Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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rück­ten, wenn die Son­ne gar zu heiß brann­te; die Sä­gen knirsch­ten und schri­en manch­mal, wenn sich ein Span ge­gen das Blatt stemm­te, ein­tö­nig klang das Klopf­klopf der Holz­fäl­ler zu uns her­über; jen­seits der Mau­er, un­sicht­bar, lärm­ten Kin­der bei ih­ren Spie­len auf der Stra­ße. Wir zo­gen erst die Ja­cken, dann die Wes­ten aus; man­che ar­bei­te­ten auch mit ganz ent­blö­ßtem Ober­kör­per, wozu ich mich nie ent­schlie­ßen konn­te; die Stun­den flos­sen vor­über, das Le­ben glitt da­hin, ich leb­te in ei­nem – täu­schen­den – Ge­fühl von Si­cher­heit und Re­gel­mä­ßig­keit. Die Zei­ten der Un­ord­nung und Ge­fah­ren schie­nen vor­bei, und es kam mir so leicht vor, die­ses Le­ben auch drau­ßen fort­zu­set­zen, ein stil­les, fried­li­ches Le­ben, fast ohne Zu­kunft.

      Lei­se spra­chen Mord­horst und ich da­von, was es heu­te Abend zu es­sen ge­ben wür­de und wie das Es­sen heu­te Mit­tag ge­we­sen war – das Es­sen spiel­te eine Haup­trol­le in un­se­ren Ge­sprä­chen, auch ich be­kam wie Mord­horst kei­ne Fress­pa­ke­te und war noch mehr als er auf die Ge­fäng­nis­kost an­ge­wie­sen. Da­bei war er ein bes­se­rer Ka­me­rad als Düs­ter­mann, der Wohl­ver­sorg­te; fast je­den Tag brach­te er mir et­was mit, eine Klei­nig­keit, die drau­ßen gar kei­nen Wert ge­habt hät­te, etwa eine Zwie­bel, die ich mit dem Löf­fel zer­stückel­te und mir aufs Brot leg­te, oder eine Zi­ga­ret­te und ein Streich­holz; dann rauch­te ich abends nach dem Ein­schluss, wenn der Bau ru­hig ge­wor­den war, be­hag­lich mei­nen Glimm­stän­gel.

      Ja, im Ge­fäng­nis habe ich das Rau­chen ge­lernt, sehr zum Är­ger Düs­ter­manns, der die Luft stets mit dem Qualm sei­ner Zi­gar­ren er­füll­te und Zi­ga­ret­ten­rau­chen als wei­bisch ver­ach­te­te. Ich ließ ihn aber ru­hig re­den, da­mals war mir das schon ganz egal.

      Ja, Mord­horst, ein sol­cher Men­schen­feind er auch war, half mir viel, er wur­de auch ein aus­ge­zeich­ne­ter Be­ra­ter in »mei­ner Sa­che«, ein bes­se­rer als der Rechts­an­walt, der zu mir kam. Lei­der bin ich in die ers­te Ver­neh­mung vor dem Un­ter­su­chungs­rich­ter noch ohne Mord­horsts Rat ge­gan­gen und mach­te da­bei einen schwe­ren Feh­ler, wie ich spä­ter be­griff.

      30

      Es war am drit­ten Tage mei­ner Haft, und ich ar­bei­te­te noch nicht auf dem Holz­hof, als Ober­wacht­meis­ter Sp­litt­stö­ßer nach­mit­tags um vier Uhr auf der Zel­le er­schi­en und zu mir sag­te: »Kom­men Sie mit, Som­mer. Zie­hen Sie Ihr Jackett an und kom­men Sie mit.«

      Ich ging hin­ter dem »Ober« her und war da­mals noch so un­er­fah­ren in Ge­fäng­nis­din­gen, dass ich ihn höf­lich frag­te: »Wo­hin brin­gen Sie mich denn, Herr Ober­wacht­meis­ter?«

      Ich wuss­te da­mals noch nicht, dass ein Ge­fan­ge­ner nie fra­gen soll, dass er auf Fra­gen nie Ant­wort be­kommt, dass er nur zu war­ten hat, was das Schick­sal, das ein Wacht­meis­ter, das aber auch ein Staats­an­walt sein kann, über ihn be­schließt.

      Ich be­kam denn auch die recht gro­be Ant­wort: »Was geht das Sie an? Das wer­den Sie ja al­les er­le­ben!«

      Drü­ben auf dem Land­ge­richt herrsch­te eine rich­ti­ge Som­mer­nach­mit­tags­stim­mung: Vie­le Zim­mer­tü­ren stan­den of­fen, und ich sah auf un­be­setz­te, auf­ge­räum­te Schreib­ti­sche. Es stell­te sich her­aus, dass der Jus­tiz­wacht­meis­ter des Land­ge­richts zur Post ge­gan­gen, also auch nicht im­stan­de war, mich aus den Hän­den mei­nes Ge­fäng­nis­be­am­ten zu über­neh­men; mein Be­am­ter aber hat­te es ei­lig, wie­der in sei­nen Bau zu­rück­zu­kom­men, und es er­hob sich ein klei­ner Streit zwi­schen ei­ner di­cken, ält­li­chen Bü­ro­an­ge­stell­ten und mei­nem Wacht­meis­ter.

