Edgar Wallace-Krimis: 78 Titel in einem Band. Edgar Wallace
Читать онлайн книгу.wurde, als er an Bord eines französischen Passagierdampfers ging.«
Andy trug Downer nichts nach. Der Mann mußte ja schließlich auch leben. Zweifellos war er sonst sehr gewissenhaft in seinen Berichten und hatte die Polizei bei ihren Nachforschungen früher wirksam unterstützt. Das würde auch in Zukunft der Fall sein.
»Ich bin nicht deswegen hergekommen. Die Nachricht von seiner Verhaftung wird ja sowieso in den Abendzeitungen erscheinen.« Downer warf seinen Zigarrenstummel in den Papierkorb. »Ich kam, um mit Ihnen über Miss Nelson zu sprechen.«
Andy hatte sich die Hände abgetrocknet und hängte das Handtuch auf.
»Ich dachte, Ihr Interesse an Miss Nelson hätte sich inzwischen verflüchtigt. Was haben Sie denn schon wieder entdeckt?«
»Sie ist hier in London.«
»Hier?«
Andys Überraschung war nicht geheuchelt.
»Wohnt sie hier – oder haben Sie sie nur auf der Straße gesehen?«
»Ich weiß nicht, wo sie wohnt, aber seit zwei Wochen besucht sie regelmäßig einen kranken Matrosen in der Castle Street Nummer 73.«
»Castle Street Nummer 73?«
Downer hatte den Eindruck, daß diese Nachricht Andy irgendwie beunruhigte.
»Das ist doch eine ziemlich armselige Gegend, nicht wahr?«
Downer nickte. »Ich dachte, es würde Sie interessieren.«
»Ich wüßte nicht, warum sie nicht einen kranken Matrosen pflegen sollte.«
»Nein, da ist nichts dabei.«
»Sie wissen doch wahrscheinlich, daß Miss Nelson eine ausgebildete Krankenpflegerin ist – im Krieg war sie lange in Lazaretten tätig.«
»Das wußte ich allerdings nicht.« Downer nahm sein Etui heraus und nahm sich eine neue Zigarre. »Vielleicht setzt sie jetzt ihre guten Werke fort.«
»Sehr wahrscheinlich.«
Downer erhob sich.
»Ich dachte schon daran, nächste Woche einmal wieder nach Beverley zu gehen, vielleicht kann man dort einen neuen Anhaltspunkt finden.«
»Auf Ihren alten Gewährsmann können Sie wohl nicht mehr rechnen«, sagte Andy lächelnd.
»Sie meinen Wilmot?«
Andy nickte.
»Das ist ein merkwürdiger Mensch.« Downer steckte seine Zigarre an. »Was treibt der denn eigentlich? Er muß doch irgend ein Büro hier in der Stadt haben?«
»Ich weiß es nicht, ich habe mich noch nie darum gekümmert.«
»Könnte er vielleicht mit Albert Selim identisch sein?«
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen, aber ich habe ihn nicht weiter verfolgt. Warum versuchen Sie sich nicht an dieser Aufgabe? Ich glaube, Sie würden eine glänzende Geschichte daraus machen.«
23
Andy atmete erleichtert auf, als Downer gegangen war, der ihm eine so überraschende Nachricht gebracht hatte. Er hatte von Stella weder etwas gesehen noch gehört, seitdem er Beverley verlassen hatte. Es war nur ein Brief von ihrem Vater gekommen, in dem er ihm mitteilte, daß sie sich einen Monat bei Verwandten aufhalten wollte. Kenneth Nelson hatte sich offenbar damit zufriedengegeben. Es wäre Andy nicht schwergefallen, die Personalien des kranken Matrosen feststellen zu lassen, aber er wollte Stella nicht nachspionieren, welches Geheimnis sie auch haben mochte. Noch mehr allerdings haßte er die Unruhe, die ihn befallen hatte, als er in die Stadt zurückgekehrt war. Das Leben hatte viel von seinem Reiz für ihn verloren, seitdem er das Mädchen nicht mehr sah. War er gekränkt? Ja, er war ein wenig verletzt, weil sie mit ihren Sorgen nicht zu ihm gekommen war. Er wünschte, er hätte Downer gefragt, ob sie noch einen Verband trug. Warum hatte sie ihm nicht alles erzählt? Er hatte es erst von anderer Seite hören müssen – und das verletzte ihn.
