Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas Suchanek

Читать онлайн книгу.

Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik - Andreas Suchanek


Скачать книгу

      Johanna richtete ihren Blick auf die Weltkarte. Nur noch wenige Lichter waren außerhalb sicherer Häuser unterwegs. Jeder dieser winzigen Punkte stand für einen Kontaktstein. Chloe wünschte den Lichtkämpfern viel Glück. Den Essenzstab in der Hand verließ sie den Krisenraum und begab sich zum Turmzimmer. Die anderen warteten auf Antworten.

      2. Wo sind wir?

      »Toll«, murrte Alex. »Mein erster Portaldurchgang ohne Kotzen und prompt sind wir irgendwo im Nirwana gelandet. Ich mag diese Tore nicht.«

      Jen schmunzelte. Sie vergaß immer wieder, dass er ein Neuerweckter war. Ein Welpe, der unbedarft umhertapste, genau wie sie einst. Schlimmer noch. Zauber, Essenz, Sigile – das alles hatte ihr damals furchtbare Angst gemacht, da sie die zerstörerische Kraft dieser neuen Welt am eigenen Leib erfahren hatte. Das Erbe war in einem Moment höchster Not erwacht und sie hatte mit einem tödlichen Rundumschlag ihre Familie getötet. Die Erinnerung löste nur noch einen leichten Schmerz aus, ganz am Rand ihres Empfindens. Allerdings durfte sie nicht zu lange darüber nachdenken, sonst zwangen Schuldgefühle sie in den Würgegriff. »Du wirst dich daran gewöhnen.«

      Alex hielt seinen Essenzstab fest umklammert, den er erst vor wenigen Stunden erhalten hatte. »Wolltest du mich gerade wirklich mit einem Schuss erledigen?«

      »Da wusste ich ja auch nicht, dass du verspätet durch das Portal kommst. Es hätte auch ein Feind sein können, von der Schattenfrau hierhergeschickt. Bist halt immer etwas langsamer, stimmt’s?«

      »Lieber zu spät kommen als zu früh«, gab er zurück.

      Sie verdrehte die Augen. »Wieso rede ich überhaupt mit dir?«

      »Weil du deine Stimme so gerne hörst?«

      Ein kleiner Kraftschlag zwischen die Beine, das merkt niemand. Jen grinste bei dem Gedanken. »Meine Stimme klingt wie die eines Engels, wenn sie Angriffszauber formuliert. Willst du mal hören?«

      »Okay, du hast gewonnen«, streckte Alex die Waffen. »Schließlich bin ich nur ein unschuldiger Neuerweckter. Gegen eine große böse Magierin wie dich …«

      Ein Stein kullerte von der Decke und beendete die Neckerei. Während die kleinen Sticheleien sie bisher zur Weißglut gebracht hatten, verstand sie ihn nun besser. Das Unum, ein Verbindungszauber, der einen Gedankenaustausch zwischen zwei Magiern einleiten konnte, hatte dafür gesorgt, dass sie einander besser verstanden. »Wahrscheinlich werde ich ihn trotzdem irgendwann erwürgen«, murmelte sie leise.

      »Was hast du gesagt?«

      »Nichts.«

      Steinbrocken, die von den Wänden und der Decke herabgefallen waren, bedeckten den Boden. In der Luft lag der Geruch von Moder und Fäulnis, durchsetzt von aufgewirbeltem Sandstaub. Am Punkt der Portalmanifestation befand sich eine runde Steinplatte, in die jemand die notwendigen Machtsymbole eingeschlagen hatte.

      Jen schaute stirnrunzelnd auf die Arbeit. »Das sind sehr alte Worte. Hier, das ist die Verbindung mit dem gesamten Netzwerk, aber der Schlüssel ist schon ewig nicht mehr in Gebrauch.«

      Alex war ein Stück in den Gang gelaufen. »Alles versperrt.«

      »Ich weiß, immerhin versuche ich seit Stunden, aus diesem Loch herauszukommen.« Jen erhob sich. »Die Kontaktsteine funktionieren ebenfalls nicht.«

      Im Reflex griff er nach dem bernsteinfarbenen Artefakt, das an einem Lederband vor seiner Brust hing. »Seltsames Gefühl. Dumpf.«

      Sie nickte. »Normalerweise kannst du die anderen im Team ziemlich leicht erreichen, sogar Bilder oder Emotionen übertragen. Aber hier ist alles abgeriegelt. Da Entfernungen sonst keine Rolle spielen, muss es mit diesem Ort zu tun haben. Bevor du es versuchst, das Smartphone bekommt auch keine Verbindung.«

      »Hast du denn eine Ahnung, wo wir sein könnten?« Unruhig fuhr sich Alex durch das dunkle Haar. Den Essenzstab hielt er noch immer erhoben, doch in seinen Augen erkannte sie Müdigkeit.

