Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas Suchanek
Читать онлайн книгу.Chris verließ Bibliotheks-Girl den Raum. Eigentlich hätte Chloe Max lieber bei Kevin geparkt und sich alleine um die Klinge gekümmert. Falls sie die Kreatur fand, hätte sie es in einem schnellen Kampf zu Ende gebracht. Doch das kam nicht infrage. Zu gefährlich war die Situation geworden, zu unvorhersehbar. Sie vertraute ihren eigenen Teamkameraden, aber letztlich konnte der Wechselbalg jeden imitieren.
»Pass auf dich auf, Kev«, sagte Max.
Beide verabschiedeten sich mit einem Nicken.
Chloe richtete ihre Gedanken auf die vor ihnen liegende Aufgabe. Bisher hatte der Suchzauber stets funktioniert, sobald der Wechselbalg die Klinge einsetzte. Leider war es dann schon zu spät. Sie mussten das Versteck des Artefakts finden. Das offenbarte vermutlich auch die Identität des Originals, immerhin war es nur logisch, dass die Kreatur etwas so Wertvolles in der Nähe versteckte.
Dass die Klinge bei Chris gefunden worden war, ergab im Nachhinein ebenfalls Sinn. Damit war der Verdacht auf ihn gelenkt worden. Andererseits verstand Chloe nicht, weshalb die Kreatur kurz darauf bei den Ordnungsmagiern zugeschlagen hatte. So hatte sie den Plan selbst zunichtegemacht. Andererseits hatte sie dadurch die Klinge wieder an sich bringen können, um Leonardo zu attackieren. Einen Unsterblichen auszuschalten besaß wohl hohe Priorität.
»Was ist los?«, fragte Max. »Du siehst aus, als explodiere gleich dein Schädel.«
Sie lächelte müde. »Tut er auch. Das alles ist so verworren. Wenn das so weitergeht, werde ich noch paranoid.«
Kevin blieb im Turmzimmer zurück, während sie gemeinsam zum Raum mit den Suchgloben gingen.
»Wir alle.« Max fuhr sich fahrig durch die dunklen, schulterlangen Haare, die sich nie vollständig bändigen ließen. »Ich überlege die ganze Zeit, wer sich auffällig verhalten oder etwas Falsches getan oder gesagt hat. Aber mir fällt niemand ein. Vielleicht ist es Eliot.«
»Hat er sich auffällig verhalten?«
»Hm? Oh, nein. Er ist nur ein Idiot.« Max grinste halb böse, halb neckend. »Allerdings wünsche ich so was nicht mal ihm. Aber weißt du, mir ist noch etwas eingefallen.«
»Ja?«
»Wenn wir die Suchgloben benutzen, können wir dann nicht einfach nach dem Aufenthaltsort eines Lichtkämpfers suchen?«, fragte er. »Und wenn derjenige kopiert wurde, müsste er dann nicht zweimal auftauchen. Einmal das Original und einmal die Kopie? Können die Globen das unterscheiden?«
Chloe blieb stehen und starrte Max überrascht an. »Das ist eine gute Idee. Keine Ahnung, ob die Dinger den Unterschied zwischen Kopie und Original erkennen, aber das spielt keine Rolle. Wir nutzen die Überwacher.« Sie deutete in die Höhe, wo seit wenigen Stunden Kugeln umherflogen. Wie Überwachungskameras präsentierten sie alles in ihrer Umgebung. »Die Globen zeigen uns den Aufenthaltsort und wir bestätigen ihn visuell. Falls sie uns also nur das Original zeigen, würde der Überwacher die Kopie finden. Aber ich glaube eher, dass wir jemanden doppelt sehen werden. Vorausgesetzt, das Original ist nicht ebenso maskiert, wie es die Klinge gewesen ist. Aber egal, lass es uns versuchen.«
Mit neu erwachtem Elan rannten sie zu den Suchgloben.
14. Die Tragödie
Das plötzliche Licht ließ erneut Schmerz hinter seiner Stirn explodieren. Jens Stimme erklang, sie murmelte ein Wort. Die Linderung kam wie eine Welle kühlen Wassers, das sich über ihn ergoss. Er blinzelte. »Das war hoffentlich ein Traum.«
Neben dem Tisch, auf dem er lag, stand eine kleine, runde Frau, die eine Bratpfanne in Händen hielt. Er schoss in die Höhe, sprang zu Boden, taumelte – da ihm schwindelig wurde – und krachte gegen ein Regal, in dem allerlei Töpfe und Schüsseln aufgereiht waren.
