Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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der­sel­ben hat­te sich Her­weg nie­der­ge­las­sen. In einen wei­ten Man­tel gehüllt, einen Filz­hut mit brei­ter Krem­pe auf dem Kop­fe, saß er da wie ein großer schwar­zer Pilz, der über Nacht auf­ge­schos­sen. Als Rosa zu ihm hin­ab­stieg, poch­te ihr Herz stär­ker, und als sie vor ihm stand, wuss­te sie nicht so­gleich et­was Pas­sen­des zu sa­gen. Her­weg schwieg auch und blick­te sei­ne Ge­lieb­te stau­nend an. So schön hat­te er sie nie zu­vor ge­se­hen, und das mach­te ihn be­trof­fen. Rosa lach­te ge­zwun­gen, und den­noch schie­nen ihre Lip­pen erns­ter als sonst. In den so lus­ti­gen Zü­gen lag heu­te ein frem­der Aus­druck von Er­regt­heit und Scheu, der sie ver­schön­te. »Ah! Koll­hardt, Sie sind da!« sag­te Rosa end­lich lei­se und trip­pel­te um­her, als frö­re sie.

      »Ja, Rosa.« – »Lan­ge schon?« – »Nicht all­zu­lan­ge. Aber Sie, Rosa, ha­ben Sie sich nicht ge­fürch­tet, so al­lein bei Nacht?«

      »O doch!«

      Bei­de spra­chen halb­laut und has­tig.

      Her­weg er­hob sich. Ihm war sehr ge­fühl­voll ums Herz, bis auf die klei­ne Be­fan­gen­heit, die er sich nicht ein­ge­ste­hen woll­te. »Rosa«, sag­te er ein we­nig hei­ser und fass­te die dunkle klei­ne Ge­stalt fest an die Schul­tern. »Oh!« rief Rosa und hüll­te sich fes­ter in ihr Tuch. So stan­den sie an­ein­an­der­ge­lehnt: »Koll­hardt«, ver­setz­te Rosa, auf den Fluss hin­aus­deu­tend, »das dort, es ist doch Ne­bel?«

      Un­zwei­fel­haft war es Ne­bel. Ein durch­sich­ti­ges wei­ßes Band, lag er auf dem Was­ser und stieg die Ufer hin­an. Jen­seits des Flus­ses brei­te­te sich das Land flach und dun­kel­gelb aus, hie und da von ein­zel­nen Bäu­men und Bü­schen mit schwar­zen Fle­cken ver­se­hen.

      Da­hin­ter – am Ho­ri­zont – hing ein ganz mat­tes wei­ßes Leuch­ten.

      Her­weg drück­te in­brüns­tig Ro­sas Schul­ter. Eine große Auf­re­gung stieg in ihm auf, und laut hör­te er das trä­ge Schü­ler­herz in sei­ner Brust po­chen. »Rosa!« flüs­ter­te er, »kom­men Sie – komm – wir set­zen uns an­ein­an­der.« Er brei­te­te sei­nen Man­tel auf das Hei­de­kraut und drück­te das Mäd­chen auf ihn nie­der. Rosa ließ es ge­sche­hen. Fest in ihr Tuch gehüllt, saß sie da und schau­te stet auf das Land hin­aus.

      Her­weg nä­her­te sich ihr be­hut­sam, wie ei­nem scheu­en Vo­gel, fass­te sie, beug­te sie zu sich her­an – sie ge­horch­te wil­lig, dann küss­te er eine der küh­len Wan­gen. Er woll­te auch die Hän­de aus dem Tuch her­vor­ho­len, sie sträub­ten sich je­doch, und er muss­te stär­ker an dem schwar­zen Stof­fe zer­ren. All das ge­sch­ah schwei­gend; nur das tiefe­re Atem­ho­len der bei­den Kin­der war ver­nehm­bar.

      Rosa mach­te sich von Her­weg los und saß wie­der ge­ra­de da. »Wis­sen Sie, Koll­hardt«, sag­te sie, »bei Lan­ins ist heu­te der Neue an­ge­kom­men.«

      »Nun, da wird sich Sal­ly freu­en.«

      »Glau­ben Sie, dass er sie hei­ra­ten wird?«

      »Nein.«

      »Ich glau­be das auch nicht.«

      Ein Wind­stoß fuhr über das Land, je­nes flüch­ti­ge We­hen, das die Run­de durch die Som­mer­nacht macht, ein kur­z­es Rau­schen er­weckt, uns streift, uns has­tig Düf­te fer­ner Gär­ten zu­wirft und wei­ter­zieht. Rings­um er­wach­ten die Feld­gril­len und be­gan­nen eif­rig zu wet­zen und zu spre­chen; ein fast be­täu­ben­des Schril­len zog den Fluss ent­lang und ant­wor­te­te vom Gar­ten hin­ter dem Zaun und vom an­de­ren Ufer. Aus ei­nem ent­le­ge­nen Fel­de drang der Ruf des Wach­tel­kö­nigs her­über, ein ste­tes Knar­ren, als zöge je­mand eine ros­ti­ge Uhr auf und wür­de nim­mer fer­tig.

      »Hörst du?« frag­te Rosa und wand­te ihr Ge­sicht der Rich­tung zu, aus der der Ton kam.

