Ins neue Land. Gabriele Reuter

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Ins neue Land - Gabriele Reuter


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und alte Spitzen auf den Tischzeugen – er spürte den Geschmack des Weines auf der Zunge – Fasanenpastete reichte der Diener ... Er roch den feinen Duft der Trüffeln – widerlich, daß man von den dummen Erinnerungen nicht loskam ...

      »Verflucht feine Klöße konnte meine Olle kochen,« hörte er eine brummige Stimme hinter sich ... »ick sage schon, wenn ick davon ’ne Schüssel hier hätte – mit Speckstippe ... Dunnerschlag ja ...!«

      – – Franz Rolfers mußte lachen – laut und erlösend. Hatte er das Menschliche je so stark in seiner Macht erkannt?

       Es kam keine große Schlacht für sie, keine der gewaltigen Taten mit Niederwerfung, Umklammerung, Vernichtung des Feindes – mit schmetternden Siegesfanfaren und brausenden Hurras auf den leichenübersäten Feldern.

      Das war andern Kameraden beschieden, nicht gerade seinem Regiment. Lange bekamen sie keinen Feind zu Gesicht. Doch auch über ihren Köpfen vernahmen sie die kleinen Vögel, die so seltsam fein und scharf sangen, wenn man sie am Ohr vorüberfliegen hörte ... Hier – dort streckte einer den Arm in die Luft, taumelte ein paar Schritte vorwärts – sank in sich zusammen.

      Die erste Zeit im Schützengraben ... Strenges Verbot zu feuern, nachdem einige der in den Gräben vor dem ihren liegenden Kameraden getroffen worden waren. Untätiges Liegen. – Warten. – Tage und Nächte hindurch. Die Granaten krachten, platzten, rissen lebendige Menschen zu einem Klumpen von Blut, Fleischfetzen, zuckenden Gliedmaßen zusammen. Knattern, Sausen, Brüllen, Dröhnen, Donnern – die Luft auf Meilen ringsum von Getöse erfüllt. Ein Heulen in letzter Todesqual – Angstgekreisch aus rasenden Schmerzen – obszöne Scherze – krampfiges Gelächter – betende Hilferufe, abgelöst von starrem Schweigen hinter zusammengebissenen Zähnen, während die Granaten in ihren Reihen wüteten in der stockrabenschwarzen Finsternis. Rolfers lag, wie die Nachbarn, das Gesicht in den nassen Lehm gedrückt, den Tornister zum Schutz auf den Nacken gerückt. Plötzlich fühlte er sich erwachen, nachdem er wie in einem tiefen Schlund untergesunken – erkannte, daß er geschlafen hatte, mitten im Tosen und Krachen der explodierenden Geschosse. An seiner Seite, zur Rechten, zur Linken ein schweres Schnarchen anderer toderschöpfter Männer. Er – Franz Rolfers, der seinen Namen in die Ewigkeit zu schreiben beabsichtigte – nur einer von vielen – vom Todesgrauen in Bleischlaf gestürzt – wie der Metalldreher dort, der Schusterjunge hier, der den Knabenkopf schlaftrunken an seine Schulter drängte.

      Als der Morgen dämmerte, der Befehl zum Angriff an sie gelangte, stieß er das heisere wilde Hurra aus verdorrter Kehle gleich den andern, sprang, schlich, stürzte, sprang wieder in weiten Sätzen, wie sie die Sehnen nur leisten konnten, über die glitschigen Lehmschollen, die faulenden Blätter der Rübenfelder. Springen, sich niederwerfen, wieder springen mit dem schweren Tornister auf dem Rücken, das Gewehr mit aufgepflanztem Bajonett schwingend, – ja, wie sie brüllten schrien, tobten – die Gesichter blaurot – die Augen aus den Höhlen gequollen, kein menschlicher Ausdruck mehr – vom Blutrausch ergriffen, eine Schar von Teufeln, von Vernichtern ... Und im Nebel auftauchend die blutigroten Flecken der Franzosenhosen – die feindlichen Gestalten, die sich, schreiend, kreischend wie sie selbst, ihnen entgegenstürzten – im grauen klatschenden Regen ... Im Nahkampf sich packten mit Fäusten und Kolbenhieben und Messern, und der Stahl der Bajonette sauste in weiches Menschenfleisch, und Blutfontänen spritzten in die Lüfte, die Knochen krachten, die Augen sprangen aus den Höhlen – die Nase füllte sich mit dem Gestank des Todes ... Keiner – nicht Freund noch Feind – mehr Mensch mit menschlichen Schicksalen und Leiden – nur noch ungeheure Gewalten, in wütender Wollust und grausiger Umarmung gegeneinander ringend – in jedem Blutstropfen nur noch das Leben des Vaterlandes spürend ...

      – – Vernichtet, zerstampft mußte sie werden, die feindliche Gewalt, wie Hirnmasse und Schädeldecken zerstampft wurden in den grausamen Kämpfen ... Rolfers raste, tobte, schoß, schlug, haute um sich, brüllte und würgte im Wahnsinn der Kampfgier gleich den andern. Vernichtet mußte sie werden, die französische Kultur, die er studiert, zergliedert, an der er gelernt, die er geliebt hatte wie wenig Dinge auf Erden. Notwendigste Ergänzung des eigenen Besitzes war ihm Frankreich gewesen in Zeiten, die undenkbar ferne schienen ... Welch ein wahnsinniger Traum ...

