Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.angezeigt!«
»Nun höre nur dieses wieder, Mann!«
»Na, na, na!« – – – – – – – – – – – – – –
Auch der nachforschungseifrigste Cid Hamed ben Engeli würde es unaufgeklärt haben lassen müssen, von wem Fritzchen Feyerabend sie hatte; aber wissen konnte er, dass sie die Wirkung der Dankrede des wirklich Geheimen Medizinalrats Professor Dr. Feyerabend beinahe zwei Menschenalter später, an dem größten, dem schönsten, dem erhebendsten Tage seines Lebens, beinah völlig gestört hatte. War es denn unbedingt notwendig gewesen, dass Freund Ludchen Bock mit seiner Laus grade dazu aus der Nacht der Zeiten aufstieg und ihm in diesem erhobenen, erhabenen und erhebenden Moment damit kam?
Es soll nachher in den höchsten Zirkeln der Gesellschaft von dieser Rede mehrfach die Rede gewesen sein. Hier mit einigem Kopfschütteln; dagegen in unbefangeneren, harmloseren Sphären, als da sind Klubs, Spiel- und Stammtische, wissenschaftliche Vereinigungen und dergleichen andere Gelegenheiten zu Zusammenkünften denkender und mitempfindender Menschen, mehr mit einem heiteren Achselzucken: »so was bei solcher Gelegenheit sei freilich noch nicht dagewesen!«
Großer wissenschaftlicher Ruhm ist viel wert, aber angenehm ist’s für den Inhaber, wenn er dabei in dem Rufe steht, dass er auch in der Narrenteidung das Seinige leisten könne und nicht immer ernst genommen zu werden brauche.
III.
Seine Schwester, der es, wie sie sagte, bei der Geschichte auf ihrem Stuhl an der Festtafel mehr als einmal heiß und kalt geworden war, meinte am anderen Morgen ruhiger:
»Hör mal, bester Bruder, ich glaubte doch ziemlich genau zu wissen, was und wie viel du vertragen kannst; aber einen Augenblick kam mir gestern doch der Zweifel, ob ich mich da nicht geirrt habe und ob dir diesmal wenigstens mit den großen Ehren auch das Getränk bedenklich zu Kopfe gestiegen sei. Na, es ist ja, Gott sei Dank, zuletzt noch so ziemlich abgelaufen, aber abdrucken lass das konfuse Zeug nicht unter den dauernden Monumenten deiner geistigen Begabungen, auf die Exzellenz so liebenswürdig war uns noch mal hinzuweisen. Eigentlich ist es schade! grade gestern hatte ich Besseres von dir erwartet! Ich habe jedenfalls Besseres häufig von dir bei Tisch gehört.«
»Vergnüglicheres?«
»Jawohl! geärgert habe ich mich. Bei so ernsten Gelegenheiten soll man nicht den Hanswurst und Hansnarren spielen wollen. Aber das steckt nun einmal in dir, und ich spare da längst meinen Atem, denn ich predige es doch nicht aus dir heraus!« – – – – – – – – – – –
Ludchen Bock!
Ob er wohl noch lebte, der alte Junge? In den Zeitungen war er dem ganz geheimen Kindheitsfreund Fritz Feyerabend nicht erschienen. Weder in politischen Dingen noch in Künsten und Wissenschaften konnte er sich berühmt, bekannt oder anrüchig gemacht haben. Was er sonst gesündigt haben mochte: der Kriminaljustiz war er auch nicht verfallen, wenigstens nicht in einer Weise, die unter der Rubrik »Aus dem Reiche« das Gesamtinteresse des deutschen Volkes in Anspruch genommen hätte.
Ja, ob er wohl noch in der Erscheinungswelt und nicht bloß in jener Jubiläums-Weinlaune des Geheimrats Feyerabend vorhanden war? Und dazu – war er’s allein gewesen, was sich dem gefeierten Greis so absonderlich in den höchsten psychologischen Moment jenes hohen Festtages eingedrängt hatte? War es nicht alles gewesen, was damals zu ihm gehörte – die Welt von vor zwei Menschenaltern, ganz Altershausen, und was zu dem gehörte?
