Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.Vater hinein, aber nicht um einen Handelskontrakt neben den zwei Lichtern, die sein stilles, friedliches, freundliches Greisengesicht beleuchteten, abzuschließen. Irene stand an Ewalds Schulter gelehnt, von seinem Arm umschlungen, und weinte leise und flüsterte:
»Kannst du mich denn noch liebhaben?«
Er war unverbesserlich, der brave Freund Ewald Sixtus! Er hätte wirklich schon von Geburt aus als Irländer in diese nüchtern-tragische Welt hineingesetzt werden sollen.
Dem Weinen war er gleichfalls näher als dem Lachen, und seine Stimme zitterte gleichfalls, als er an dem Sterbelager seines Vaters seine Liebe fester an sein Herz zog; aber doch musste es heraus und kam ganz in der alten Dummen-Jungen-Weise:
»Ich kriege dich ja nur in den Handel, altes Mädchen! Aber – bei den ewigen Göttern, die mir wahrhaftig den Weg bis zu dir schwer genug gemacht haben – den Vetter Just halte ich bei seinem Worte! Wir beide, mein Herz, mein liebes, liebes Herz, wir sehen uns nicht mehr um nach Schloss Werden; aber der Vetter da – der Vetter Just Everstein, der war von Gottes Gnaden allewege der Gescheiteste von uns und hat mit unserer Schwester da allein die Gabe, alles ruhig abzumachen. Du und ich, mein Herz, wir haben nur einmal den Versuch gemacht. Die beiden müssen für uns mitwissen, was mit Schloss Werden anzufangen ist!«
Von Schloss Werden wurde nun nicht mehr gesprochen bis zum anderen Morgen, und dann zwischen dem Vetter Just und mir. Wir verbrachten alle diese Nacht unter dem nämlichen Dache; doch wohl keiner von uns in einem sehr festen Schlaf. Auch ich nicht, der ich in jedem Augenblick vorgeben konnte, dass wichtigste, unaufschiebbare Geschäfte mich augenblicklich nach Berlin zurückriefen und meine Gegenwart bei dem Begräbnis – bei dem Schmerz und dem Trost der alten Heimat unmöglich machten.
Zwei Stunden nach Sonnenaufgang schon trieb es mich heraus. Wahrscheinlich weil irgend etwas – was, kann ich nicht sagen – meinte: so mag er doch wenigstens den Historiografen festhalten! – Im Unterstock des Hauses traf ich nur die bleiche, traurige Eva an der Tür der Wohnstube. Sie hatte jetzt ein weißes Laken über den toten Vater gelegt, und ich erhob das Tuch nicht mehr. Ich wollte mir die Erinnerung an das schöne, ruhige Greisengesicht von gestern Abend unversehrt erhalten, und ich wusste es, wie der alte Maulwurf, das Leben, in dem an der Arbeit bleibt, was der Mensch einen Leichnam nennt.
Als ich mich nach den anderen erkundigte, erfuhr ich, dass Ewald zum Meister Dröge, dem Dorftischler, gegangen sei und dass Irene ihn begleitet habe.
»Und Vetter Just?«
»Just wirst du wohl im Garten finden. Ich habe den Kaffeetisch dort hergerichtet. O Gott, es ist ein so schöner Morgen – o Fritz, ich kann es mir noch immer nicht denken!… Er war so vergnügt und gut, als er gestern in diese nämliche Morgensonne hinein wegging! Er holte sich noch bei mir in der Küche Feuer für seine liebe alte Pfeife, und ich sah ihm nicht einmal nach und gab ihm das Geleit wie sonst bis ans Hoftor, und nun muss ich ihn in alle Ewigkeit mit seinem weißen Haar und seinem guten freundlichen Gesicht bei mir am Herde stehen sehen!… Ein paar Stunden später, in denen ich nicht einmal an ihn dachte, brachten sie ihn zurück!«…
Ich fand den Vetter Just nicht an dem Kaffeetische im Garten, und ich hielt es auch nicht lange allein daran aus in dem schönen Licht und Schatten, unter den Sommerblumen ringsum, dem Bienensummen, Käfer- und Schmetterlingsflug.
