Hans Fallada – Gesammelte Werke. Hans Fallada

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Hans Fallada – Gesammelte Werke - Hans  Fallada


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böse auf ihn ge­wor­den sind, und nun wol­len sie ihn ent­we­der ins KZ oder in eine Straf­kom­pa­nie ste­cken. Na­tür­lich er­zählt Enno Klu­ge nichts von sei­ner Ar­beits­scheu, aber er denkt, das wird der Bul­le auch so ka­pie­ren.

      Und da­mit hat er so­gar recht, der Bul­le ka­piert das ganz gut, was für ein win­di­ges Frücht­chen die­ser Enno Klu­ge ist. »Ja, Herr Kom­missar, und wie ich Sie da sah und die Uni­form von dem Herrn Wacht­meis­ter, und ich saß doch gra­de beim Dok­tor, um mich krank­schrei­ben zu las­sen, da habe ich ge­dacht, nun ist es so weit, nun ho­len sie dich ins KZ, und da bin ich denn los­ge­lau­fen …«

      »Soso«, sagt der As­sis­tent. »Soso!« Er über­legt eine Wei­le und sagt dann: »Aber es scheint mir, Sohn, dass du gar nicht mehr so recht glaubst, dass wir des­we­gen hier sind.«

      »Nein, ei­gent­lich nicht«, gibt Klu­ge zu.

      »Und warum glaubst du das nicht mehr, Sohn?«

      »Weil Sie mich da doch viel ein­fa­cher in der Fa­brik oder in mei­ner Woh­nung fest­neh­men könn­ten.«

      »Also, ’ne Woh­nung hast du auch, Sohn?«

      »Aber na­tür­lich, Herr Kom­missar. Mei­ne Frau ist doch bei der Post, ich bin rich­tig ver­hei­ra­tet. Mei­ne bei­den Jun­gen ste­hen im Fel­de, der eine ist bei der SS in Po­len. Ich habe auch Pa­pie­re hier, ich kann Ih­nen al­les be­wei­sen, was ich ge­sagt habe, we­gen der Woh­nung und we­gen mei­ner Ar­beits­stel­le.«

      Und Enno Klu­ge zieht sein schä­bi­ges, ab­ge­grif­fe­nes Brief­täsch­chen her­vor und fängt an, Pa­pie­re vor­zu­su­chen.

      »Dei­ne Pa­pie­re lass jetzt mal ste­cken, Sohn«, sagt der As­sis­tent ab­wei­send. »Das hat spä­ter auch noch Zeit …«

      Er ver­sinkt in Nach­den­ken, und al­les schweigt nun.

      Der Arzt aber hin­ter sei­nem Schreib­tisch fängt ei­lig an zu schrei­ben. Vi­el­leicht hat er doch Ge­le­gen­heit, die­sem klei­nen Männ­lein da, das von ei­ner Angst in die an­de­re ge­jagt wird, einen Kran­ken­schein zu­zu­ste­cken. Gal­len­lei­den hat er ge­sagt, nun also. Das sind doch Zei­ten, wo man dem an­de­ren hel­fen muss, wenn’s nur ir­gend geht!

      »Was schrei­ben Sie denn da, Dok­tor?«, fragt der As­sis­tent, plötz­lich aus sei­nem Nach­den­ken hoch­fah­rend.

      »Kran­ken­ge­schich­ten«, er­klärt der Arzt. »Ich will die Zeit ein biss­chen nutz­brin­gend ver­wen­den, ein Hau­fen Men­schen sitzt da noch in mei­nem Sprech­zim­mer.«

      »Rich­tig, Dok­tor«, sagt der As­sis­tent und steht auf. Er hat sei­nen Ent­schluss ge­fasst: »Da wol­len wir Sie auch nicht län­ger auf­hal­ten.«

      Die Ge­schich­te die­ses Enno Klu­ge kann wahr sein, sie ist so­gar höchst­wahr­schein­lich wahr, aber der As­sis­tent wird das Ge­fühl nicht los, dass da noch ir­gen­det­was an­de­res da­hin­ter­steckt, dass er nicht die gan­ze Ge­schich­te zu hö­ren be­kom­men hat. »Na, denn komm, mein Sohn! Du be­glei­test uns doch noch ein paar Schrit­te? O nein, nicht bis zum Alex, nur hier­her auf un­ser Re­vier. Ich will mich doch ger­ne noch ein biss­chen mit dir un­ter­hal­ten, mein Sohn, so ein mun­te­rer Kna­be wie du bist, und den On­kel Dok­tor dür­fen wir hier auch nicht län­ger auf­hal­ten.« Er sagt zum Wacht­meis­ter: »Nein, kei­ne Fes­sel. Er geht schon so fein brav mit, ist ja ein klu­ges Kind. Heil Hit­ler, Herr Dok­tor, und schö­nen Dank!«

      Sie sind schon an der Tür, es sieht al­les ge­nau­so aus, als woll­ten sie wirk­lich ge­hen. Aber da zieht der As­sis­tent plötz­lich die Kar­te, die Quan­gel’­sche Kar­te, aus der Ta­sche, hält sie dem Enno Klu­ge un­ter die Nase und sagt zu dem Über­rasch­ten ganz scharf: »Da, lies uns das mal vor, Sohn! Aber ganz schnell, ohne zu zu­cken und zu stot­tern!«

      So sagt er ganz bul­len­mä­ßig.

