Metaphysik: Das Grundlegende aller Wirklichkeit. Aristoteles

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Metaphysik: Das Grundlegende aller Wirklichkeit - Aristoteles


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ist. Und weiter, wenn also die Materie Existenz hat, weil sie unentstanden ist, dann ist es doch wohl noch viel mehr anzunehmen, daß die Form existiert als das Wesen, das die Materie annimmt. Denn wäre weder die eine noch die andere, dann existierte überhaupt nichts. Ist das aber undenkbar, so muß notwendig neben dem konkreten Gebilde noch etwas sein, nämlich die Gestalt und die Form.

      Wenn man aber ein solches setzt, so erhebt sich das neue Bedenken, für welche Gegenstände man es zu setzen hat, für welche nicht. Denn offenbar hat es keinen Sinn, es für alle Gegenstände zu setzen. So werden wir nicht annehmen, daß es neben den einzelnen Häusern noch ein Haus obendrein gibt. Und außerdem: soll in allen Einzelwesen die Wesenheit eine einheitliche sein, z.B. eine in allen Menschen? Das wäre doch widersinnig; denn alles das, was eine einheitliche Wesenheit hat, ist eines. Oder soll sie Vieles und Verschiedenes sein? Aber auch dies ist unannehmbar. Und zugleich: auf welchem Wege wird denn die Materie zu jeglichem von diesen? und in welchem Sinne ist denn das konkrete Gebilde jenes beides zusammen?

      Das neunte Problem

      Sodann, die Prinzipien betreffend läßt sich noch folgendes fernere Bedenken erheben. Ist jedes Prinzip ein Eines nur im Sinne einer Art, so wird nichts aus den Prinzipien abgeleitetes eins sein der Zahl nach, auch nicht die Eins selber und nicht das Seiende. Wie soll es aber ein Erkennen geben, wenn es nicht ein Eines gibt über allem? Andererseits, ist jedes der Prinzipien numerisch eins, existiert es also nur einmal und nicht wie bei den sinnlichen Gegenständen jedesmal im gegebenen Falle als ein numerisch Anderes - so z.B. sind für diese bestimmte Silbe, jedesmal wo sie als eine und dieselbe vorkommt, auch die Buchstaben, aus denen sie besteht, der Art nach dieselben, während sie numerisch andere sind - ist es also nicht so, sondern sind die Prinzipien des Seienden jedes numerisch eins: so wird es nicht neben diesen Elementen noch etwas anderes geben; so viel Einzelwesen, so viel Prinzipien. Denn ob man sagt: numerisch eines, oder: Einzelwesen, das macht keinen Unterschied. Das eben ist der Sinn des Wortes: das Einzelwesen ist das numerisch Eine, das Allgemeine aber das in den Einzelnen Gemeinsame. Es verhält sich also damit wie bei den Elementen des Lautgebildes. Wenn diese numerisch bestimmt wären, so müßte die Anzahl sämtlicher Lettern die es gibt ebenso groß sein wie die der Buchstabenarten, da nicht zwei oder mehr existierende Lettern denselben Buchstaben bedeuten würden.

      Das zehnte Problem

      Eine Frage sodann, die an Schwierigkeit keiner anderen nachsteht, ist von unseren Zeitgenossen ebenso wie von ihren Vorgängern unerledigt gelassen worden; wir meinen die Frage, ob die Prinzipien der vergänglichen Dinge dieselben sind wie die der unvergänglichen, oder ob sie von ihnen verschieden sind. Sind sie dieselben, wie geschieht es, daß das eine vergänglich, das andere unvergänglich ist, und was ist der Grund dafür? Die Gesinnungsgenossen des Hesiodos wie alle die, deren Reflexion sich in mythischer Form bewegte und sich auf das ihrem Vorstellungskreis Zusagende beschränkte, haben was uns beschäftigt nicht beachtet. Indem sie die Prinzipien zu Göttern machen und alles von Göttern ableiten, lautet ihre Erklärungsweise etwa so: sterblich geworden sei, was nicht von Nektar und Ambrosia gekostet habe! Mit solchen Ausdrücken meinten sie offenbar in der ihrem Vorstellungskreise geläufigen Weise der Sache zu genügen. Indessen, schon mit der Verwendung von Ursachen dieser Art zur Erklärung haben sie etwas für uns völlig Unverständliches vorgebracht. Denn nehmen die Götter diese Dinge zu sich bloß um des Genusses willen, so bilden Nektar und Ambrosia für ihr Dasein nicht den Grund; andererseits nehmen sie sie zu sich um der Selbsterhaltung willen, wie können die Götter als unsterblich gelten, wenn sie doch der Nahrung bedürfen? Indessen, auf solches Philosophieren in mythischer Form sich ernsthaft einzulassen, ist nicht der Mühe wert. Wir müssen uns an diejenigen halten, die in der Form strenger Wissenschaft verfahren, und müssen sie befragen, wie es kommt, daß von den Wesen, die aus denselben Quellen stammen, der eine Teil seiner Natur nach ewig, der andere vergänglich ist.

