Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling

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Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke - Eduard von  Keyserling


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schau­te, die noch feucht von Schnee­flo­cken wa­ren.

      »Das sind Mäd­chen, was?« rief Ag­nes be­geis­tert aus. »Wie die Manns­leu­te, wie die Sol­da­ten!«

      Stramm und auf­recht stan­den sie da, als trü­gen sie statt der Ja­cken Küras­se, und lie­ßen sich be­trach­ten.

      »Du bist Mar­tha«, fuhr Ag­nes fort, »das sah ich schon im Fins­tern, denn du bist die Grö­ße­re. Aber die Gre­the ist auch hübsch in die Höhe ge­gan­gen. Ja – ja, aber wie man Gäs­te emp­fängt, habt ihr doch nicht er­lernt; weiß es Gott! So geht doch, Feu­er in der Kü­che an­ma­chen, dass wir et­was War­mes be­kom­men, hur­tig!«

      Die Mäd­chen mach­ten kehrt, dass die Rö­cke saus­ten, und lie­fen hin­aus. Ne­ben­an in der Kü­che hör­te man sie mit schwe­ren Schrit­ten um­her­ge­hen, flüs­tern und ki­chern.

      »Vom Lan­de eben!« ent­schul­dig­te Ag­nes und schau­te sich im Zim­mer um. »Recht fein hat sich die Schwes­ter ein­ge­rich­tet, die­se De­cken – die­se Bil­der! Nicht wahr?«

      »Ja – sehr fein.«

      Das blau ta­pe­zier­te Zim­mer war von Ge­gen­stän­den über­füllt: Drei Kom­mo­den, vie­le braun po­lier­te Stüh­le mit ro­tem Über­zug, ein Sofa, vier Lehn­ses­sel, ein großer und zwei klei­ne Ti­sche. Über­all la­gen wei­ße, aus Baum­wol­le ge­knüpf­te Schutz­de­cken um­her. Klei­ne Fo­to­gra­fi­en in schwar­zen Rah­men hin­gen an den Wän­den – die einen mit Wa­chol­derzwei­gen, an­de­re mit Pa­pier­blu­men be­kränzt. End­lich – in der Ecke am Fens­ter – stand ein Glas­schrank, in dem sich al­ler­hand frem­des, ge­heim­nis­vol­les Gerät be­fand. Ag­nes lob­te die Ses­sel und setz­te sich auf einen der­sel­ben be­quem zu­recht. Der gu­ten See­le tat es wohl, auch ein­mal Gast sein zu dür­fen, und sie rieb sich die Hän­de, was sonst ihre Ge­wohn­heit nicht war.

      Plötz­lich ward die Türe hef­tig auf­ge­ris­sen, und eine tie­fe, lau­te Frau­en­stim­me rief atem­los aus dem Flur in das Wohn­zim­mer hin­ein: »Ich sag­te es gleich, so­bald ich fort bin, kom­men sie. Aber die­se Bäcke­rin, die gibt mir kei­ne Ruh. Täg­lich muss sie mich ho­len las­sen, für nichts und wie­der nichts!«

      Die klei­ne brei­te Frau Böhk stürm­te ins Zim­mer hin­ein, gehüllt in ein grau­es Um­schlag­tuch, wei­ße Pa­ke­te un­ter bei­den Ar­men. Sie streck­te Ag­nes ihr ro­tes, küh­les Ge­sicht zum Kus­se ent­ge­gen und sprach da­bei wei­ter, im­mer noch in ihr Tuch gehüllt, die Pa­ke­te un­ter den Ar­men. »Gu­ten Abend, Schwes­ter! Wie ge­sagt, nur die Bäcke­rin ist schuld dar­an, dass ich nicht zu Hau­se war. Ich sage dir, die­se Per­son bringt mich um. Eine Mut­ter von fünf Kin­dern, und doch je­des­mal der­sel­be Tanz, sie kennt ih­ren Ter­min nicht. Lässt mich in ei­nem fort ho­len, glaubt, sie stirbt schon. Ah, das ist dein Fräu­lein! Gu­ten Abend, Fräu­lein! Wir wol­len uns schon mit­ein­an­der ver­tra­gen.«

      Frau Böhk hat­te viel Ähn­lich­keit mit Ag­nes, nur war sie eine sehr blü­hen­de, in die Brei­te ge­gan­ge­ne Ag­nes. Die Schwes­tern hat­ten gleich graue Au­gen, aber die der Heb­am­me wa­ren runder, tra­ten mehr her­vor und roll­ten un­ter­neh­men­der. Das gan­ze Ge­sicht hat­te ein jün­ge­res, ge­sün­de­res Aus­se­hen und glänz­te, wie von Fir­nis über­zo­gen. Sie ent­le­dig­te sich end­lich ih­res Tu­ches und ih­rer Pa­ke­te, sprach im­mer­zu und be­leb­te das Ge­mach mit ih­ren run­den, has­ti­gen Be­we­gun­gen, und als noch die Mäd­chen her­ein­ka­men und, von der Tan­te ge­schol­ten, hin und her schos­sen, da ward das Trei­ben so bunt und leb­haft, dass es Rosa schwin­del­te.

      »Wo sind die Jun­gen?« frag­te Frau Böhk.