      Aber schon, als der As­sis­tent sieht, wie der Klu­ge die Kar­te an­fasst, wie sein glot­zen­des Auge im­mer ver­ständ­nis­lo­ser wird, wie Klu­ge dann zu stam­meln an­fängt: »Deut­scher, ver­giss es nicht! Mit dem An­schluss von Ös­ter­reich fing es an. Es folg­te Su­de­ten­land und die Tsche­cho­slo­wa­kei. Po­len wur­de über­fal­len, Bel­gi­en, Hol­land« – schon da weiß der As­sis­tent mit ziem­li­cher Ge­wiss­heit: Die­ser Mann hat die Kar­te noch nie in Hän­den ge­habt, hat nie ih­ren In­halt ge­le­sen, ge­schwei­ge denn ihn schrei­ben kön­nen – der ist ja viel zu blöd für so was!

      Und är­ger­lich reißt er dem Enno Klu­ge die Kar­te wie­der aus der Hand, sagt kurz »Heil Hit­ler!« und ver­lässt mit dem Schu­po und sei­nem Fest­ge­nom­me­nen das Be­hand­lungs­zim­mer.

      Lang­sam zer­reißt der Arzt wie­der den für Enno Klu­ge vor­be­rei­te­ten Be­hand­lungs­schein. Es war kei­ne Ge­le­gen­heit, ihm den zu­zu­ste­cken. Scha­de! Aber wahr­schein­lich hät­te er ihm doch nichts ge­hol­fen, viel­leicht war die­ser Mann, der den Schwie­rig­kei­ten der heu­ti­gen Zeit so we­nig ge­wach­sen schi­en, doch be­reits zum Un­ter­gang ver­ur­teilt. Vi­el­leicht konn­te ihm kei­ne Hil­fe von au­ßen wirk­lich hel­fen, weil nichts Fes­tes in ihm war.

      Scha­de …

      24. Das Verhör

      Wenn der Kri­mi­nal­as­sis­tent trotz sei­ner fes­ten Über­zeu­gung, der Enno Klu­ge kom­me we­der als Schrei­ber noch als Ver­brei­ter der Kar­ten in Fra­ge, wenn er trotz­dem in sei­ner te­le­fo­ni­schen Mel­dung beim Kom­missar Esche­rich durch­bli­cken ließ, der Klu­ge sei doch wohl Ver­brei­ter die­ser Pam­phle­te, so tat er es dar­um, weil ein klu­ger Un­ter­ge­be­ner nie die An­sich­ten sei­nes Vor­ge­setz­ten vor­weg­neh­men soll. Ge­gen den Klu­ge lag eine fes­te An­zei­ge der Sprech­stun­den­hil­fe Fräu­lein Kie­sow vor, und ob die nun be­grün­det war oder nicht, das moch­te der Herr Kom­missar sel­ber her­aus­fin­den.

      War sie be­grün­det, so war der As­sis­tent ein fä­hi­ger Mann und des Wohl­wol­lens des Kom­missars si­cher. War sie aber nicht be­grün­det, so war der Kom­missar klü­ger als der As­sis­tent, und so ein Klü­ger­sein des Vor­ge­setz­ten ist für den Un­ter­ge­be­nen oft be­kömm­li­cher als alle Tüch­tig­keit.

      »Nun?«, sag­te der lan­ge, graue Esche­rich und storch­te hin­ein in das Re­vier. »Nun, Kol­le­ge Schrö­der? Wo ha­ben Sie denn Ihren Fang?«

      »In der hin­ters­ten Zel­le links, Herr Kom­missar.«

      »Hat der Kla­bau­ter­mann ge­stan­den?«

      »Wer? Kla­bau­ter­mann? Ach so, ich ver­ste­he! Nein, Herr Kom­missar, ich habe ihn na­tür­lich nach un­serm Te­le­fon­ge­spräch so­fort ab­füh­ren las­sen.«

      »Gut!«, lob­te Esche­rich. »Und was weiß er von den Kar­ten?«

      »Ich habe«, sag­te der As­sis­tent vor­sich­tig, »ihn die auf­ge­fun­de­ne Kar­te ein­mal vor­le­sen las­sen. Den An­fang, heißt das.«

      »Ein­druck?«

      »Ich möch­te da nicht vor­grei­fen, Herr Kom­missar«, sag­te der As­sis­tent vor­sich­tig.

      »Nicht zu ängst­lich, Kol­le­ge Schrö­der! Ein­druck?«

      »Mir er­scheint es je­den­falls un­wahr­schein­lich, dass er der Schrei­ber die­ser Kar­te ist.«

      »Wa­rum?«

      »Ist nicht sehr hel­le. Au­ßer­dem furcht­bar ver­ängs­tigt.«

      Der


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