      Da sie einen Grund dafür nicht anzugeben wissen und die Sache auch nicht wohl verständlich ist, so liegt der Schluß nahe, daß die Prinzipien und Gründe für beides wohl nicht die gleichen sein werden. Hat doch selbst Empedokles, von dem man wohl annehmen kann, daß er noch am ehesten seine Gedanken in strenger Folgerichtigkeit entwickelt, sich dieser Schwierigkeit nicht zu entziehen gewußt. Er setzt ein Prinzip, den Streit, als Grund der Vergänglichkeit; aber nichtsdestoweniger möchte man meinen, daß dies Prinzip doch auch erzeugend wirkt, ausgenommen für die oberste Einheit. Denn alles übrige zwar stammt von ihm, nur nicht dies ursprünglich Eine, Gott. So wenigstens heißt es:

      Daraus stammt, was war, was ist, und alles was sein wird,

       Daraus sind die Pflanzen entsproßt, die Männer und Weiber,

       Tiere des Feldes und Vögel nebst wasserbewohnenden Fischen,

       Götter auch, die langlebigen.

      Aber auch abgesehen davon ist die Sache klar. Denn er sagt: wäre nicht der Streit in den Dingen, so würde alles eines sein; und wenn sie sich verbinden,

      »entflohn ist der Streit zu der Welt Rand«.

      Daher ergibt sich bei ihm die Konsequenz, daß Gott, der doch der seligste ist, an Erkenntnis ärmer ist, als die übrigen Wesen. Denn er kennt die Elemente nicht alle, ihm bleibt der Streit fremd; erkannt aber wird das Gleiche durch das Gleiche. So sagt er:

      Denn durch die Erd' in uns schaun Erde wir, Wasser durch Wasser,

       Luft, die hehre, durch Luft, das verheerende Feuer durch Feuer,

       Liebe durch Liebe, den Streit durch Streit hinwieder, den schlimmen.

      Aber wovon wir abgekommen sind: so viel ist als Konsequenz offenbar, daß bei ihm der Streit Grund des Seins ebensowohl als Grund des Vergehens, und ebenso die Freundschaft nicht bloß Grund des Seins ist; denn indem sie Verbindung stiftet, hebt sie das gesonderte Sein auf. Zugleich aber weiß er einen Grund der Veränderung selbst nicht anzugeben; genug, daß es sich nun einmal so mit der Natur der Dinge verhält:

      Doch als mächtig der Streit in den Gliedern des Ganzen heranwuchs,

       Hoch zu Ehren empor sich hob im Laufe der Zeiten,

       Die nach bestimmendem Schwur zum Wechsel ihnen gesetzt sind...

      Das heißt also: der Wechsel ist notwendig; aber einen Grund für diese Notwendigkeit gibt er nicht an. Aber allerdings, insoweit ist er der einzige, der sich konsequent bleibt. Er läßt nicht einen Teil des Seienden vergänglich, einen anderen unvergänglich sein, sondern nach ihm ist alles vergänglich, bloß mit Ausnahme der Elemente. Die Frage dagegen, von der wir hier handeln, ist die, aus welchem Grunde das eine vergänglich ist, das andere nicht, wenn doch alles aus derselben Quelle stammt.

      Das Bisherige mag ausreichen, um zu zeigen, daß die Prinzipien für beides nicht wohl dieselben sein können. Nehmen wir andererseits an, die Prinzipien für beides seien verschieden, dann ergibt sich die eine Frage, ob auch die Prinzipien für das Vergängliche als unvergänglich, oder ob sie als vergänglich zu denken sind. Sind sie vergänglich, so müssen offenbar auch sie aus irgend etwas abgeleitet sein; denn alles was vergeht, löst sich wieder in das auf, woraus es stammt. Die Folgerung, die sich daraus ergibt, wäre also die, daß unter den Prinzipien die einen die ursprünglicheren, die anderen die abgeleiteten wären. Das aber ist undenkbar, gleichviel ob man irgendwo Halt macht oder ob man damit ins Unendliche fortgeht. Überdies, wie soll es zu einem Sein des Vergänglichen kommen, wenn die Prinzipien selber vergehen? Sind sie aber unvergänglich, aus welchem Grunde soll aus dem einen Unvergänglichen Vergängliches, aus dem anderen Unvergänglichen aber Unvergängliches stammen? Das ist nicht recht verständlich; sondern es ist entweder ganz undenkbar, oder es bedürfte doch einer umständlichen Ableitung.Wirklich hat niemand es auch nur unternommen, besondere Prinzipien für das Vergängliche anzugeben; sondern man nimmt für alles dieselben Prinzipien an, und knabbert und nagt an jenem fundamentalen Bedenken herum, als sähe man darin etwas ganz Unerhebliches.

      Das elfte Problem

      Was aber für die Untersuchung unter allem das Schwierigste und zugleich für alle Wahrheitserkenntnis das Unerläßlichste ist, das ist die


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