»Darf ich vorstellen, Tilda.« Jen deutete auf das Bratpfannenweib. »Wir konnten das Missverständnis aus der Welt schaffen.«
»Missverständnis?!« Er betastete seine Stirn, wo normalerweise eine Beule hätte prangen müssen. Vermutlich hatte Jen sie einfach verschwinden lassen.
Tilda grinste verschmitzt. »Ich dachte, ihr wärt Schattenkrieger. Man hat mir mal gesagt, der effektivste Weg, gegen Magier vorzugehen, ist es, die Essenzstäbe zu verbrennen. Dann sind sie völlig verwirrt und man kann sie erledigen.« Sie schwang die Pfanne erneut wie einen Tennisschläger.
Alex starrte sie mit offenem Mund an.
»Ja, Kent, sie ist echt«, kam es prompt von Jen. Sie reichte ihm seinen Essenzstab, den er dankbar entgegennahm. »Glücklicherweise kamen wir gerade noch rechtzeitig.«
»Gutes Feuerholz.« Tilda deutete auf die Stäbe.
»Du bist keine Magierin?«, fragte Jen, was Alex verdeutlichte, dass die beiden bisher nur über das Nötigste gesprochen hatten.
Die Frau blickte düster drein. »Ich bin essenzlos.«
»Aha.« Er schaute zwischen Jen und Tilda hin und her. »Was heißt das?«
»Er ist ein Neuerweckter«, erklärte Jen auf den fragenden Blick der anderen Frau. »Essenzlose Erben kommen, soweit ich weiß, nur extrem selten vor. Dabei erhält ein Magier zwar ein Sigil, doch dieses produziert keine Essenz.«
Tilda nickte, den Mund zu einem Strich zusammengepresst. »Netterweise gestattete mir Tomoe, hier als Köchin tätig zu sein.«
»Kochen!«, rief Jen. Sie schaute zu Alex. »Ist das dein Hobby?«
»Nein«, erwiderte er.
»Mist.«
»Ihr beiden seid seltsam«, kommentierte Tilda. »Wie kommt ihr überhaupt hierher? Ich dachte, das Castillo kann nicht betreten werden.«
»Tja, das war mehr eine Art Unfall.« Alex trat zu Jen, hielt jedoch einen Sicherheitsabstand zur Kampf-Köchin. »Jemand wollte uns erledigen, hat aber ›nur‹ das Portal umgeleitet.« Ihm kam ein Gedanke. »Bist du unsterblich?«
Tilda schüttelte den Kopf. »Nein. Doch solange der Schleier über dem Castillo liegt, altert ein Magier hier nicht.«
Ein weiteres Rätsel in der langen Reihe.
»Okay, was genau ist hier eigentlich passiert?«, fragte Jen.
Tilda legte die Pfanne beiseite. Sie deutete auf die dicht beschriebenen Pergamentseiten, die neben dem Herd lagen. »Vielleicht solltet ihr es einfach selbst lesen.«
Alex schnappte sich die Bögen und rollte sie säuberlich aus. Mit Jen, die die Kante der Ablage fest umklammerte – ihr war wohl erneut schwindelig –, begann er über die Zeilen zu fliegen.
Mein Herz pocht vor Euphorie. Ich habe recht behalten. Vor Wochen schon sprach Joshua seine Warnung aus, doch sie verhallte ungehört. Zu nah war die Erfüllung, alle Augen richteten sich auf das Vorhaben in Alicante. Der Tag der Erschaffung wird sogleich als dunkelster in unsere Geschichte eingehen. Der Wall ist entstanden, aber bezahlt wurde er mit vielen Leben. Der Verräter – mein Herz wird schwer bei dem Gedanken an jenen, den ich einst als Freund betrachtete – führte sie an. Wir erfuhren davon über die Kontaktsteine.
Zur Hilfe eilen vermochten wir nicht, standen doch auch vor unseren Zinnen die Schattenkrieger. Angeführt von Dschingis Khan höchstselbst, bereiteten sie den Sturm vor. Schon Tage zuvor ging Tomoe nach Alicante, begann die Überführung der Artefakte, Schriften und Kämpfer. Nur einige Wenige verweilten in diesen Hallen. Bei dem Gedanken an das feiste Grinsen des Khans gerät mein Blut noch heute in Wallung.
Gerne hätte ich sein Gesicht gesehen, als er der Schmach gewahr wurde. Denn ich war vorbereitet. Durch Joshuas Warnung – mein Dank ist dir auf ewig gewiss, Freund – konnte ich den Schutzzauber weben und mit einem der letzten Artefakte verbinden. Ein Schleier schützt nun dieses mein Zuhause. Er speist sich aus unseren Sigilen. Nach meinen ursprünglichen Berechnungen hätten wir den Schutz noch weitere Wochen aufrechterhalten können. In dieser Zeit ist