Unsichtbare Bande: Erzählungen. Selma Lagerlof

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Unsichtbare Bande: Erzählungen - Selma  Lagerlof


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      „Die ist aus Holz,“ sagte der Holzschuhpeter.

      „Nein, aus Ton,“ meinte der Rollpeter.

      Sie gingen alle drei in einer Reihe. Gerade vor der Alten kamen sie ins Schwanken. Sie gingen gegen sie los. Der Tisch bekam einen Puff. Und die Alte fing zu zanken an.

      „Weder Holz noch Ton,“ sagten sie, „lauter Gift und Galle.“

      Die ganze Zeit hatte Peter Nord sich gar nicht um sie gekümmert, aber jetzt waren sie endlich bei Halfvorsons Haus angelangt und da erwartete er sie.

      „Es läßt sich wohl nicht in Abrede stellen, daß das meine Angelegenheit ist,“ sagte er stolz, und wies auf den Laden. „Ich will allein hineingehen und die Sache abmachen. Bringe ich es nicht zuwege, so könnt ihr euer Glück versuchen.“

      Sie nickten. „Geh du nur, Peter Nord! Wir warten hier draußen.“

      Peter Nord trat in den Laden, fand dort einen jungen Mann allein und fragte nach Halfvorson. Er bekam sogleich den Bescheid, daß dieser verreist war. Da fing er ein Gespräch mit dem Ladendiener an und erfuhr so mancherlei über seinen Herrn.

      Halfvorson war wegen des Branntweinhandels gar nicht angeklagt worden. Wie er sich gegen Peter Nord benommen hatte, das wußte die ganze Stadt. Aber niemand sprach jetzt mehr von der Geschichte. Halfvorson hatte es weit gebracht, und jetzt war er nicht mehr so bösartig. Er war nicht mehr unbarmherzig gegen seine Schuldner und hatte aufgehört, dem Ladenjungen aufzulauern. In den allerletzten Jahren hatte er sich auf die Gärtnerei geworfen. Er hatte rings um das Haus in der Stadt einen Blumengarten angelegt und einen Küchengarten draußen vor dem Stadttor. Jetzt arbeitete er so eifrig in seinen Gärten, daß er kaum mehr daran dachte, Geld zu sammeln.

      Peter Nord gab es einen Stich ins Herz. Natürlich war der Mann gut. Er hatte im Paradies bleiben dürfen. Natürlich wurde man gut, wenn man hier wohnte.

      Edith Halfvorson lebte noch beim Onkel, aber sie war jetzt krank. Seit sie im Winter die Lungenentzündung gehabt hatte, war ihre Brust schwach.

      Während Peter Nord sich dies und noch mehr erzählen ließ, standen die drei Männer draußen und warteten.

      In Halfvorsons schattenlosem Garten hatte man eine Birkenlaube errichtet, damit Edith sich dort an den schönen, warmen Frühlingstagen aufhalten konnte. Sie kam nur langsam wieder zu Kräften, aber für ihr Leben bestand keine Gefahr mehr.

      Bei einigen ist es so, daß man glauben muß, sie wollen nicht leben. Bei der ersten Krankheit, die sie befällt, legen sie sich hin, um zu sterben. Halfvorsons Nichte war schon längst aller Dinge müde, des Kontors, des kleinen trüben Ladens, des Gelderwerbes. Als sie siebzehn Jahre alt war, reizte es sie, sich einen vornehmen Verkehr und einen guten Freundeskreis zu erkämpfen. Dann setzte sie sich das Ziel, Halfvorson auf den Weg der Tugend zu bringen, aber jetzt war alles erreicht. Sie sah keine Möglichkeit, aus dem Einerlei des Kleinstadtlebens herauszukommen. Sie wollte gerne sterben.

      Sie war eine der elastischen, eine der Stahlfedernaturen. Nichts als Nerven und Lebendigkeit, wenn etwas sie drückte und quälte. Wie hatte sie sich doch mit List und Verstellung, mit weiblicher Güte und weiblichem Trotz gemüht, bis sie ihren Oheim dahin gebracht hatte, einzusehen, daß weitre Peter Nord-Geschichten nicht mehr vorkommen dürften! Aber jetzt war er zahm und gebändigt, und sie hatte nichts mehr, was sie fesselte. Ja, und nun sollte sie doch nicht sterben! Sie lag da und dachte nach, was sie anfangen sollte, wenn sie gesund wurde.

      Plötzlich fuhr sie zusammen. Jemand hatte sehr laut gesagt, er wolle allein zu Halfvorson gehen und seine Angelegenheit mit ihm abmachen. Und dann antwortete ein andrer: „Geh du nur, Peter Nord!“

      Aber Peter Nord war ja der furchtbarste, der unglückseligste Name auf der Welt. Er bedeutete ja ein Wiedererwachen aller der alten Abscheulichkeiten. Edith richtete sich bebend auf, und gerade da kamen drei unheimliche Gestalten um die Ecke und stellten sich vor sie hin und starrten sie an. Nur ein niedriges Staket und eine dünne Hecke lag zwischen ihr und der Straße.