      »Ja«, er­wi­der­te Her­weg be­geis­tert und schlang sei­ne Arme fest um das Mäd­chen. Rosa ließ nur einen tie­fen Seuf­zer hö­ren und lehn­te ih­ren Kopf auf Her­wegs Arm; er aber küss­te ihr laut und stür­misch Wan­gen und Lip­pen, dann hob er ih­ren Kopf em­por, um das Ge­sicht deut­lich zu se­hen; re­gungs­los sah es zu ihm em­por, bleich und ernst, in je­nem Ernst, mit dem die Sinn­lich­keit ein Frau­en­ant­litz zu ver­schö­nen pflegt. Die Au­gen grell­blau und ge­dan­ken­los. »Rosa, was ist Ih­nen?« frag­te Her­weg er­schro­cken. Da rich­te­te sich Rosa has­tig auf.

      Der Ne­bel war vom Was­ser bis zu ih­nen her­an­ge­schli­chen. Wie wei­ße Ga­ze­fet­zen lag er auf dem Kraut und glit­zer­te. Fern in der Stadt schlug die Turm­uhr zehn. Ihre hei­se­re Stim­me rief miss­ge­laun­te Töne in die Nacht hin­aus, als wäre sie aus tie­fem Schlum­mer auf­ge­fah­ren, um ver­drieß­lich ihre Pf­licht zu tun.

      »Es ist zehn Uhr«, sag­te Her­weg.

      »Ja – ich gehe heim«, er­wi­der­te Rosa, und wäh­rend Her­weg sich in sei­nen Man­tel hüll­te, ging sie un­ru­hig hin und her und griff mit den Hän­den in die Ne­bel­flo­cken, die über dem Gra­se hin­gen,

      »Sind Sie fer­tig, Koll­hardt?« frag­te sie.

      »Ja, ich füh­re Sie nach Hau­se. Nicht?«

      »Nein, Koll­hardt, das darf nicht ge­sche­hen. Sie ge­hen hier hin­auf. Ich fin­de mich schon zu­recht. Le­ben Sie wohl.«

      Sie reich­ten sich ein we­nig steif und un­ge­lenk die Hän­de. Her­weg woll­te dann Rosa küs­sen, sie aber ent­wand sich ihm schnell und eil­te den Pfad hin­an.

      Siebentes Kapitel

      Herrn Lan­ins Neu­er war wirk­lich an­ge­langt. In ei­ner of­fe­nen Post-Chai­se hielt er um sie­ben Uhr abends vor dem Lan­in­schen Hau­se. Drei Kof­fer, ele­gant mit Le­der über­zo­gen, wa­ren vor ihm auf­ge­türmt. Er selbst trug einen grau­en Staub­man­tel. Ganz wie Herr Herz es sei­ner Toch­ter be­rich­tet hat­te.

      Herr La­nin be­fand sich ge­ra­de in sei­nem Stu­dier­zim­mer, dem ge­ach­tets­ten Ge­ma­che des Hau­ses. Die Fens­ter, die auf den Hof hin­aus­gin­gen, stan­den of­fen, und ein kräf­ti­ger Stall­ge­ruch ström­te her­ein. Das Ge­mach selbst hat­te ein stren­ges, erns­tes Aus­se­hen. Die Wän­de wa­ren mit blan­kem holz­far­be­nen Pa­pier be­klebt. Ein ein­zi­ger Lehn­ses­sel und ein ein­zi­ges Rohr­stühl­chen be­fan­den sich in dem Ge­mach, und bei­de stan­den vor dem Schreib­tisch. Auf dem Lehn­ses­sel saß Herr La­nin, auf dem Rohr­stühl­chen Con­rad Lurch. Herr La­nin war eben da­bei, Con­rad Lurch zu kon­trol­lie­ren. Er setz­te einen Knei­fer mit großen run­den Glä­sern auf die Nase und beug­te sich über ein schma­les Buch, lang­sam mit dem Fin­ger die Zah­len­rei­he hin­ab­fah­rend. Lurch mach­te ein sehr freund­li­ches Ge­sicht; er lach­te so­gar, aber die­se Freund­lich­keit war selt­sam starr, die­ses Lä­cheln un­na­tür­lich ste­tig und ge­knif­fen. Es schi­en, als sei die­ses Lä­cheln, einst viel­leicht lus­tig und ge­wöhn­lich, alt ge­wor­den; man hat­te ver­ges­sen, es fort­zu­wi­schen; nun stand es ein­ge­trock­net und ein­ge­ros­tet auf dem gel­ben Ge­sicht.

      »Schwei­zer Käse!« rief Herr La­nin und blick­te auf. »Ja – Schwei­zer Käse«, er­wi­der­te Lurch höf­lich. Der Prin­zi­pal aber lehn­te sich zu­rück und sah vor sich hin auf die Wand. An der Wand hing, in gol­de­nem Rah­men, Herrn Lan­ins Bild. Dort trug er wei­ße Ho­sen und einen schwar­zen Rock. in der einen Hand hielt er sei­nen Hut, die an­de­re leg­te er wohl­wol­lend auf ein Al­bum, das ne­ben ihm auf ei­nem Tisch­chen lag. Rechts hing das Bild der Frau La­nin, auf dem der Glanz des schwar­zen


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