Gesammelte Werke. George Sand
Читать онлайн книгу.stand versteint, als er wahrnahm, dass der Graf sein Tête-à-Tête mit der Corilla entdeckt hatte. Dieses rücksichtslose Mädchen hatte sich dessen gegen Zustiniani bei einem heftigen Streit, der noch zuletzt zwischen ihnen vorgefallen war, gerühmt. Im Gefühle seiner Schuld versuchte Anzoleto umsonst, Erstaunen zu heucheln.
– Gehen Sie und hören Sie, was Porpora über die Grundsätze der neapolitanischen Schule sagt, fuhr der Graf fort. Sie sollen es mir später wieder erzählen, es liegt mir viel daran.
– Das merke ich, Excellenz, entgegnete Anzoleto wütend und auf dem Sprunge, alles zu verderben.
– Nun, gehst du nicht? sagte Consuelo in ihrer Unschuld, ohne sein Zaudern zu begreifen. So will ich hingehen, Herr Graf! Sie sollen sehen, dass ich Ihre Dienerin bin.
Und ehe der Graf sie halten konnte, war sie mit einem leichten Sprunge über das Bänkchen hinüber, das sie von ihrem alten Lehrer trennte, und setzte sich dicht neben ihn.
Der Graf sah wohl, dass er bei ihr nicht eben große Fortschritte gemacht hatte und glaubte daher, sich verstellen zu müssen.
– Anzoleto, sagte er lächelnd und zog seinen Schützling ein wenig derb am Ohre, weiter will ich meine Rache nicht treiben. Sie ist um vieles hinter deinem Frevel zurückgeblieben. Aber ich will auch keine Vergleichungen anstellen zwischen dem Vergnügen, mich in Gegenwart von zehn Personen mit deiner Geliebten eine Viertelstunde ehrbar zu unterhalten, und jenem, welches du mit der meinigen allein in einer wohlverschlossenen Gondel genossen hast.
– Herr Graf, rief Anzoleto in heftiger Aufregung, ich schwöre bei meiner Ehre …
– Wo sitzt dir deine Ehre? entgegnete der Graf, vielleicht da in dem linken Ohre? Hierbei bedrohte er auch dieses unglückliche Ohr mit einer gleichen Lektion, wie das andere sie eben erhalten hatte.
– Halten Sie denn Ihren Schützling für so unklug, sagte Anzoleto, welcher seine Geistesgegenwart wieder gewann, nicht zu wissen, dass er einen so dummen Streich nicht begehen durfte?
– Begangen oder nicht, erwiderte der Graf, kurz, es ist mir in diesem Augenblicke die gleichgültigste Sache der Welt.
Er ging und setzte sich an Consuelo’s Seite.
12.
Gegen Mitternacht kehrte die Gesellschaft in den Salon des Pallastes Zustiniani zurück, um Chocolade und Sorbetts einzunehmen. Die Unterhaltung über Musik dauerte noch fort. Man war von dem Technischen der Kunst auf den Styl, auf die Ideen, auf die Formen der Älteren und Neueren, endlich auf den Vortrag zu reden gekommen, und verweilte nun bei den ausübenden Künstlern und bei deren verschiedenartiger Auffassungs- und Ausdrucksweise. Porpora sprach mit Bewunderung von seinem Lehrer Scarlatti, welcher es zuerst gewagt hatte, dem Kirchenstyl einen pathetischen Charakter zu geben. Mehr aber, fuhr er fort, mehr tat er nicht; er wollte nicht, dass die heilige Musik sich durch Anwendung von Verzierungen, Koloraturen und Läufern in das Gebiet der weltlichen verirrte.
– Verwerfen Sie demnach, verehrter Herr! sprach Anzoleto jene schwierigen Läufer und Manieren, denen Ihr berühmter Schüler Farinelli sein Glück und seinen Namen verdankt?