      Edith war allein. Die Mägde waren zum Melken gegangen, und Halfvorson arbeitete in seinem Garten vor der Stadt, obgleich er dem Ladenjungen aufgetragen hatte, zu sagen, daß er verreist sei, denn er schämte sich seiner Gärtnermarotte. Edith fürchtete sich schrecklich vor den drei Männern sowie vor dem, der in den Laden gegangen war. Sie war überzeugt, daß sie ihr etwas zuleide tun wollten, und darum begann sie über die schlüpfrigen, steilen Pfade und die kleinen, morschen Holzstufen, die von Terrasse zu Terrasse führten, den Berg hinaufzulaufen.

      Den fremden Männern war es ein Hauptspaß, daß sie vor ihnen davonlief. Sie konnten es sich nicht versagen, sich so zu stellen, als wenn sie sie einholen wollten. Einer von ihnen kletterte auf das Staket, und alle drei brüllten mit furchtbarer Stimme.

      Edith lief, so wie man im Traume läuft, keuchend, strauchelnd, in Todesangst, mit der entsetzlichen Empfindung, nicht von der Stelle zu kommen. Alle erdenklichen Gefühle stürmten auf sie ein und erschütterten sie so sehr, daß sie glaubte sterben zu müssen. Ja, wenn einer dieser Kerle sie nur mit der Hand berührte, wußte sie, daß sie sterben mußte. Als sie die oberste Terrasse erreicht hatte und es wagte, sich umzusehen, merkte sie, daß die Männer unten auf der Straße standen und gar nicht mehr nach ihr hinsahen. Da ließ sie sich ganz ohnmächtig zu Boden sinken. Aber die Anstrengung war zu groß gewesen, sie hatte sie nicht ertragen können. Sie fühlte, wie etwas in ihr riß. Gleich darauf strömte Blut über ihre Lippen.

      Die Mägde fanden sie, als sie vom Melken heimkamen. Für diesmal wurde sie ins Leben zurückgerufen. Aber dennoch wagte niemand zu hoffen, daß sie lange am Leben bleiben würde.

      Sie konnte an diesem Tage nicht soviel sprechen, um zu erzählen, in welcher Weise sie erschreckt worden war. Hätte sie es getan, wer weiß, ob die fremden Männer lebendig aus der Stadt gekommen wären. Es erging ihnen ohnehin schlimm genug. Denn nachdem Peter Nord wieder zu ihnen herausgekommen war und erzählt hatte, daß Halfvorson nicht daheim sei, gingen sie alle vier im besten Einvernehmen durch das Stadttor und suchten sich einen sonnigen Abhang, wo sie die Zeit, bis der Kaufmann zurückkehrte, verschlafen konnten.

      Aber als am Nachmittag alle Männer der Stadt, die draußen auf dem Felde gearbeitet hatten, wieder heimkamen, erzählten ihnen die Frauen von dem Besuch der Landstreicher, von ihren drohenden Fragen im Laden, wo sie Bier gekauft hatten, und ihrem ganzen herausfordernden Auftreten. Die Frauen vergrößerten und übertrieben die Sache, denn sie hatten den ganzen Nachmittag daheim gesessen und sich gegenseitig Angst gemacht. Die Männer glaubten Haus und Heim bedroht. Sie beschlossen, die Friedensstörer zu greifen, wählten einen beherzten Mann zum Anführer, nahmen tüchtige Knüttel mit und zogen von dannen.

      Nun kam Leben in die Stadt. Die Frauen traten vor die Haustüren und machten einander bange. Die Stimmung war zugleich unheimlich und erwartungsvoll.

      Es dauerte nicht lange, so kamen die Jäger mit ihrer Beute zurück. Sie hatten alle vier. Sie hatten sie im Schlafe umzingelt und sie gefangen. Das Kunststück hatte gerade keinen besondern Heldenmut erfordert.

      Jetzt kehrten sie mit ihnen in die Stadt zurück, indem sie sie wie Vieh vor sich hertrieben. Der Taumel des Rachedurstes hatte sich der Sieger bemächtigt. Sie schlugen, um zu schlagen. Wenn einer von den Gefangenen die Faust gegen sie ballte, bekam er einen Schlag auf den Kopf, der ihn umwarf, und dann hagelten die Schläge auf ihn nieder, bis er sich erhob und weiterging. Die vier Männer waren dem Tode nahe.

      Es ist so schön in den alten Liedern. Da muß zuweilen der gefangne Held in Fesseln im Triumphzug des siegreichen Feindes schreiten. Aber er ist auch im Unglück noch stolz und schön, und die Blicke suchen ihn ebenso wie den Glücklichen, der ihn besiegt hat. Die Kränze und die Tränen der Schönheit gehören dem noch im Unglück Beneidenswerten.

      Aber wer wollte wohl für den armen Peter Nord schwärmen? Sein Rock war zerrissen und sein flachsblondes Haar klebrig von Blut. Er bekam die meisten Schläge, denn er leistete am meisten Widerstand. Ganz schrecklich sah er aus, wie er da einherging. Er brüllte, ohne es zu wissen. Jungens hängten sich an ihn fest, und er schleppte sie lange Strecken


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