Sagenbuch des Erzgebirges. Johann August Ernst Köhler
Читать онлайн книгу.bestritten werden.« Unsere zweite Sage vom Krinitzer Taufsteine faßt übrigens die Hauptvertiefung ebenfalls als ein Naturbecken auf.
Ganz unwahrscheinlich klingt in der zuerst mitgeteilten Sage die Deutung der übrigen Vertiefungen als Sitze für den Täufling und die Taufpaten. Die Täuflinge stiegen in der ersten christlichen Zeit wohl durchgängig ins Wasser und wurden untergetaucht, später, vom 8. Jahrhundert an, trat das Begießen und Besprengen an die Stelle des Untertauchens, obschon sich in der lateinischen Kirche das letztere teilweise noch bis ins 13. Jahrhundert erhalten hat. (Hauff, Bibl. Real- und Verbal-Concordanz, II. S. 748.) Es wäre dabei allerdings immer möglich, daß man am Krinitzer Taufsteine aus dem mittelsten Becken das Wasser geschöpft und damit den Täufling besprengt habe. Daraus aber, daß eine der Vertiefungen als Sitz für den Täufling bezeichnet wird, ergiebt sich, daß der Taufstein bei Erwachsenen benutzt wurde. Wozu dienten dann aber die andern Sitze, da ja wohl bei der Taufe von Erwachsenen keine Paten nötig waren? Es kann nämlich angenommen werden, daß die Wahl von Paten zugleich mit der Kindertaufe gegen Ende des zweiten Jahrhunderts in der christlichen Kirche Gebrauch wurde.
Mir erscheint es darum wahrscheinlicher, in unserm Taufsteine einen heidnischen, entweder germanischen oder slavischen Opferstein zu erblicken, und zwar auch in Berücksichtigung der Sage von dem dämonischen »Uhâmel,« welcher ihn gegen Steinmetzen schützen soll. Von spukhaften Gestalten, welche alte Opfersteine schützen, erzählen auch andere Sagen. So befindet sich bei Mukwar auf einem Hügel ein Stein, von dem man sagt, daß auf demselben einst geopfert worden ist. Als denselben einst ein Arbeiter zerschlagen wollte, sah er auf ihm eine Gestalt in langem, weißem Gewande sitzen. Vor Schrecken lief er davon und seit der Zeit hat niemand mehr Hand an den Stein zu legen gewagt. (Veckenstedt, Wendische Sagen und Märchen. Graz, 1880, S. 431.)
II.
Spukgeister- und Gespenstersagen.
Spukgeister und Gespenster sind nach Otto Henne-Am-Rhyn (die deutsche Volkssage) die Schatten der Götter; Götter werden zu Gespenstern, d. h. zu geisterhaftem täuschenden Trug (Jacob Grimm, deutsche Myth. 1835, S. 512), zu Phantomen, welche Menschen verlocken. Aber ebenso werden auch Menschen, deren Seelen nach der Sage häufig zur Strafe für begangenes Unrecht nicht der Seligkeit teilhaftig wurden, zu Gespenstern, und sie müssen nun zwischen Himmel und Erde schweben oder auch wohl zu den Stätten wiederkehren, an denen sie einst auf Erden wandelten.
Daß die alten heidnischen Götter zu gespenstischen Wesen wurden, erklärt sich aus der Zähigkeit, mit welcher unsere Vorfahren noch lange die Erinnerung an jene Göttergestalten bewahrten, obschon diese Erinnerung nach und nach in soweit verblaßte, als die ursprünglichen Züge sich verwischten und die Begriffe finsterer und abschreckender Gewalten an ihre Stelle traten. (Grimm a. a. O., S. 515.)
Als Beweis hierfür ist an erster Stelle Wuotan (Wodan) oder Odhin, der Herr des Himmels, und somit der Sterne, Wolken und Stürme zu nennen. Begleitet von den Walkyren, den Schlachtjungfrauen, und den in der Schlacht gefallenen Helden, ritt er auf seinem weißen Rosse Sleipnir dahin. Kampf gegen Menschen und Tiere ist die Tugend der Helden und darum ziehen letztere auch durch die Wälder, um zu jagen, und vor ihnen flüchtet das gehetzte Wild; als Geister ziehen sie jetzt durch die Lüfte. (Zapf, Sagenkreis des Fichtelgebirges, S. 2.)
