Gesammelte Werke. Wilhelm Raabe
Читать онлайн книгу.ist aber der Mensch und das Vergnügen des Menschen? Es hat beides seine Zeit, und leider eine gar kurze. Wir mögen noch so sicher, sei’s hinter dem Ofen oder am Fenster, je nach unserm Geschmack Posto fassen: über ein kurzes, und die Nesseln drängen sich durch den weichsten Teppich, das schönste Parkett, wuchern um unsere Füße, wachsen und schlagen über unserm Kopfe zusammen. Es ist an und für sich ein nobles Gefühl, Stammgast zu sein, Stammgast sowohl auf der grünen Erde wie im Goldenen Pfau; aber dauerhaft ist der Genuss keineswegs, und der Steuerinspektor Hagebucher fühlte sich seit einiger Zeit längst nicht mehr so wohlig im Goldenen Pfau wie früher. Niemand aber trug die Schuld daran als der Afrikaner, der aus dem Tumurkielande so unvermutet heimgekehrte Sohn.
Seltsam! Solange unser wackerer Freund Leonhard in der geheimnisvollen Ferne undeutlich und schattenhaft vor den Augen von Nippenburg umhertanzte, ja sogar als ein Verlorener erachtet werden musste, zog sein Papa im Pfau einen gewissen wehmütig-würdigen Genuss aus ihm. Man wusste ja von seiner Tätigkeit auf der Landenge von Suez und seiner Fahrt nilaufwärts; der junge Mann war gewissermaßen ein Stolz für die Stadt, und wenn er wirklich zugrunde gegangen war, so hatte Nippenburg das unbestreitbare Recht, sich seiner als eines »Märtyrers für die Wissenschaft« zu erfreuen und ihn mit Stolz unter all den anderen heroischen Entdeckern als den »Seinigen« zu nennen. Es war sogar bereits die Rede davon gewesen, ob man dem heldenmütigen Jüngling nicht eine Marmortafel an irgendeinem in die Augen fallenden Ort oder seinem Geburtshause schuldig sei, und der Papa Hagebucher hatte bei einer jeden derartigen Verhandlung das Lokal stumm, gerührt, aber doch gehoben verlassen und das achtungsvolle Gemurmel hinter sich bis tief ins Innerste verspürt.
Nun hatte sich alles dieses auf einmal geändert und war sogar ins Gegenteil umgeschlagen. Der tief bedauerte Afrikareisende war heimgekehrt, aber nicht als glorreicher Entdecker; und wer sich allmählich sehr getäuscht und gekränkt fühlte, das war die gute Stadt Nippenburg. Schon im fünften Kapitel ist davon die Rede gewesen, wie sie im Allgemeinen ihn aus ihrem goldenen Buche strich; wie aber der Goldene Pfau im besondern sich zu und gegen ihn und seinen Erzeuger verhielt, das muss noch gesagt werden.
Der Goldene Pfau fing ganz süß, sanft, sacht an, seinen Stimmungen Ausdruck zu geben; aber man weiß, über welche Stimmittel dieses Gevögel zu gebieten hat, sobald es ihm Ernst wird, seine Meinung zu äußern. Der Schritt vom Erhabenen zum Lächerlichen ist sicher nicht kürzer als der vom Bedauern zum Hohn, und der Papa Hagebucher durfte sehr bald als Autorität für diesen Erfahrungssatz vortreten, ohne jedoch im geringsten hieraus einen Genuss zu ziehen. Man zog ihn bald ganz erschrecklich auf mit dem »berühmten« Sohn, und nachdem dieser sogar frech genug gewesen war, die ihm angetragene Stelle auszuschlagen, nahm keiner der Herren im Klub mehr ein Blatt vor den Mund, sondern man erklärte den Mann aus dem Tumurkielande kurzweg für einen Lumpen.