      »Ich bin nicht dazu da, auf eure Ge­fan­ge­nen auf­zu­pas­sen«, sag­te die An­ge­stell­te är­ger­lich. »Im­mer ver­sucht ihr sol­che Sa­chen. Wenn ei­ner fort­läuft, bin ich nach­her schuld.«

      »Ja, aber euer Jus­tiz­wacht­meis­ter braucht auch nicht ge­ra­de im­mer fort­zu­lau­fen, er weiß doch, dass der Ge­fan­ge­ne um vier zur Ver­neh­mung be­stellt ist.«

      So ging der Streit eine Wei­le hin und her, kei­ner woll­te mich ha­ben, bis schließ­lich das ält­li­che Fräu­lein ganz über­ra­schend sag­te: »Na ja, heu­te will ich’s noch mal tun, Herr Som­mer wird mir schon nicht weg­lau­fen.« Und da­mit sah sie mit ei­nem freund­li­chen Lä­cheln auf mich, sie kann­te mich also.

      Ich wur­de auf einen Stuhl ge­setzt, Sp­litt­stö­ßer zog ab, und zum ers­ten Mal seit Ta­gen sah ich wie­der durch un­ver­git­ter­te Fens­ter auf eine Stra­ße mei­ner Va­ter­stadt, sah die Kin­der spie­len, und jetzt roll­te gar ein Wa­gen des Bier­ver­lags Trap­pe vor­über. Der mir sehr gut be­kann­te, fast be­freun­de­te Trap­pe saß selbst auf dem Bock.

      Nun ging ein jun­ges Mäd­chen, wohl auch eine An­ge­stell­te, durch das Zim­mer, in das ich ge­setzt war, es sah mich an, lä­chel­te freund­lich und sag­te: »Gu­ten Tag, Herr Som­mer.«

      Sie kann­te mich also, sie war freund­lich zu mir, ob­gleich ich un­ter der Be­schul­di­gung des Mord­ver­suchs an mei­ner ei­ge­nen Frau in Haft saß.

      Die ält­li­che An­ge­stell­te eben war auch freund­lich ge­we­sen, sie hat­te ge­sagt: »Herr Som­mer läuft nicht weg« – alle wa­ren freund­lich zu mir, der bes­te Be­weis, dass mei­ne Sa­che gut­stand. Wahr­schein­lich er­ließ der Un­ter­su­chungs­rich­ter kei­nen Haft­be­fehl ge­gen mich, viel­leicht war ich schon in ei­ner hal­b­en Stun­de frei! Mein Herz klopf­te stark und froh.

      Nun kam ein äl­te­rer Mann ins Zim­mer, ein lan­ger, dür­rer, grau­haa­ri­ger Herr, der et­was zer­streut und et­was sor­gen­voll blick­te.

      »Das ist Herr Som­mer, Herr Di­rek­tor!«, sag­te die ält­li­che An­ge­stell­te und deu­te­te mit dem Kopf auf mich.

      »So, so«, hüs­tel­te der ält­li­che Herr, der der Amts­ge­richts­di­rek­tor war, wie ich spä­ter er­fuhr. Er sah mich einen Au­gen­blick mit sei­nen mü­den, et­was sor­gen­vol­len Au­gen an und gab mir dann die Hand. »Dann kom­men Sie mal mit, Herr Som­mer.«

      Wie­der ei­tel Freund­lich­keit, Hän­de­ge­ben, mit »Herr« an­re­den, ach, all dies Ge­tue hat mich Uner­fah­re­nen ge­wal­tig ge­täuscht, ich ver­gaß voll­kom­men, dass dies al­les mei­ne Fein­de wa­ren, nur ge­son­nen, mich zu ver­ur­tei­len, mich ge­fan­gen zu hal­ten, mich zu über­lis­ten. Ich ver­gaß den eben erst ge­lern­ten Satz: »Du kommst leicht hin­ein, aber schwer raus.« Ich mein­te, das Heraus­kom­men wer­de mir noch leich­ter als das Hin­ein­kom­men ge­macht, ich öff­ne­te dem Herrn Amts­ge­richts­di­rek­tor ganz mein Herz, sag­te al­les so, wie es wirk­lich ge­we­sen war, und dann soll­te ich es ja er­fah­ren, was für Fol­gen mei­ne Ver­trau­ens­se­lig­keit hat­te!

      Der Herr Amts­ge­richts­di­rek­tor ging mir vor­an in ein ganz be­hag­lich ein­ge­rich­te­tes Ar­beits­zim­mer mit vie­len, vie­len Bü­chern an den Wän­den, ich wur­de auf einen Stuhl vor den Schreib­tisch ge­setzt, der Di­rek­tor setz­te sich hin­ter ihn, eine Dame mitt­le­ren Al­ters er­schi­en und spann­te einen großen Bo­gen in die Schreib­ma­schi­ne, der Di­rek­tor fuhr sich mit der Hand durch die Haa­re, rück­te an sei­ner Bril­le hin und her, sah mich an und sag­te: »Sie ma­chen uns vie­le Sor­gen, Herr Som­mer«, hüs­tel­te und gab dem Fräu­lein auf: »Nun neh­men Sie mal die Per­so­na­li­en von Herrn Som­mer auf.«

      Die­ses Ge­fra­ge war leicht ge­nug be­ant­wor­tet,


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