Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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sie für ihn tun; al­les könn­te er sa­gen, und sie wür­de ge­wiss nicht mehr so kin­disch und klein­städ­tisch la­chen. Sie woll­te gleich mit ihm auf sei­ne ein­sa­me In­sel flie­hen – woll­te ihn ver­ste­hen und be­wun­dern. Wie schön hat­te er aus­ge­se­hen, als er sie so grim­mig küss­te!

      An die schmut­zi­ge Tröd­ler­bu­de ge­lehnt, stand das arme Mäd­chen – bleich vor Auf­re­gung – die Au­gen vol­ler Trä­nen auf den gars­ti­gen Moh­ren des Lan­in­schen La­dens ge­rich­tet, und sag­te sich, wie sehr es Lan­ins großen, un­glück­li­chen, herz­kran­ken La­den­die­ner lieb­te. –

      Die­se Zu­sam­men­künf­te an der Tröd­ler­bu­de wur­den zur täg­li­chen Ge­wohn­heit. Je­der Tag hat­te für Rosa jetzt nur eine gol­de­ne Stun­de, die sie nicht müde ward, mit Herz­klop­fen her­bei­zu­seh­nen, und das nann­te sie »ihre große Lie­be«.

      Wenn die Stun­de kam, wenn die Stra­ßen stil­ler und das Heer der Flie­gen und Mücken in der hei­ßen Luft lau­ter wur­de, dann dul­de­te es Rosa nicht län­ger da­heim. Oft – wenn Herr Herz mit dem Auf­he­ben der Ta­fel zö­ger­te, um noch eine Ge­schich­te zu er­zäh­len – ward Rosa von stür­mi­scher Un­ge­duld ge­schüt­telt. Sie zer­knit­ter­te das Tisch­tuch zwi­schen ih­ren Fin­gern, stieß mit dem Ab­satz ge­gen den Stuhl­fuß; sie hat­te nur die Tröd­ler­bu­de im Sinn, das lie­be klei­ne Haus, ganz warm von Son­nen­schein – mit sei­nen al­ten Klei­dern, sei­nem Ge­ruch nach Kräu­ter­sei­fe und Staub. – Ach Gott, wäre sie nur schon dort! Kaum war die Ge­schich­te aus­er­zählt, als Rosa schon von ih­rem Stuhl auf­sprang; pfeil­schnell ging es die Trep­pe hin­ab, und un­ten auf der Stra­ße trank Rosa in ei­nem lan­gen Atem­zug die schwü­le Luft der Mit­tags­stun­de, die Luft ih­rer Lie­bes­ge­schich­te. Wie ver­ach­te­te sie all die Men­schen hin­ter den nie­der­ge­las­se­nen Vor­hän­gen. Dort, in den en­gen Stu­ben wohn­te die fade, ein­tö­ni­ge Phi­lis­ter­welt – die Schanks – die Klappe­kahls – die Ra­sers. – Hier, durch das Ge­f­lim­mer der Mit­tags­stun­de, schwirr­ten wun­der­li­che, ki­chern­de Ge­stal­ten, de­ren jede ein hei­te­res Ge­heim­nis be­wahr­te – hier wohn­ten die Lie­ben­den; hier dräng­te sich Ida in den Häu­ser­ni­schen an ih­ren Schus­ter­bu­ben – hier war Am­bro­si­us zu fin­den. Er er­war­te­te Rosa hin­ter der Türe des Tröd­ler­hau­ses. Am Tage nach dem ers­ten Zu­sam­men­tref­fen war er noch ernst und weich ge­stimmt. Rosa habe, sag­te er, mit ih­rem La­chen sein Herz ge­ra­de in dem Au­gen­blick tief ver­letzt, da er es ihr ganz er­schlie­ßen woll­te: »Es war mir, als hät­te je­mand mir ein Glas Was­ser über den Kopf ge­gos­sen – wür­de ein Dich­ter sa­gen.« Hier­mit war die Ver­söh­nung be­sie­gelt und die Lie­be be­gann, denn es war von ihr nicht mehr so viel die Rede. Lan­ge, trau­li­che Plau­de­rei­en ka­men an die Rei­he. Die Ge­heim­nis­se der Schank­schen Schu­le und des Lan­in­schen Haus­hal­tes wur­den er­ör­tert, und wenn Am­bro­si­us sich ganz nah an Ro­sas Ohr her­an­beug­te, um et­was be­son­ders Wich­ti­ges zu er­zäh­len, dann ki­cher­te Rosa je­nes un­ter­drück­te La­chen, das man von Kin­dern an sol­chen Or­ten hört, wo das La­chen ver­bo­ten ist. Am häu­figs­ten dreh­te sich das Ge­spräch um Fräu­lein Sal­ly, und da­bei konn­ten die Lie­ben­den am herz­lichs­ten la­chen, als wäre Fräu­lein Sal­lys Le­ben das bes­te Lust­spiel. Ein rö­mi­sches Mäd­chen, das in den Ehe­stand trat, weih­te ihr Kin­der­spiel­zeug der Ve­nus; heu­te op­fert ein Mäd­chen der Lie­be ihre Schul­freun­din, das ar­ti­ge Spiel­zeug der Back­fisch­jah­re.