Der Steuerinspektor schluckte nun im Goldenen Pfau Galle und Gift löffelweise, pillen- und pulverweise, und das schlimmste war, dass er ganz und gar auf der Seite der Achselzucker, Seufzerfabrikanten und Spötter stand und alles, was man ihm in betreff des Sohnes zusammenkochte und -braute, selber im eigenen Busen wütend durcheinanderquirlte. An jedem Abend kehrte er verbissener und grimmiger aus dem Pfau heim; denn die Gesellschaft hielt mit Energie an diesem ausgiebigen Unterhaltungsstoff fest, was ihr eigentlich auch nicht zu verdenken war, da er gleich einem guten Wein mit den Tagen an Gehalt zunahm. Es ist traurig, aber wahr: je tiefer unser Freund Leonhard in der Achtung des Goldenen Pfaus sank, desto lieber wurde er ihm. Der Steuerinspektor gewann ihn freilich nicht lieber: eine Krise musste kommen, und sie kam; denn auch der Geduldigste will sein Behagen in seiner Kneipe haben, und dass der Vater Hagebucher nicht zu den Allergeduldigsten gehörte, wissen wir bereits.
An diesem Abend, an welchem so viele gute Geister dem freier atmenden Leonhard auf seinem Wege nach Bumsdorf folgten, an diesem Abend, an welchem die Greisin in der Katzenmühle mit milder, aber tapferer Hand alle bösen und hämischen Kobolde von seinem Pfade zurückhalten wollte, an diesem Abend war die Gesellschaft im Pfau anzüglicher denn je. Die hohe und niedere Geistlichkeit überbot die hohe und niedere Jurisprudenz, das Steuerfach überbot das Forstfach und der Kaufmannsstand die gelehrten wie die ungelehrten Schulen der Stadt an treffenden, aber unangenehmen Bemerkungen; und wenn der Papa Hagebucher sonst einen keineswegs von ihm gewürdigten Trost und Schirm an dem Vetter Wassertreter besaß, so fehlte ihm heute der Gute auch, und die anderen hatten den alten Herrn für sich allein.
Der Goldene Pfau benutzte die Abwesenheit des Vetters Wassertreter auf das heilloseste. Mit der unverhohlenen Absicht zu ärgern, zweifelte man an allem, was noch den armen Leonhard in der Meinung der Welt heben konnte; man stand nicht an, den Kanal von Suez für einen Humbug zu erklären, man glaubte durchaus nicht mehr an das Tumurkieland und die Gefangenschaft zu Abu Telfan; ja es fehlte wenig, so würde man sogar an der Existenz dieses Erdteils, genannt Afrika, gezweifelt haben, und alles nur in der löblichen, unschuldigen Absicht, sich einen vergnügten und dem Vater des Afrikaners wie gewöhnlich einen sehr unvergnügten Abend zu bereiten.
So brieten sie den Alten bis zehn Uhr, als der Onkel Schnödler die Pfanne umstürzte. Der Steuerinspektor verachtete den Onkel Schnödler im Grunde seines Herzens nicht wenig, sowohl als Staatsbürger wie als Privatmann und Gemahl der Tante Schnödler. Und nun fing dieses wesenlose, vom Pantoffel zerquetschte Ding auch noch an, seine – o großer Gott, seine! – Ansichten über den verlorenen Sohn und den Vater desselben herauszupiepsen!
Den Gerichtsdirektor, den Superintendenten, den Forstrat, den Amtsrichter, den Konrektor und den Vetter Sackermann ließ sich der Alte gefallen und hatte ihren Insinuationen kaum etwas anderes als ein geheimes Grunzen und Stöhnen entgegenzusetzen. Aber der Onkel Schnödler! – Himmel und Hölle – bei dem Fazit sämtlicher Hauptbücher des Universums, Fleisch und Blut ertrugen es nicht, es war zu niederträchtig, zu kränkend, zu entwürdigend!
Der an die Versammlung im Allgemeinen gerichteten Erklärung, er – der Steuerinspektor Hagebucher – werde nie wieder einen Fuß in den Goldenen Pfau setzen, fügte der Alte, speziell gegen den schreckensbleichen und mit aufgerissenem Mund und Augen dreinstarrenden Onkel Schnödler gewendet, hinzu, er – der Onkel Schnödler – sei ein allzu eselhafter Tropf und allzu jämmerlicher Waschlappen, als dass irgendein Nutzen, Genuss oder eine Genugtuung zu erhoffen sei, wenn man die wohlverdiente Ohrfeige auch noch so nachdrücklich