      Seine Jeans und das Shirt waren verschlissen, der Kampf gegen die Schattenfrau hatte Spuren hinterlassen. Erst jetzt fiel ihr auf, dass seine Hand ein wenig zitterte. Ihr erging es ähnlich. Die Suche nach Nostradamus und der anschließende Kampf auf Leben und Tod gegen die Schattenfrau hatten sie ausgelaugt. »Wir müssen uns beeilen. Das Weib hat das Contego Maxima und will vermutlich den Folianten.«

      »Meinst du, Nostradamus hatte tatsächlich recht?«, fragte Alex. »Gibt es einen Verräter unter den Lichtkämpfern?«

      »Das ergäbe schon Sinn, nach allem, was uns in den letzten Wochen passiert ist. Auf jeden Fall müssen wir die anderen warnen«, erwiderte sie. »Zuerst aber sollten wir mal hier raus, dann kümmern wir uns um die nächste Hürde. Wie sagt Chloe immer so schön: Neues Problem? Hinten anstellen.«

      »Ich freue mich darauf, diese Chloe kennenzulernen.«

      Sei dir da nicht so sicher. »Ja, das wird toll.«

      Sie schob ihren Essenzstab in die Gürtelschlaufe. Hier war keine Verstärkung oder Materialeinwirkung notwendig. Mit dem rechten Zeigefinger malte sie Symbole in die Luft. Die Essenz blieb als leuchtende Magentaspur zurück, bis der Zauber vollendet war. Ein Flimmern legte sich über den Boden.

      »Was machst du?«, fragte Alex. »Das sah aus wie eine Rekonstruktion.«

      Jen wusste, dass er bisher nur wenige Vorlesungen besucht hatte, das Wissen, das er von Mark geerbt hatte, ließ schnell nach. Wenn er nicht mit einer Vertiefung begann, würde er bald nicht einmal mehr einfachste Zauber interpretieren können. Erinnerungserbe zu sein, war eine tückische Sache. »Das war auch eine. Normalerweise kann ich damit prüfen, wer das Portal als Letzter durchschritten hat. Vor unserem Eintreffen, meine ich.« Auf der Steinplatte erschien eine diffuse Kontur. Jen ging näher heran, betrachtete sie mit zusammengekniffenen Augen von oben bis unten. »Das sollte eigentlich viel klarer sein.«

      »Noch ein Mysterium.«

      »Nicht wirklich. Die letzte Passage liegt wohl sehr lange zurück«, erklärte sie. »Das Echo ist nicht mehr greifbar. Was das hier auch für ein Ort ist, er ist verdammt alt.«

      »Aber warum können wir dann keinen Kontakt mit dem Castillo herstellen?«

      »Frag mich was Leichteres. Vermutlich ein Artefakt oder ein sich selbst erhaltender Zauber.«

      »So etwas gibt es?«

      »Ja und Nein.« Jen ging auf den verschütteten Ausgang zu. »Meist handelt es sich um eine Symbiose zwischen Artefakt und Zauber. Beides erhält sich gegenseitig. Aber das gibt es heute kaum noch. Seit …«

      »… lass mich raten«, unterbrach Alex: »Seit der Wall errichtet wurde.«

      Jen nickte. Sie betastete konzentriert die Steine, die den Ausgang verbargen.

      »Mal ehrlich, da kann man den Ärger der Schattenkrieger verstehen.« Er trat neben sie. »Da sind plötzlich von einem auf den anderen Tag alle Spielsachen unbrauchbar.«

      »Ich glaube, ich habe eine Idee, wie wir hier herauskommen.« Sie hatte mehrfach versucht, das Portal erneut zu manifestieren, bevor Alex eingetroffen war. Keine Chance. »Um dich vor dem Bund des Sehenden Auges zu retten, sind Kevin und ich durch feste Materie geflogen.«

      Er schaute beeindruckt zu ihr herüber. »Ich liebe Magie.«

      Jen zeichnete mit dem Essenzstab Worte der Macht auf den Stein. Die Oberfläche waberte. »Streck mal deine Hand dort rein.«

      Alex kam der Aufforderung nach. Seine Rechte glitt problemlos in das substanzlos gewordene Hindernis. »Das ist unglaublich.«

      »Tss, es funktioniert tatsächlich. Warte mal kurz, falls der Zauber nicht hält, wird alles gleich wieder fest.«

      »Was?!« Blitzschnell zog er die Hand zurück.

      »Nur ein Scherz.« Das tat


Скачать книгу