Oliver Twist. Charles Dickens

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Oliver Twist - Charles Dickens


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auf­schlug, und er fühl­te sich froh und zu­frie­den, war doch die Kri­sis glück­lich über­stan­den, und er ge­hör­te wie­der der Welt an.

      Nach drei Ta­gen war er wie­der fä­hig, in ei­nem Lehn­stuhl zu sit­zen, den man ihm gut mit Kis­sen aus­ge­stopft hat­te und den Mrs. Bed­win selbst die Trep­pen hin­un­ter­schlepp­te in das klei­ne Haus­häl­te­rin­nen­stüb­chen, das sie be­wohn­te. Dort saß nun Oli­ver ne­ben dem Ofen, und die gute alte Dame setz­te sich zu ihm und fing vor Freu­de, ihn wie­der so wohl zu se­hen, laut an zu wei­nen.

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      »Ach­te nicht auf mich, lie­bes Kind«, sag­te sie, »ich wei­ne mich nur gern von Zeit zu Zeit ein biss­chen aus; jetzt ist es schon vor­über, und ich bin wie­der ganz froh und ver­gnügt.«

      »Sie sind so freund­lich ge­gen mich«, sag­te Oli­ver.

      »Den­ke nicht dar­über nach, mein Kind«, wehr­te ihm die alte Dame. »Den­ke lie­ber an dei­ne Sup­pe, denn es ist höchs­te Zeit, dass du wie­der ein­mal et­was isst. Der Herr Dok­tor hat ge­sagt, Mr. Brow­n­low kön­ne heu­te früh vor­spre­chen und dich be­su­chen, und da musst du ihm ein glück­li­ches und zu­frie­de­nes Ge­sicht zei­gen, da­mit er sich dar­über freut.« Dann wärm­te die alte Dame in ei­nem Kes­sel ein we­nig Fleisch­brü­he, die nach Oli­vers An­sich­ten an Kraft für min­des­tens drei­hun­dert­fünf­zig Ar­men­häus­ler – ge­ring ge­schätzt – aus­ge­reicht hät­te.

      »Siehst du ger­ne Bil­der, mein Kind?« frag­te die alte Dame, als sie sah, wie Oli­ver ge­spannt auf ein Por­trät blick­te, das ihm ge­gen­über an der Wand hing.

      »Ich weiß es nicht, Mrs. Bed­win«, sag­te Oli­ver, ohne die Au­gen von dem Bild weg­zu­wen­den. »Ich habe so we­nig ge­se­hen, dass ich es kaum zu sa­gen weiß. Was für ein schö­nes freund­li­ches Ge­sicht die Dame dort hat.«

      »Ach«, seufz­te die alte Frau, »die Ma­ler ma­chen doch die Da­men im­mer viel hüb­scher, als sie wirk­lich sind. Na ja, sonst wür­de sich auch nie­mand ma­len las­sen, mein Kind. Der Mann, der den Ap­pa­rat er­fun­den hat, mit dem man jede Ähn­lich­keit her­vor­bringt, hät­te wis­sen müs­sen, dass er da­mit kein Ge­schäft ma­chen kann. Es ist ein viel zu ehr­li­ches Hand­werk. Viel zu ehr­lich«, wie­der­hol­te die alte Dame und lach­te herz­lich über ih­ren Scharf­sinn.

      »Ist das – das Bild ähn­lich, Mrs. Bed­win?« frag­te Oli­ver.

      »Ja«, sag­te die alte Dame und blick­te einen Au­gen­blick von der Sup­pe auf. »Es ist doch ein Por­trät.«

      »Von wem?«

      »Das kann ich dir wirk­lich nicht sa­gen, Kind«, ant­wor­te­te die alte Dame gut ge­launt. »Es hat wohl mit nie­mand Ähn­lich­keit, den ich oder du ken­nen. Es scheint dich zu in­ter­es­sie­ren, Klei­ner?«

      »Es ist so wun­der­schön.«

      »Du fürch­test dich doch nicht am Ende da­vor?« frag­te die alte Dame, als sie be­merk­te, dass et­was wie Leid oder Schmerz im Blick Oli­vers lag.

      »O, nein, nein«, be­teu­er­te Oli­ver rasch. »Aber ihre Au­gen se­hen so be­trübt drein, und wo im­mer ich hin­schaue, im­mer schei­nen sie auf mich ge­rich­tet zu sein. Das Herz schlägt mir da­bei«, setz­te er mit lei­ser Stim­me hin­zu. »Gera­de, als ob die Dame noch am Le­ben wäre und mit mir spre­chen woll­te, aber nicht könn­te.«

      »Gott im Him­mel«, rief die alte Dame er­staunt, »was sprichst du denn da, Kind? Du bist noch sehr an­ge­grif­fen von dei­ner Krank­heit. Ich will dir den Stuhl auf die an­de­re Sei­te rol­len, dann siehst du es nicht im­mer. – So«, sag­te sie und ließ ih­ren Wor­ten die Tat fol­gen, »jetzt kannst dus nicht mehr se­hen.«

      Aber im­mer noch sah Oli­ver im Geis­te das Bild vor sich, schwieg je­doch dar­über, um der al­ten Dame kei­nen Kum­mer zu be­rei­ten, son­dern mach­te ein freund­li­ches glück­li­ches Ge­sicht. Mrs. Bed­win, die sich dar­über sehr freu­te, schüt­te­te in die Sup­pe Salz, brock­te ge­rös­te­te Sem­mel­schnit­ten hin­ein und reich­te sie dann Oli­ver, der sie heiß­hung­rig ver­schlang. Er hat­te kaum den letz­ten Löf­fel ge­schlürft, als es lei­se an die Türe klopf­te und Mr. Brow­n­low ein­trat.