      – – Viele Nächte in Kellern oder zerschossenen Bauernhütten, wo man in der nächsten Sekunde in Flammen eingehüllt sein konnte, mit Gestank und Ungeziefer, zwischen einer feindlichen Bevölkerung, von der man sich aller Greuel und jeder Heimtücke zu versehen hatte. Ihm kam die Kenntnis der Landessprache mit allen Provinz- und Volksausdrücken zugute – er hatte einst viel gemalt in diesen Gegenden. Nun konnte er Händel schlichten zwischen den Leuten und den Kameraden, die bis zur gegenseitigen Raserei ausarteten und oft nur aus Mißverständnissen hervorwuchsen. Die Einwohner, besonders Frauen und Kinder, faßten trotz seines kurz angebundenen Wesens ein wenig Vertrauen zu ihm, er sah hinein in das grenzenlose Elend, das der Krieg über alle diese Familien brachte. Und konnte nicht mehr herzerleichternd mit den Kameraden schimpfen: dreckige, verruchte Bestien! Mit starrem Schmerz fühlte er nur: auch sie morden ja für den einen göttlichen Begriff: Vaterland – Heimat!

       Unter den eignen Landsleuten nahm er dieselbe Stellung ein wie überall sonst zwischen Menschen: er genoß Achtung, ja zuweilen Verehrung, ohne geliebt zu werden. Trotz all des tief Gemeinsamen, was ihn mit den Kameraden verband, blieb eine kühle Ferne zwischen Rolfers und den Mannschaften. Das änderte sich auch nicht durch die brüderliche Teilung von Liebesgaben, durch die Trauer um Gefallene, durch die Schulter an Schulter bestandenen Gefahren. Rolfers war keine Natur, die sich warm erschließen konnte, oder die Öffnung andrer Herzen zu erwecken vermochte. Früher hatte er diesen Mangel schmerzlichst beklagt, später nahm er ihn als unabänderlichen Teil seines Wesens. Dürstete ihn nach Erhebung, so wandte er sich an die Natur. Sie sprach zu ihm, wie nur zu Auserwählten, er war ihr ein Liebhaber, dem sie intimste Reize erschloß, den sie trunken machen konnte mit einem Zauber, der andern vorenthalten blieb. Zwar beobachtete Rolfers, daß auch unter Offizieren wie Soldaten manche während dieses Feldzuges die Rückkehr in den Zustand des wilden Urzeitmenschen mit einer tiefen Lust genossen. – Würde solche erstaunliche Veränderung Früchte tragen in einem Frieden, der höchst unwahrscheinlich ferne, unerreichbar schien? ... Würde sie als wertvolle Vereinfachung von Sitten und Empfindungen eine Neugestaltung überfeinerter Kultur bewirken können? Oder würde sie mit allen Erlebnissen dieser innerhalb der schauerlichsten Todesbezirke vertrotzten Zeit in die dunkeln Gründe, die unter dem wachen Bewußtsein schlummern, zurückgeworfen und dem Vergessen überantwortet werden?

      Solchen Gedankengespinsten hing Rolfers gern in müßigen Stunden nach. Antwort konnte er nicht geben, denn noch befand sich alles in strömender Bewegung, in fürchterlicher Aufwühlung von unmöglichen Gegensätzen, in denen zu jeder Stunde Rückfälle in Barbarentum und Tierheit mit den strahlendsten Beweisen höchsten Menschentums zusammenstießen. Gleicherweise bei Freund und Feind.

      In all den fremdartigen Lebensumständen geleitete doch ein tiefgewohntes Heiligvertrautes den Kriegsfreiwilligen Franz Rolfers. Gleich den Blutströmen in seinem Adergeflecht, die unempfunden in steter gleichmäßiger Tätigkeit zum Herzen fluteten, von dort wieder zurück den Weg durch Lunge und Körper nahmen, ihn mit tausend geheimnisvollen Kräften nährend, blieb der starke Strom seines Kunstgefühls zu jeder Sekunde in ihm rege tätig. Ohne daß die Gedanken teilzunehmen schienen, wurde die Bildnerkraft seines Innern unaufhörlich getränkt mit Farben, Linien, mit Gruppen und Gebärden von Menschen, die groß, einfach und gewaltig waren, wie er nichts Ähnliches früher je geschaut. Er sah Anstrengung der Muskeln von Pferden und Männern, die alles Glaubhafte weit hinter sich ließen, wenn sie schreiend und fluchend eines dieser modernen Ungetüme von Haubitzen eine Anhöhe hinauf zu zerren suchten oder das Geschütz, den Munitionswagen aus einem Sumpf herausholten. Er sah das rasende Umsichschlagen verendender Rosse und die Todesangst, das eherne Ertragen wütenden Schmerzes in den Gesichtern der sterbenden Menschen, gegen die antike Masken von Kriegern gleichgültig wurden. Alles, alles war zum Äußersten gesteigert: Ausbrüche der Freude, der Wut, der Liebe, der Frömmigkeit und des Hasses, die tief heraufgeholt wurden aus Urschlünden und Abgründen ferner Zeiten, da Mensch und Tier begann zu werden ... Und wieder Sommer- und Herbstnächte voll der süßesten Schönheit und friedevoller Einsamkeit mit allen Lauten, Tönen, Düften, die ihn zauberisch


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