      »Hans ist in sei­nem Zim­mer und schläft«, be­rich­te­te Mar­tha. »Der On­kel ist aus­ge­gan­gen.«

      »Was der auch nie zu Hau­se blei­ben kann.«

      »Vi­el­leicht eine Be­stel­lung«, mein­te Gre­the, muss­te aber schnell zur Türe hin­aus, weil ein zu wil­des La­chen in ihr auf stieg.

      »Be­stel­lung!« sag­te Frau Böhk ver­ächt­lich. »Wenn die Gre­the doch ein­mal et­was Ver­nünf­ti­ges sa­gen wür­de! Gleich­viel! Mit dem Es­sen wird nicht ge­war­tet!«

      Als die Fa­mi­lie sich um die Kalbs­le­ber mit Er­däp­feln ge­schart hat­te, ward Frau Böhk ru­hi­ger, und ihre Nich­ten mach­ten sich mit Ernst über das Es­sen her. Die ro­ten, blan­ken Ge­sich­ter auf die Tel­ler her­ab­ge­beugt, die Arme weit auf den Tisch ge­scho­ben, be­weg­ten sie be­däch­tig die Kinn­ba­cken. Vor der Haus­frau stand ein Bier­krug, aus dem sie sich ein Glas nach dem an­dern voll­schenk­te. »Ja. Fräu­lein«, wand­te sie sich an Rosa, »bei mei­ner Ar­beit muss ich Bier trin­ken, denn ich brau­che Kraft, viel Kraft. Or­dent­lich rin­gen muss ich mit man­chen Frau­en. Wenn Sie mei­nen Arm se­hen wür­den, blau ist er, und hier oben – die Nar­be muss noch da sein –, spä­ter, wenn ich mich aus­klei­de, wer­de ich sie Ih­nen zei­gen – hier hat mich die Jen­ny Wal­ter ge­bis­sen – du weißt, Ag­nes, die Toch­ter von dem Schmied Wal­ter, sie hat­te das Kind von dem Karl Mar­tis, der als Sol­dat fort­muss­te. Die arme Jen­ny also biss mich in den Arm – aber fest, wis­sen Sie, wie die Mar­tha jetzt in den Erd­ap­fel beißt.«

      Die Mäd­chen räum­ten das Gerät ab. »Dem Hans«, be­fahl Frau Böhk, »tragt das Es­sen hin­auf. Des Fräu­leins we­gen wird er nicht her­ab­kom­men wol­len.« Und nun setz­te sie sich be­quem zu­recht, nes­tel­te sich die Ja­cke auf, schenk­te ein Bier ein und plau­der­te.

      Ach, Rosa wuss­te es ge­wiss nicht, was für eine ge­plag­te Per­son Frau Böhk war, wie soll­te sie auch! Die Fräu­leins in der Stadt dür­fen ja von solch ei­ner Per­son gar nicht spre­chen; das wuss­te Frau Böhk wohl. Aber wenn man Frau Böhk nö­tig hat­te, dann war sie nicht mehr un­an­stän­dig. Sie lach­te ein lau­tes, fet­tes La­chen, das ihr die Trä­nen in die Au­gen trieb. Ach was, ihr war’s gleich, ob man in der Stadt von ihr spre­chen durf­te oder nicht. Was sie von ei­nem je­den ver­nünf­ti­gen Frau­en­zim­mer ver­lang­te, war, dass es sich im großen Au­gen­blick be­nahm, wie es sich ge­hört.

      Die Mäd­chen setz­ten sich mit ih­rer Nä­he­rei auch an den Tisch, die Köp­fe so tief in die Ar­beit nie­der­beu­gend, dass man nur das brau­ne Haar und die wei­ßen Schei­tel sah. Zu­wei­len je­doch, wäh­rend die Tan­te ih­ren Vor­trag hielt über das rich­ti­ge Ver­hal­ten ei­ner Frau in der schwe­ren Stun­de, zu­wei­len ho­ben Mar­tha und Gre­the die Köp­fe, sa­hen sich an und drück­ten die Lein­wand, an der sie näh­ten, ge­gen die Lip­pen, um das La­chen zu dämp­fen.

      Rosa war müde und schläf­rig, ein sü­ßes Be­ha­gen brei­te­te sich über sie un­ter die­sen der­ben, ge­sun­den Men­schen, die nach Wol­le und fri­scher Win­ter­luft ro­chen. Sie fühl­te sich un­ter ih­nen si­cher ge­bor­gen, und das Le­ben er­schi­en ihr wie­der wie ein ein­fa­ches, selbst­ver­ständ­li­ches Ding, das man ru­hig hin­nimmt und trägt, bis es ei­nem wie­der ge­nom­men wird. Nichts wei­ter.

      Frau Böhk wünsch­te Rosa eine sehr gute Nacht; sie um­schlang sie mit bei­den Ar­men und sag­te warm: »Schla­fen Sie recht süß, lie­bes Kind, und las­sen Sie sich et­was Gu­tes träu­men. Sie wis­sen das doch, in un­se­rem Fall muss man von Vö­geln oder Hun­den träu­men; be­son­ders Hun­de sind gut.«

      Ro­sas Zim­mer war ein en­ges Gie­bel­stüb­chen, das nach fri­schem Kalk roch. Ein Bett, ein klei­nes schwar­zes Sofa, ein Tisch und Stüh­le stan­den dar­in, an dem Fens­ter hin­gen wei­ße Vor­hän­ge, und ein ver­küm­mer­ter Ro­sen­stock schmück­te


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