      Wie ge­wöhn­lich hat­te der alte Herr die Bril­le auf die Stirn ge­scho­ben und die Hän­de in den Schö­ßen sei­nes Schlafrockes ver­bor­gen. Er warf jetzt einen be­däch­ti­gen lan­gen Blick auf Oli­ver und mach­te so­fort ein höchst be­stürz­tes Ge­sicht, denn Oli­ver sah eher aus wie ein Schat­ten, als wie ein le­ben­der Jun­ge, und bei sei­nem Ver­such, sei­nen Wohl­tä­ter zu be­grü­ßen, sank er vor Schwä­che wie­der in sei­nen Stuhl zu­rück. Mr. Brow­n­low, des­sen Herz so weit war, dass es für min­des­tens sechs alte phil­an­thro­pisch ge­sinn­te Her­ren aus­ge­reicht hät­te, tra­ten so­fort die Trä­nen in die Au­gen.

      »Ar­mer Jun­ge, ar­mer Jun­ge«, mur­mel­te er und räus­per­te sich, um sei­ne Rüh­rung zu ver­ber­gen. »Ich bin wie­der schreck­lich hei­ser heu­te Mor­gen, Mrs. Bed­win. Ich fürch­te, ich habe mich er­käl­tet.«

      »Ich will doch nicht hof­fen, Sir«, sag­te Mrs. Bed­win. »Ich habe mich selbst über­zeugt, dass Ihre Klei­der, be­vor Sie sie an­zo­gen, ganz tro­cken wa­ren.«

      »Ich weiß, ich weiß, Mrs. Bed­win«, be­schwich­tig­te Mr. Brow­n­low. »Aber ich fürch­te, die Ser­vi­et­te ges­tern Mit­tag muss ein we­nig feucht ge­we­sen. Doch las­sen wir das. Wie geht es dir, Klei­ner?«

      »O, ich bin so glück­lich, Sir«, ant­wor­te­te Oli­ver, »und bin Ih­nen so von Her­zen dank­bar für all das Gute, das Sie mir er­wie­sen ha­ben, Sir.«

      »Bra­ver Jun­ge«, sag­te Mr. Brow­n­low stolz und wür­dig. »Ha­ben Sie ihm denn auch et­was Gu­tes zu es­sen ge­ge­ben, Mrs. Bed­win? Doch nicht etwa Was­ser­sup­pe?«

      »So­eben einen Tel­ler schö­ne kräf­ti­ge Fleisch­brü­he, Sir«, ant­wor­te­te Mrs. Bed­win ein we­nig ge­kränkt, dass man ihr zu­mu­te­te, sie wer­de dem Pa­ti­en­ten Was­ser­sup­pe rei­chen.

      »Brrrr«, sag­te Mr. Brow­n­low mit ei­nem leich­ten Schau­der, »ein paar Glä­ser Port­wein wä­ren noch viel bes­ser ge­we­sen, was meinst du, Tom Whi­te?«

      »Ich hei­ße Oli­ver, Sir«, ant­wor­te­te der klei­ne Pa­ti­ent und sah Mr. Brow­n­low er­staunt an.

      »Oli­ver?« wie­der­hol­te Mr. Brow­n­low. »Oli­ver? Oli­ver Whi­te also.«

      »Nein, Sir. Twist, Oli­ver Twist.«

      »Ku­rio­ser Name«, rief der alte Herr. »Wes­halb hast du denn dem Kom­mis­sär ge­sagt, du hießest Whi­te?«

      »Das habe ich ihm nicht ge­sagt, Sir«, ant­wor­te­te Oli­ver er­staunt.

      Das klang so of­fen­kun­dig wie eine Lüge, dass der alte Herr Oli­ver er­staunt an­blick­te, aber das Ge­sicht des klei­nen Pa­ti­en­ten trug so of­fen den Stem­pel der Wahr­heit, dass Mr. Brow­n­low so­fort je­den Zwei­fel fal­len ließ.

      »Also ein Irr­tum«, brumm­te er. Dann plötz­lich sah er den Klei­nen wie­der starr an, der Ge­dan­ke an eine Ähn­lich­keit mit ei­nem Ge­sicht, das er ir­gend­wo ge­se­hen, dräng­te sich ihm über­mäch­tig auf.

      »Sie sind doch nicht böse auf mich, Sir?« frag­te Oli­ver schüch­tern?

      »Nein,


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