Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.ziehen lassen könnte. Das habe ich ja immer gesagt, wenn Sie sonst hier auf den Steinhof kamen und mein Just jedes Mal das Fieber nach Ihnen kriegte. Just, habe ich gesagt, wie kann so ’nem Jungen was anschlagen? Den setze du in’n Fettpott, und er bleibt, was er ist; an den kommt nie in seinem ganzen Leben was Rechtes. Wenn ich dem seine Mutter wäre, so schliefe ich keine Nacht aus Angst um ihn. Also, wenn du denn gar nicht von ihm lassen kannst, Just, so nimm dir zum wenigsten ein Exempel an ihm! Ja, je ja, so habe ich dunnemalen in den Wind gesprochen, und dass ich jetzo wiederum darauf komme, das tue ich nur, weil dem Menschen in seinem Vergnügen manches hingeht, was man sonst wohl krumm nimmt, wenn einer kein Blatt vor den Mund nimmt. Und das ist meine Rede, Herr Fritze, Herr Doktor Fritze, ich freue mich gewiss und sehr, dass ich Sie endlich doch noch mal erblicke; und wie es Ihnen auch draußen in der Fremde ergangen sein mag, auf dem Steinhofe sind Sie immer willkommen, und nun kommen Sie nur wie sonst recht oft nach dem Steinhofe; meinen Jungen, den Just da, verführen Sie mir jetzt nicht mehr; wir aber wollen es mit Pläsier versuchen, ob sich denn gar nichts an Sie heranfuttern lässt! Ihre Frau Mutter habe ich doch auch gut genug gekannt und gern gehabt, nach Ehren strebe ich nicht, aber das wäre mir doch was wert, wenn sie mir dermaleinst da oben die Hand gäbe und sagte: ›Jule Grote, Sie hat an allem, was mit Ihrem Just gut Freund gewesen ist, getan, was Sie konnte, selbst wenn sie es nicht verdient haben wie viele aus Bodenwerder und sonst hier aus der Umgegend, die ich jetzt hier nicht in den Mund nehmen mag; aber an meinem Jungen, dem Fritz, da hat Sie Ihr allermöglichstes getan, und jetzt komme Sie nur her, dafür will ich Sie jetzt hier bekannt machen; denn die Besten, die von unten heraufkommen, sind zuerst immer ein bisschen fremd – das ist überall so.‹«
Nicht das kleinste Wörtchen, kaum ein zustimmender Gestus war in diese Begrüßungsrede einzuschieben gewesen. Wie der gelbe Heimatsfluss beim Eisgange rollte her, was Jule Grote zu meiner Bewillkommnung auf dem Steinhofe vorzutragen hatte.
Der Vetter Just stieß mir nur bei jedem Komma und Atemholen den Ellenbogen in die Seite, was nichts weiter hieß als: »Siehst du wohl? Ganz die Alte! Was wäre das alte Nest, der Steinhof, ohne die Alte!« – Ich aber hätte die Alte bei jeder neuen Wendung und vorzüglich da, wo sich die Schollen aufeinanderzuschieben drohten, beim Kopf und Kragen nehmen mögen, um sie abzuküssen wie keine Jüngere im Lande.
Und dazu brotzelte es vom Küchenherde her, und alles war voll Heuduft; und Frau Irene und ich waren die einzigen, die nicht in Hemdärmeln auf dem Steinhofe herumwirtschafteten. Es war ein heißer Sonnentag mitten im Sommer und in unserem Leben; aber die Sonne war doch das Beste in der Welt, und wer sie nicht ertragen mag, der mag sich einfach vor der Zeit begraben lassen. Es sind aber auch nur diejenigen, welche auch hier unten »fremd« bleiben, wie Jule Grote sich ausdrückt, die die Sonne nicht vertragen können.