      Zu­wei­len ward Am­bro­si­us wie­der wei­he­voll und poe­tisch und sprach von sei­nem lei­den­schaft­li­chen Her­zen, von der Herz­beu­tel­ent­zün­dung, von ei­nem dä­mo­ni­schen Wei­be, das er ge­liebt hat­te. Rosa hör­te ihm be­wun­dernd zu, ob­gleich sie der Ge­dan­ke quäl­te: »Welch ein Un­glück, wenn ich jetzt la­chen müss­te.« – So­bald es sich aber tun ließ, lenk­te sie das Ge­spräch auf sei­ne frü­he­re Bahn zu­rück: »Was hat Sal­ly noch ge­sagt? Was tut sie noch? Er­zäh­le!« Und Am­bro­si­us konn­te nur sel­ten den blau­en Au­gen wi­der­ste­hen, die ihn lus­tig er­war­tungs­voll an­schau­ten, und dem spöt­ti­schen Mun­de, der be­reit war, beim ers­ten Wort ei­ner Sal­ly-An­ek­do­te zu la­chen.

      Wenn end­lich die Son­nen­strah­len gar zu heiß her­nie­der­brann­ten, wur­den bei­de des Spre­chens müde. Schwei­gend stan­den sie bei­ein­an­der, Schul­ter an Schul­ter, Hand in Hand, und blin­zel­ten sich schläf­rig in die Au­gen. Aus die­ser sü­ßen Er­schlaf­fung er­wach­ten sie dann mit dop­pelt zärt­li­chen Her­zen. Sie dräng­ten sich in der Ecke der Tröd­ler­bu­de an­ein­an­der und schwo­ren sich ihre Lie­be zu: »Rosa – Rosa! Ich lie­be dich. Bei Gott! Du bist mir das Höchs­te.« – »Ja, Amby, ich bin dir sehr gut – sehr!« Und sie um­arm­ten sich vor dem gan­zen Markt­platz und all den dum­men Fens­tern mit den fest zu­ge­zo­ge­nen Vor­hän­gen.

      Zwölftes Kapitel

      Frau La­nin hat­te sich zur Ruhe be­ge­ben. Das Ge­sicht, von der großen wei­ßen Schlaf­hau­be um­rahmt, ver­zog sich sor­gen­voll, denn die rech­te Stel­lung für je­des der mäch­ti­gen Glie­der zu fin­den, kos­te­te Frau La­nin all­abend­lich Mühe und Nach­den­ken.

      Auch Fräu­lein Sal­ly war schon im Nacht­klei­de, trug ein licht­blau­es Ka­mi­sol, und ihre Lo­cken ver­ei­nig­ten sich in zwei großen Knol­len zu bei­den Sei­ten der Stirn; sin­nend sto­cher­te sie mit ih­rer Haar­na­del an der Ker­ze her­um und er­zähl­te:

      »Gut! Sie stan­den also dort an der Türe der Tröd­ler­bu­de, mir ge­gen­über. Ich konn­te sie gut be­ob­ach­ten, denn an­fangs schob ich den Vor­hang ein we­nig zu­rück, spä­ter mach­te ich mit ei­ner Steck­na­del ein klei­nes Loch in den Vor­hang.«

      »Ein Loch in den Vor­hang?« fuhr Frau La­nin auf.

      »Mein Gott, ein ganz klei­nes Loch! Wer sieht das!« mein­te Fräu­lein Sal­ly un­ge­dul­dig. »In sol­chen Au­gen­bli­cken kön­nen alte Vor­hän­ge nicht ver­schont wer­den. An­fangs spra­chen sie mit­ein­an­der. Sie lach­ten recht wi­der­wär­tig; ver­stehst du, so wi­der­wär­tig frech – er kehr­te mir den Rücken zu…«

      »Mehr hast du nicht ge­se­hen?« frag­te Frau La­nin ent­täuscht.

      »So war­te doch, wenn du dich be­stän­dig rührst, kann ich nicht er­zäh­len.« Dann fuhr sie fort: »Sie lach­ten also wi­der­wär­tig frech und spra­chen mit­ein­an­der«, nahm Fräu­lein Sal­ly ih­ren Be­richt wie­der auf und bohr­te ihre Haar­na­del tief in die Ker­ze.

      »Konn­test du et­was ver­ste­hen?«

      »Gott sei Dank nicht! Ich sah, wie sie sich plötz­lich in die Ecke drück­ten und – du ver­stehst? Sie na­tür­lich mach­te den An­fang.«

      »Was denn?«

      »Nun – du ver­stehst –; ich mag es nicht sa­gen.«

      »Gro­ßer Gott! Was denn? Sag es nur.«

      »Ver­stehst du denn nicht? Sie, nun, sie…« Fräu­lein Sal­ly küss­te ihre ei­ge­ne Hand: »Ja, das sah ich!«

      »Sie küss­ten sich also?«

      »Das ist es, da du es ge­sagt ha­ben willst; sie küss­ten sich –« Or­dent­lich zi­schend stieß Fräu­lein Sal­ly die­ses Wort her­vor.

      »O Gott, o Gott!« jam­mer­te Frau La­nin.

      »Für Kla­gen ist es zu spät«, schalt Fräu­lein Sal­ly. »Wer trägt die Schuld?


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