Sie sind! Sie sind fromm und gott­se­lig; mehr, Sie sind arm und in Dun­kel­heit ge­bo­ren und nichts hat da­hin ge­ar­bei­tet, in Ih­nen die Gerad­heit Ihres Den­kens und das Licht Ihres Ur­teils zu ir­ren und zu ver­fins­tern.

      Wir kön­nen mit­ein­an­der be­ten, ohne zu strei­ten, Sie, die Sie al­les wis­sen, ohne je et­was ge­lernt zu ha­ben, und ich, der ich sehr we­nig weiß, nach­dem ich viel ge­forscht habe. In wel­chem Tem­pel Sie auch die Stim­me er­he­ben mö­gen, im­mer wird der Be­griff des wah­ren Got­tes in Ihrem Her­zen sein und die Emp­fin­dung des wah­ren Glau­bens Ihre See­le er­fül­len. Nicht um Sie zu be­keh­ren, son­dern da­mit die Of­fen­ba­rung von Ih­nen auf mich über­ge­he, habe ich un­se­re Stim­men und un­se­re Geis­ter zu ver­ei­ni­gen ge­wünscht vor die­sem Al­ta­re, den ich aus den Ge­bei­nen mei­ner Vä­ter mir er­rich­tet habe.

      – Ich be­trog mich also nicht, in­dem ich dach­te, dass die­se ed­len Res­te, wie Sie sie nann­ten, die Ge­bei­ne der Hus­si­ten sind, die im blu­ti­gen Wü­ten des Bür­ger­kriegs in die Cis­ter­ne des Schre­cken­stein


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