Aber ein drittes Wesen, das gleichfalls nicht in Hemdärmeln einherging, hatte ich eben doch vergessen aufzuzählen. Zugeknöpft bis an den Hals, sowohl was das Kostüm als was die Gemütsstimmung anbetraf, setzte mir jetzt Mademoiselle Martin aus Nanzig einen Knicks hin – vor der Welt, um mich sodann mit zupackendstem, nicht den geringsten Aufschub zulassendem Interesse in den Winkel zwischen Stubentür und Wand zu ziehen und zu flüstern:
»Et l’autre?! Der andere?! Wo ist der andere? Was denkt sich der andere? Was tut der andere?«
»Der andere? Ewald?… Ewald Sixtus?«
Die alte Dame hielt meinen Arm und schüttelte mich, wie sie mich nie in meiner Jugend auf Schloss Werden geschüttelt hatte:
»Ah – oui – ich werde wie gebraten hier auf heißen Kohlen, und da kommt dieser, und ich halte ihn, und er sieht mich dans mon angoisse, und ich schüttele ihn, und er – fragt!«…
»Ach Mademoiselle«, seufzte ich, »der andere fragt ebenfalls. Vor allen übrigen fragt er auch Sie, was er mit Schloss Werden anfangen soll? Wir haben gestern um diese Tagesstunde alle Türen dort aufgeschlossen; aber einen Eingang haben wir darum doch nicht gefunden. Am hellen Mittage haben wir große Furcht gehabt –«
»Und ich weiß schon, was ich ihm sagen werde; aber der vaurien, der Taugenichts, muss selber zu mir kommen. Was schickt er einen anderen hierher, wenn der gute Gott ihm auch zwei Beine hat anwachsen lassen! Aber es war immer so! Nur wo er einen Unsinn konnte ausüben, kam er selber; – wo es galt, nach der raison zu handeln, musste man ihn immer suchen.«
Selten war mir zwischen Tür und Angel ein nur annähernd gleich trostreiches Wort gesprochen worden wie dieses letzte der atemlosen, vor Hast und Erregung zuckenden sœur ignorantine, die gottlob so genau Bescheid wusste. Aber unsere Privatunterhaltung war jetzt zu Ende für den Augenblick; – es war wieder einmal Essenszeit auf dem Steinhofe, und alles Hofvolk stieg durch das Heu und kam, seinen Platz an dem Tische einzunehmen, den der Vetter Just Everstein durch die alte Stube auf feste Eichenfüße von neuem hingestellt hatte: zwei Bänke von Tannenholz die Langseiten entlang, ein Schemel für den Hofjungen und ein Holzstuhl mit einer Lehne für den Herrn. Es konnte in ganz Germanien keine vornehmere Hoftafel abgehalten werden!
Vierzehntes Kapitel
Die Nacht war still, und ich überdachte den ersten Tag, den ich wieder auf dem Steinhofe zugebracht hatte. Die Nacht war ungemein still, und, Gott sei Dank, auch in mir ging’s nicht außergewöhnlich lebhaft und lärmhaft zu. Was übrigens in dem gewohnten Laufe der Dinge und Stimmungen in der Welt durchaus nicht so hätte sein dürfen, denn ich befand mich in dem Hause meines außerordentlich glücklichen Freundes, und der Vetter Just hatte mir wiederum viel von der Vortrefflichkeit des Preises, der mir entgangen ist, gesprochen. Ich aber kann darüber nur sagen, was ich schon gesagt habe, und da es eine Nacht der Wiederholungen war, so will ich es auch an dieser Stelle noch einmal zu Papiere bringen: ich gönnte dem Vetter aus vollstem Herzen alles Gute, Liebe und Schöne, das er, weil er’s verdient hatte, sich gewonnen hatte – so kurz noch vor Torschluss! Von alten Nestern handeln diese Lebenshistorien: die Zeiten, wo wir sie jung ins Grüne bauten, die waren für uns alle lange, lange vorüber; aber Just Everstein und Eva Sixtus wurden ein stilles, solides Paar, auch ein stattlich Paar und eine Krone der Gegend. Eine Herrin gehörte noch an die fürstliche Tafel, die der Bauer vom Steinhofe Punkt zwölf Uhr mittags öffentlich, d. h. bei offenen Türen hielt, und wer hätte den Platz währschafter und freundlicher auszufüllen vermocht als die jetzt so stattliche Jungfrau vom Försterhofe zu Werden – meine rehhafte, leichtfüßige, liebliche Jugendliebe?!…
Ich war aber auch dem Stadtrat Bösenberg aus Finkenrode nicht umsonst unterwegs begegnet; ich hatte nicht umsonst mit ihm gefrühstückt in Finkenrode: Stadtrat zu Bodenwerder wurde ich mein Lebtage nicht und noch viel