– Ich verwerfe sie nur in der Kirche, antwortete der Meister. Für das Theater billige ich sie. Ich will sie da, wohin sie gehören; vorzüglich aber tadele ich ihren Missbrauch. Sie setzen ein reines und richtiges Gefühl voraus, sie wollen mäßig, geschickt und geschmackvoll angewendet sein, sie müssen in ihren Modulationen nicht allein dem Gegenstande, den man vorträgt, sondern auch der Person, die man darstellt, der Leidenschaft, die man auszudrücken hat, und der ganzen Situation angemessen sein. Nymphen und Schäferinnen mögen wie Tauben girren, oder ihre Rhythmen wie murmelnde Bäche cadenzieren, aber Medea und Dido können nur schluchzen oder gleich verwundeten Löwinnen brüllen. Die Coquette wird ihre tollen Cavatinen mir grillenhaften und gesuchten Manieren überladen dürfen. In diesem Genre excelliert die Corilla; aber wenn sie tiefe Bewegungen, große Leidenschaften ausdrücken will, so bleibt sie unter ihrer Rolle: es hilft ihr nichts, dass sie sich abarbeitet, es hilft nichts, dass sie ihre Stimme und ihren Busen aufbläst; eine unzeitige Koloratur, ein unsinnig angebrachter Läufer macht im Augenblick die Erhabenheit, nach welcher sie getrachtet hat, zu lächerlicher Parodie. Ihr alle habt die Faustina Bordoni, jetzige Madame Hasse gehört. In gewissen Rollen, welche ihren glänzenden Eigenschaften entsprachen, war sie unübertroffen. Trat aber die Cuzzoni auf, und gab, mit ihrem reinen, tiefen Gefühl, dem Schmerz, der Bitte oder der Zärtlichkeit Sprache, so flossen euere Tränen und es war in euern Herzen keine Spur mehr von dem Eindruck, welchen die Kunststücke der Faustina auf euere Sinne gemacht hatten. Denn ein anderes ist das Talent, welches mit der Materie, und ein anderes das Genie, welches mit der Seele zusammenhängt; jenes ergötzt und dieses ergreift; jenes überrascht und dieses überwältigt. Ich weiß wohl, dass die Bravoureffecte beliebt sind; aber ich für meinen Teil muss es fast bereuen, dass ich meinen Schülern solche Sachen, die als Beiwerk ganz nützlich wären, gelehrt habe, wenn ich sehe, wie die meisten unter ihnen Missbrauch damit treiben und das Nötige dem Überflüssigen, die dauernde Rührung der Zuhörer dem Aufjauchzen der Überraschung und dem Beifallstampfen einer fieberhaften, flüchtigen Lust zum Opfer bringen.
Niemand bestritt diese letzteren Wahrheiten, welche in der Kunst ewig gelten und jedem höher begabten Künstler stets vorleuchten werden. Der Graf jedoch, welcher begierig war, zu erfahren, wie Consuelo weltliche Musik behandeln würde, tat als könnte er den strengen Grundsätzen Porpora’s nicht völlig beipflichten, und da er bemerkte, dass sich das bescheidene Mädchen, anstatt selbst seine Ketzereien zu bestreiten, immer nur nach ihrem alten Lehrer umsah, gleich als forderte sie diesen auf, siegreich zu antworten, so legte er ihr geradezu die Frage vor, ob sie sich wohl getrauen würde, auf der Bühne mit ebenso vielem Verstand und reifen Geschmack zu singen als in der Kirche.
– Ich glaube nicht, erwiderte sie in aufrichtiger Demut, dass ich mich dort ebenso erhoben fühlen könnte, und ich fürchte daher, dass ich viel weniger leisten würde.
– Diese sinnige und bescheidene Antwort macht mir Zuversicht, sagte der Graf, und ich bin gewiss, Sie würden sich durch die Gegenwart einer heißen, erwartungsvollen, wenn auch, wie ich nicht leugne, etwas verderbten Menge hinlänglich gehoben fühlen, um ein