Das Heideprinzeßchen. Eugenie Marlitt

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Das Heideprinzeßchen - Eugenie  Marlitt


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wollte ich hinzusetzen, aber ich verschluckte die zwei letzten Worte und bog mich zu ihr hin.

      »Nun, so gib mir deine Hand und küsse mich auf die Stirn!«

      Ich that, wie sie geheißen, und seltsam, in dem Augenblick, wo meine Lippen das gefürchtete Gesicht berührten, und meine Hand von den großen, kalten Fingern umschlossen und sanft gedrückt wurde, zog ein neues, süßseliges Gefühl in meine Brust ein. Ich wußte auf einmal, daß ich an diesen Platz gehörte, ich fühlte das geheimnisvolle Band des Blutes zwischen Großmutter und Enkelin, und hingerissen durch dieses plötzliche Erkennen setzte ich mich auf den Bettrand und schob sanft meinen Arm unter ihren Kopf.

      Ein beglücktes Lächeln glitt durch die großen, starken Züge; sie legte sich in meinem Arm zurecht wie ein müdes Kind, das einschlafen will.

      »Fleisch von meinem Fleisch, Blut von meinem Blut – ach!« flüsterte sie und schloß die Augen.

      Ilse aber stand hinter dem Vorhang des Bettes; sie vergrub ihr Gesicht in den Händen und weinte bitterlich.

      Es trat wieder Totenstille in. Sie wurde nur unterbrochen durch das leise Aufstöhnen der Kranken und ihre schweren, unregelmäßigen Atemzüge, und durch das unausgesetzte leise Schnurren in dem hohen, hölzernen Standgehäuse der alten Uhr, deren großes blinkendes Zifferblatt gespenstisch herüberstarrte, und die zu jeder Pendelschwingung weit und langsam aushob wie eine kranke Brust zum Atemholen.

      So war abermals eine lange, bange Zeit verstrichen; es hatte bereits Eins geschlagen. Da wurde draußen das Hausthor geöffnet, und Heinz schritt in Begleitung eines anderen Mannes durch die Tenne; er brachte also, wider Erwarten, den Arzt gleich mit.

      Ilse atmete sichtlich auf und winkte mir, ihm am Bett Platz zu machen; ich zog vorsichtig meinen steifgewordenen Arm an mich und ließ das Haupt der Kranken behutsam in die Kissen sinken . Sie schien weiter zu schlummern; sie gab auch kein Zeichen, daß sie es höre, als die Zimmerthür leise geöffnet wurde und die Männer eintraten.

      Da stand auf einmal der alte Pfarrer des nächsten Dorfes im vollen Ornat inmitten des Zimmers, während Heinz, den Hut in der Hand, ehrfurchtsvoll im Hintergrunde verblieb … Sie sah feierlich ergreifend aus, die ehrwürdige Gestalt des Geistlichen im schwarzen Talar, das Gebetbuch in den Händen haltend. Ilse aber fuhr empor, als sähe sie ein Gespenst; sie stürzte zurückwinkend auf ihn zu, allein es war zu spät – in demselben Moment, als fühle sie den Blick des Eingetretenen, schlug meine Großmutter auch die Augen auf.

      Ich wich zurück, so sehr entsetzte mich die furchtbare Verwandlung in den Zügen, die sich eben noch so friedsam geglättet hatten.

      »Was will der Schwarzrock?« stöhnte sie.

      »Ihnen Trost bringen, so Sie dessen bedürfen,« versetzte der alte Mann mild, ohne sich durch die rauhe Anrede beirren zu lassen.

      »Trost? … Ich habe ihn bereits gefunden am unschuldigen Kindesherzen, in der Liebe, die sich dahingibt, ohne zu fragen: wie glaubst du, und was gibst du mir dafür? … Leonore, mein gutes Kind, wo bist du?«

      Mir zitterte das Herz bei diesen sehnsüchtigen Tönen. Ich trat rasch an das Kopfende des Bettes, so daß sie mich sehen konnte.

      »Trost könnt ihr mir nicht bringen, die ihr mich hinausgestoßen habt in die grauenhafte Wüste, wo mir der Sonnenbrand das Gehirn ausgedörrt hat!« fuhr sie zu dem Geistlichen gewendet fort. »Nicht einen Tropfen kühler Labung habt ihr mir gereicht auf dem Wege, der nun, wie ihr predigt, enden soll in der Hölle! … Ihr Unduldsamen, ihr rühmt euch, in Demut vor Gott zu wandeln, und haltet doch jederzeit den Stein in der Hand, ihn auf euren Nächsten zu werfen, und vermesset euch, entehrendes Totengericht zu halten am Grabe der Hingeschiedenen, die bereits vor ihrem Richter stehen! … Ihr falschen Propheten, ihr rühmt euch, zu dem Gott der Güte, des unendlichen Erbarmens zu beten, und macht ihn zum Lenker mörderischer Schlachten, zu einem grimmigen und eifrigen Gott, wie das Volk der Hebräer auch, das ihr das verfluchte nennt! … Vollkommen preist ihr ihn und gebt ihm doch alle Gebrechen eurer sündhaften Menschennatur, eure Rachsucht, eure Herrschbegierde, eure kalte Grausamkeit … Euer Mittler hat euch eine Palme in die Hand gedrückt, ihr aber macht sie zur Geißel –«