Wuotans Zug ist in der Volkssage zum wilden Heer, der Gott selbst aber zum wilden Jäger geworden. Begründet wird diese Annahme in erster Linie durch skandinavische Sagen und Redensarten; so glaubt z. B. der schwedische Bauer im Sturmesgeheul des Gottes Jagd mit Rossen und Wagen zu vernehmen, und in Schonen nennt man ein nächtliches Geräusch »Odens Jagd«. Ähnlich sagt man in Mecklenburg und Pommern, daß »Wode jage«, und in Schwaben wird das wilde Heer zum »Wuetes«- oder »Wuotes«-, in Mittel- und Süddeutschland aber zum »wütenden Heere«. Und wenn nach einer unserer Sagen der wilde Jäger bei Schönlinde mit »hölzernen Hunden,« d. h. jedenfalls »Holzhunden« oder Wölfen jagt, so verweisen auch letztere auf Odhins Wölfe Geri und Freki, die er nach dem nordgermanischen Mythus täglich füttert. So reicht die Sage vom wilden Jäger und der wilden Jagd bis in das germanische Heidentum zurück. Sie verknüpft sich jedoch nicht nur mit dem Sturmgott Wuotan, sondern auch mit anderen Göttern, selbst Göttinnen und Helden. In Schwaben wurde noch im 16. Jahrhundert an die Spitze der wilden Jagd ein Gespenst mit Namen Berchtold, die männliche Gestaltung der Berahta gesetzt, und so mochten auch heidnische Göttinnen, besonders die genannte Berahta und Holda, welche einst feierlich durch das Land zogen, später nach dem Volksglauben auch das wilde Heer zu bestimmten Zeiten anführen. Wenn Frau Holda an der Spitze ihres Geisterheeres dahinzog, versah Eckhart mit dem weißen Stabe das Amt eines Herolds. Neben Eckhart war nach dem Volksglauben auch Dietrich von Bern ein zweiter Held des gespenstischen Zuges, (Grimm, a. a. O., S. 522–524), wenigstens heißt im Bereiche des Erzgebirges (bei Schönlinde) der wilde Jäger noch »Banditterch,« ebenso wie er in einer oberlausitzischen Sage (Haupt, Sagenbuch der Lausitz, No. 138) »Pan«, d. h. Herr »Dietrich« heißt, der einst ein Raubritter war, welcher wegen seiner Frevel zum wilden Jäger wurde. Der Übertragung der Sagen von Wuotan als wilden Jäger auf die historische Person Dietrichs von Bern wird auch von W. Mannhardt (die Götter der deutschen und nordischen Völker, S. 119) gedacht. Der Gotenkönig Theodorich, welcher in der Sage als Dietrich von Bern fortlebt, soll, – so ging schon im 12. Jahrhundert die Rede, – lebend auf einem Rosse ins Totenreich geritten sein. In Westfalen und Niedersachsen wird dagegen der wilde Jäger auf die historische Person eines braunschweigischen Oberjägermeisters namens Hackelbärend oder Hackelberg bezogen, der zur Strafe für sein eifriges Jagen als wilder Jäger spuken soll. Hackelbärend, d. h. Mantelträger, ist jedoch, wie Jacob Grimm vermutet, ein Beiname des Wuotan, denn des Gottes Schultern umhüllte ein weiter schwarzer Mantel, wenn er auf seinem Rosse dahinbrauste. (Grimm a. a. O., S. 517. Mannhardt, die Götter der deutschen und nordischen Völker, S. 108.)
Nach einer erzgebirgischen Sage (aus Karlsfeld) besteht das Gefolge des wilden Jägers aus den Seelen von Jägern, welche im Leben Übles gethan haben; ähnlich spricht auch der Volksmund in Böhmen (Grohmann, Sagenbuch aus Böhmen und Mähren I., S. 74), daß dem wilden Jäger die Seelen der Verdammten in Gestalt von glühenden Hühnern folgen, und eine norwegische Sage erzählt, daß diejenigen Seelen, welche nicht so viel Gutes thun, daß sie den Himmel, und nicht so viel Böses, daß sie die Hölle verdienen, wie Trunkenbolde und Spötter zur Strafe bis ans Ende der Welt umreiten sollen. (Grimm, a. a. O., S. 525.) Neben denen, die ihre Christenpflicht vergessen haben, sollen auch die ungetauft gestorbenen Kinder und die eines gewaltsamen Todes Umgekommenen zum Gefolge des wilden Jägers gehören, da diese nach einem engherzigen christlichen Dogma vom Himmel verschmäht, dem heidnischen Gotte zufallen. (Henne-Am Rhyn, a. a. O., S. 530.) Wie bei uns im Erzgebirge hörte man auch in der Lausitz beim Durchziehen der wilden Jagd das Anschlagen wie von »Dachshunden« (Haupt a. a. O., N. 39.), und diejenigen, welche den wilden Jäger anriefen, erhielten bei uns wie in der Lausitz und im Harz ein Stück übelriechendes Aas. (Haupt a. a. O., No. 144. Veckenstedt, Wendische Sagen, S. 43, 44, 50. Gillwald, der Harz in Geschichte und Sage, S. 21.) So hören wir dieselben Sagenklänge in den verschiedensten Gegenden unseres Vaterlandes; überall ist das Schattenbild des germanischen Gottes in seinen wesentlichen Eigenschaften gleich; denn er zieht wiederholt dieselbe Straße, führt die Wanderer in der Nachtzeit irre und ist erzürnt, wenn man sein Huh, Huh! oder das Gekläff seiner Hunde nachahmt. Daher gilt auch heute das Gebot, sich bei seinem Nahen nieder auf die Erde zu werfen und ihn nicht anzurufen, wie dies auch eine durch den Kult gebotene Forderung an unsere heidnischen Vorfahren war, wenn Gott Wuotan im Sturme durch die Wipfel der Bäume brauste.
Wie die Sagen vom wilden Jäger, dem ähnlich in unserm Gebirge der Katzen- und Bachreiter, sowie der unheimliche Hans Michel erscheinen, sind auch diejenigen vom Reiter ohne Kopf, der bei uns ein Schrecken der Holzdiebe ist, auf Wuotan zurückzuführen. Ein Reiter ohne Kopf zieht durch die Waldungen des Saallandes, und wenn er junge Leute, welche um Mitternacht auf einem Kreuzwege horchten, vertrieb und verfolgte und diese dann glücklich vor ihm die Hausthüre verschlossen hatten, so geschah ein schwerer Schlag an die Thüre und am anderen Morgen war der tiefe Eindruck eines Hufeisens zu sehen. (L. Zapf, a. a.