»Wenn ich dort den Versuch machte, das Spazierengehen wieder zu erlernen?« seufzte an seinem Fenster, den Rauch seiner Pfeife von sich abwedelnd, der alte Altershausener. –
September war es bereits geworden, aber es war selten so lange schöner Sommer geblieben wie in diesem Jahr. Ferne Gewitter, von denen man in der Nacht nur das Wetterleuchten gesehen hatte, hatten den Horizont nach allen Richtungen hin geklärt. Weit entlegene Bergzüge lockten verführerisch blau zu sich hin und waren sicherlich, in der Nähe gesehen, ebenso grün, wie sie von fern aus blau erschienen. Die Leute am gegenwärtigen Ort in Raum und Zeit kamen aus den Kirchen, gingen in die Konditoreien, lustwandelten in den Parks oder fuhren auf Visiten, und Geheimrat Feyerabend saß in Altershausen in dem höchsten Gipfel einer Tanne, an der ihm zu einem dort hängenden Eichhornnest – Ludchen Bock vorangeklettert war.
Man hatte einen ziemlich kahlen, steinigen »Berg« in des Alten waldiger Heimats-Hügellandschaft zu ersteigen, ehe man zu dem Tannen- und Fichtenbestand gelangte, an dessen Rande der Baum gewachsen war, in dessen Wipfel die zwei Freunde von Menschenrechts wegen auf der Suche nach den Wundern, Abenteuern und Schicksalen des Erdballs waren.
Wie der alte Herr das Harz an den Händen fühlte und wie er den Duft des Weihnachtsbaums in der Julisonne in der Nase hatte! Und wie deutlich er den Taugenichts neben sich, der eben seine zerkratzte schwarze Jungenpfote enttäuscht aus dem »Äkernest« hervorzieht, sagen hört:
»Du, der Rektor weiß gar nichts davon, weil es nicht in seinem Naturgeschichtsbuch und der dicken Bibel steht. Aber ich weiß es von unserm Krischan, weißt du, den mein Vater wegen eurer Hanne aus dem Dienst tun musste. Dies hier ist mal wieder nicht sein eigentlich Heckequartier, wo er mit seiner Frau und seinen Jungen zu Hause ist. Die Kletterei hätten wir uns sparen können. Der Lork macht es grade wie mein Vater. Wenn es den zu Hause nicht leidet von wegen meiner Mutter, denn weiß er wohl, wo er woanderwo hingehen kann. Er macht sich noch ein paar andere Orte zurecht, wo er sein Vergnügen ruhig haben kann. Einen Buddel hat der Äker hier nicht versteckt stehen, wie mein Vater in unserm Gartenhaus; aber voll Bucheckern liest er sich dies voll und setzt sich dabei und knabbert für sich allein, wenn er nicht vorher schon in Lüders’ Wirtschaft – ne, da geht er nicht hin, der Äker, aber mein Vater. Dein Vater, Fritze, geht in den Ratskeller, da hat er seine Pfeife stehen. Es ist eine mit einer Fliege auf dem Kopfe, ich kenne sie ganz gut und habe ein paarmal probiert, ob sie auch Luft hat. Und die anderen Herren aus der Stadt, der Burgemeister und der Doktor, sitzen auch da des Abends, aber Bucheckern knabbern sie nicht. Na, lass uns nur wieder herunter – Harzpech haben wir genug an uns, und dass du ein Loch in der Hose hast, wird dir deine Mutter auch schon sagen!«…
Wie sich das aneinander hing! Der Alte am Fenster hatte nicht das geringste dagegen einzuwenden, dass so liebe Schatten, die Schatten der Eltern, ihm so aus der Tiefe heraufbeschworen wurden. Wer hätte das denn besser besorgen können als der beste