      Der Geistliche hob die Hand, als wolle er sie unterbrechen, aber sie fuhr heftiger fort:

      »Und mit dieser Geißel habt ihr mich geschlagen und hinausgehetzt aus eurem Himmel, da ihr schwurt: Dein Vater, der Jude, der dir das Leben gegeben, deine Mutter, die Jüdin, die dich genährt, sie sind verflucht bis in alle Ewigkeit! … Mann, mein Vater war der Weisesten einer. Er hat gesammelt und aufgespeichert in seinem Geiste unermeßliches Wissen – und das sollte nutzlos verkommen in der Hölle, und dem geistig Beschränkten, der nie gedacht und nur geglaubt, würde mühelos das Himmelreich, wo doch dem Forschenden erst recht verheißen ist Wahrheit und Klarheit? … Und mein Vater,« fuhr sie fort, »hat gebrochen dem Hungrigen sein Brot und dahingegeben, daß die Linke nicht wußte, was die Rechte that. Er hat verabscheut die Sünde der Lüge, des Geizes und des Hochmuts und hat verziehen seinen Beleidigern und nie gerächt, was sie ihm angethan – er hat Gott, seinen Herrn, geliebt von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte, und soll doch schmachten in der Hölle bis in alle Ewigkeit, weil das Wasser nicht über seinem Haupte ausgegossen ist? … Wohl, wohl, so will ich dahingehen, wo er ist – ich gebe euch eure Taufe zurück! Behaltet euren Himmel – ihr verkauft ihn teuer genug, ihr Tyrannen im schwarzen Rock!«

      Mit dem tiefsten Erbarmen in seinen milden Zügen trat ihr der alte Pfarrer näher; aber da war keine Versöhnung mehr möglich.

      »Lassen Sie das – ich bin fertig!« sagte sie schneidend und kehrte das Gesicht nach der Wand.

       Inhaltsverzeichnis

      »Herr Pfarrer,« sagte Ilse draußen auf dem Fleet zu ihm, »ihr dürfen Sie das nicht zurechnen, sie hat sich taufen lassen, und der’s gethan hat, war gut und christlich wie Sie, und sie hat ehrlich zu Christo gehalten … Da ist aber einer gekommen – er mag’s verantworten – und hat geeifert und hat des Verfluchens und Verdammens kein Ende gewußt. Ja, da war das viele Unglück in der Familie immer und immer nur ein Strafgericht des Herrn! Und das hat ihr den Verstand genommen – er mag’s verantworten!«

      »Ich rechte nicht mit ihr,« entgegnete er sanft. »Weiß ich doch leider zu gut, daß falscher Eifer im Weinberg des Herrn viele edle Frucht zerstört! … Die Frau hat viel gelitten – Gott wird barmherzig sein! Mich schmerzt nur, daß ich nicht trösten durfte, wo ich es freudigen Herzens gekonnt hätte. Aber es widerstrebt mir, mit dem unerbetenen Beistand der Kirche auf eine Seele einzustürmen, die ohnehin im schweren Kampfe liegt, im Kampfe mit der Hülle.« Er strich liebkosend mit der Hand über meinen Scheitel. »Gehe hinein zu ihr, sie wird dich vermissen! … Ich wollte, ich könnte allen Trost unseres Glaubens auf deine Lippen legen, auf daß der geängstigten Seele der wahre Friede werde.«

      Ich kehrte sofort in das Zimmer zurück, während er ein Glas Wasser trank und dann, ohne zu rasten, den Dierkhof verließ.

      »Wo ist das Kind?« hörte ich die Kranke schon draußen im Gange wiederholt fragen.

      »Da bin ich, Großmutter!« rief ich eintretend und flog auf das Bett zu. Sie war ganz allein. Heinz, den wir bei ihr zurückgelassen, war fortgegangen, ich vermutete, aus Furcht vor Ilse, da er eigenmächtig den Geistlichen mitgebracht hatte.

      »Ach ja, da bist du, mein kleines schwarzbraunes Täubchen!« sagte sie zärtlich und seufzte erleichtert auf. »Ich meinte schon, du seiest mir nun auch abgewandt und mit ihm hinweggegangen in Haß und Verachtung.«

      Ich protestierte. »So darfst du nicht denken, Großmutter!« rief ich lebhaft. »Er hat mich zu dir geschickt und ist unsäglich gut, und ich – ich weiß gar nicht einmal, wie es ist, wenn man haßt und verachtet.«

      »Das heißt, du liebst die ganze Welt,« sagte sie schwach lächelnd.


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