Der kranke Matrose –? Er zuckte die Schultern. Stella hatte niemandem Rechenschaft abzulegen. Wenn es ihr gefiel, ihre Zeit einem armen Kranken zu widmen, so war das ihre Sache. Und doch war er neugierig, wer dieser Kranke wohl sein mochte. Das redete er sich aber nur ein, denn in Wirklichkeit wollte er Stella wiedersehen.
Er setzte sich hin, um einen Brief an sie zu schreiben. Aber nach drei vergeblichen Versuchen faßte er einen anderen Entschluß. Sie kannte ihn gut genug, daß sie nicht glauben würde, er wolle sie bespitzeln oder etwas gegen sie unternehmen.
Er nahm seinen Hut und machte sich auf den Weg nach der Castle Street. Er wollte zu Fuß gehen. Unterwegs überlegte er, ob er in das Haus gehen solle oder nicht; aber als er vor Nr. 73 angekommen war, zögerte er keinen Augenblick zu klopfen.
Er hörte Stimmen flüstern und Treppen knacken. Nach kurzer Zeit öffnete sich die Tür. Stella wurde verlegen, als sie ihn sah.
»Ach!« Zum erstenmal sah er sie verwirrt. »Das ist aber eine Überraschung, Andrew! Wie hast du denn erfahren, daß ich hier bin? Ich machte hier nur einen Besuch.«
Sie war sichtlich nervös. Aber noch seltsamer war es, daß sie mitten in der Türöffnung stand und keine Anstalten machte, ihn hereinzubitten.
»Ich wollte mich einmal nach dir umsehen«, erwiderte Andy ruhig. »Ich habe gehört, daß du hier jemand pflegst.«
»Wer hat dir das gesagt? Vater weiß es doch nicht?« fragte sie schnell.
Sie war rot geworden. Es schien ihr entsetzlich peinlich zu sein, daß er sie in dieser Lage antraf. Niedergeschlagen wandte er sich wieder zum Gehen, aber sie hielt ihn zurück.
»Willst du nicht einen Augenblick warten?«
Sie ging den Gang entlang, trat in ein Zimmer und kam gleich wieder heraus.
»Komm bitte herein. Ich möchte dir meinen Patienten vorstellen.«
Andy zögerte einen Augenblick, dann folgte er ihr. Sie stand im Zimmer und hielt die Tür für ihn offen. Vom Gang aus konnte er nur das Fußende eines Bettes sehen.
»Komm nur herein«, sagte sie noch einmal.
Andy trat näher und wollte seinen Augen nicht trauen, als er den Kranken sah – es war Scottie.
»Donnerwetter!« Andys Staunen war begreiflich.
Scottie sah nicht sehr krank aus und war vollständig angezogen, obwohl er unter einer leichten Decke lag.
»Was ist denn mit Ihnen los, Scottie?«
»Ich habe eine böse Malaria mit allerhand Nebenerscheinungen«, erwiderte Scottie prompt.
»Was fehlt ihm?« wandte sich Andy an Stella.
Sie sah zu Scottie hinüber, dann schaute sie wieder Andy an.
»Ich muß es wohl sagen. Scottie hat sich verletzt und wollte zu keinem Arzt gehen. Ich bin ja Krankenpflegerin. Obwohl es eine schreckliche Wunde war, ist sie doch recht gut geheilt.«
Scottie nickte.
»Stimmt auffallend, Macleod. Bei allem Respekt vor Ihrer Kunst muß ich doch sagen, daß sie der einzige mir bekannte Mensch ist, der ein Wunder getan hat.«
»Sie haben sich also verletzt – doch nicht etwa an der Hand?«
Scottie nickte wieder.
»Vielleicht durch einen Schuß, den ein wütender Hausbesitzer abgab, in dessen Haus eingebrochen wurde?«
»Er hat schon wieder alles herausgebracht«, sagte Scottie ärgerlich. »Ich war zufällig im Park und lief ihm gerade in die Schußlinie.«