»Der Herr Vetter Just spaziert auf der Chaussee«, sagte ein Dorfkind, das in die kleine Pforte in der grünen Hecke guckte; und auch ich trat aus diesem Gartentürchen auf die Landstraße.
»Er ist nach dem Schlosse zu«, meinte die kleine barfüßige, flachshaarige Ostfalin, und ich kannte den Weg, der auch von hier aus quer über die Landstraße nach Schloss Werden führte, und so ging ich dem Vetter Just Everstein nach – wohl tief in Gedanken wie er und in ähnlichen, wenn auch nicht ganz in den gleichen.
In dem letzten Hause des Dorfes nach dieser Seite hin wohnte der Meister Dröge, der Tischler. Die helle, staubige Landstraße führte an seinem Eigentum und dem Wiesenfleck, auf dem er seinen Vorrat von glatten Brettern und Balken aufgeschichtet hatte, vorüber und ließ es zur Linken. Rechts aber führte ohne Steg durch den mit Gras, Sternblumen und Kletten, Brennesseln und Thymian ausgefüllten Chausseegraben der Schlupfweg durch jetzt noch im Tau funkelndes, wirres Gestrüpp und Gebüsch, untermischt mit einzelnen höheren Bäumen, nach dem verwünschten Schloss, dem alten, teuren Nest, in dem auch ich flügge geworden war.
In seiner Werkstatt war der Meister Tischler an der Arbeit; ich hörte seinen Hammer laut und deutlich genug. Eines seiner Kinder war’s gewesen, das mir den Weg angedeutet hatte, auf dem ich den Vetter Just finden konnte.
Aber ich zögerte, ehe ich ihm folgte. Auf dem sonnigen Wiesenflecke, auf einer Lage jener glatten, weißen Tannenbretter, von denen der Meister Schreiner eines oder zwei zu seiner Arbeit die halbe Nacht hindurch verwendet hatte und an denen jetzt sein Hammer zur Vollendung des Werkes klang, saßen Ewald und Irene, dem Dorfe Werden und mir den Rücken zuwendend.
Sie saßen Hand in Hand, doch nicht dicht beisammen. Tief niedergebeugt, das Haupt in der Hand, saß der Freund; und ob sie auch miteinander gesprochen hatten, jetzt redeten sie nicht miteinander. Sie saßen still und horchten auf den Hammer, der die Nägel scharf und hell und doch auch wieder melodisch in das weiche Holz trieb. Kein Glockengeläut konnte feierlicher in einen Brautmorgen hineinklingen, und ich wagte es wahrlich nicht, diese zwei Verlobten anzureden. – – –
Der Pfad durch das taufunkelnde Gebüsch nahm mich auf, und hinter mir verhallte dieser ernste, bedeutungsvolle Hammerschlag. Durch hohes, gelbes Kornfeld zog sich der enge Weg, die Lerchen hingen unsichtbar – fröhlich darüber; und – seltsam, gerade in diesem Augenblick drängten sich die Bilder und Gewohnheiten meines so lange gewohnten Daseins – die bekannte Umgebung meines ruhigen Einsiedlerlebens durch mein Gedächtnis: meine vier Wände in Berlin, die Bücher an den Wänden und der Blick durchs Fenster in die bunte lärmende Gasse. – Du träumst, Friedrich Langreuter? Was aber ist nun ein Traum?… Besinne dich! – –
»Wo bist du eigentlich, Fritz?« fragte der Vetter Just. »Du stiegest über den Hof weg wie ein Nachtwandler. Wie siehst du denn aus, Doktor? Wie stolperst du her?… Freilich, Steine des Anstoßes liegen hier genug im Wege!«
Da stand ich wieder in dem verwahrlosten Schlosshofe von Werden, und der Vetter nickte mir von der mehrfach beschriebenen Steintreppe und Rampe zu.
»Es ist mir übrigens lieb, dass du kommst«, brummte er. »Komm nur dreist herauf, ich werde dich nicht mehr auslachen, wenn du behauptest, dass es hier umgehe. Jedenfalls