Anne & Rilla - Der Weg ins Glück. Lucy Maud Montgomery

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Anne & Rilla - Der Weg ins Glück - Lucy Maud Montgomery


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ich muß mich doch sehr über dich wundern“, sagte Gilbert und schnitt eine Grimasse. „Was sind denn das für Sitten? Ihm das Fell über die Ohren zu ziehen ist ja in Ordnung, aber doch nicht versohlen!“

      „Wenn er früher öfter mal eine Tracht Prügel bekommen hätte, dann wäre er jetzt vernünftiger“, verteidigte sich Susan. „Aber Prinzen werden wahrscheinlich nie versohlt, zu dumm aber auch. Wie ich hier lese, haben die Alliierten ihm ein Ultimatum gestellt. Na, da gehört aber mehr dazu als ein Ultimatum, wenn die einer Schlange wie Konstantin beikommen wollen. Vielleicht kommt er ja durch die Blockade der Alliierten zur Vernunft. Aber das wird wohl eine Weile dauern bis dahin, und was soll inzwischen aus dem armen Serbien werden?“

      Sie sahen nur allzu deutlich, was aus Serbien wurde, und in dieser Zeit war Susan unausstehlich. Sie ließ ihre Wut an allem und jedem aus, mit Ausnahme von Kitchener, und schimpfte wie ein Rohrspatz über den armen Präsidenten Wilson.

      „Wenn der seine Pflicht getan und bei dem Krieg schon viel früher mitgemacht hätte, dann hätten wir jetzt nicht diesen Schlamassel in Serbien“, erklärte sie.

      „Das wäre eine viel zu ernste Sache, ein so großes Land wie die Vereinigten Staaten mit einer so gemischten Bevölkerung in den Krieg zu treiben, Susan“, sagte Gilbert, der hin und wieder den Präsidenten in Schutz nahm, aber nicht etwa, weil er fand, Wilson hätte das verdient, sondern weil er Susan ganz einfach gern neckte.

      „Kann sein, lieber Doktor, kann sein! Aber das erinnert mich an diese alte Geschichte von dem Mädchen, das seiner Großmutter erzählt, daß es heiraten will. ‚Aber verheiratet zu sein ist eine ernste Sache‘, sagte die alte Dame. – ‚Ja, aber es ist noch ernster, nicht verheiratet zu sein‘, sagte das Mädchen. Das kann ich bezeugen, aus eigener Erfahrung, lieber Doktor. Und deswegen denke ich, es ist für die Yankees schlimmer, daß sie sich aus dem Krieg herausgehalten haben, als wenn sie mitgemacht hätten. Wie auch immer, ich weiß zwar nicht viel über sie, aber ich glaube, daß die schon noch was in Bewegung setzen, Woodrow Wilson hin und Woodrow Wilson her. Die werden schon noch merken, daß dieser Krieg nichts mit Fernunterricht zu tun hat. Dann“, rief Susan und fuchtelte dabei energisch mit der Pfanne in der einen und der Schöpfkelle in der anderen Hand herum, ‚dann werden die nicht mehr zu stolz sein zum Kämpfen.“

      Es war ein fahler, stürmischer Oktobertag, als Carl Meredith fortging. Er hatte sich an seinem achtzehnten Geburtstag in die Liste der Freiwilligen eingetragen. John Meredith verabschiedete sich von ihm mit gefaßtem Blick. Jetzt waren seine beiden Jungen fort – nur der kleine Bruce blieb ihm noch. Er liebte Bruce und Bruces Mutter von ganzem Herzen; aber Jerry und Carl waren die Söhne seiner Braut aus jungen Jahren, und Carl war das einzige von seinen Kindern, das genau dieselben Augen hatte wie Cecilia. Wie Carl so dastand in seiner Uniform und ihn so liebevoll aus diesen Augen anschaute, da mußte der Pfarrer plötzlich daran denken, wie er Carl einmal beinahe verhauen hätte wegen seines Streichs mit dem Aal. Damals war ihm zum erstenmal aufgefallen, wie ähnlich Carl seiner Mutter war. Jetzt bemerkte er es wieder. Würde er die Augen seiner verstorbenen Frau, die ihn aus dem Gesicht seines Sohnes anschauten, jemals wiedersehen? Was für ein hübscher, stattlicher junger Mann er war! Es war schwer, ihn gehen zu lassen. In seiner Vorstellung sah John Meredith ein aufgewühltes Feld, übersät mit den Leichen der „wehrfähigen Männer zwischen achtzehn und fünfundvierzig“. Dabei war es noch gar nicht lange her, daß Carl ein kleiner Junge gewesen war, der im Regenbogental Käfer fing, Eidechsen mit ins Bett nahm und ganz Glen in Aufruhr versetzte, weil er Frösche in die Sonntagsschule mitbrachte. Irgendwie war es nicht richtig, daß er jetzt plötzlich ein wehrfähiger Mann in Uniform sein sollte. Und doch hatte John Meredith mit keinem Wort versucht, ihn umzustimmen, als Carl ihm sagte, daß er gehen müsse.

      Rilla litt sehr darunter, daß Carl ging. Sie waren immer so gute Freunde und Spielkameraden gewesen. Er war nur wenig älter als sie, und sie hatten als Kinder im Regenbogental miteinander gespielt. Sie mußte an all ihre gemeinsam ausgeheckten Streiche und Dummheiten denken, während sie langsam nach Hause ging. Zwischen den vorüberjagenden Wolken blitzte unheimlich der Vollmond auf, die Telefondrähte summten im Wind, und die großen Ähren der verwelkten Goldrute in den Zaunwinkeln verbeugten sich stürmisch vor ihr wie alte Hexen, die ihr Verwünschungen zuriefen. An solchen Abenden kam Carl früher nach Ingleside herüber und pfiff draußen am Tor nach ihr.

      „Komm, wir machen einen Mondbummel, Rilla“, sagte er dann, und schon zogen sie zusammen los zum Regenbogental. Rilla hatte sich nie vor seinen Käfern und Wanzen gefürchtet; von Schlangen allerdings wollte sie nichts wissen. Sie konnten über fast alles miteinander reden und wurden in der Schule deshalb schon geneckt.

      Eines Abends – sie waren ungefähr zehn Jahre alt – trafen sie sich bei der Quelle im Regenbogental und gelobten einander feierlich, daß sie einander niemals heiraten würden. An jenem Tag hatte nämlich Alice Clow in der Schule ihre Namen auf ihrer Tafel „ausgekreuzt“, und dabei kam heraus, daß sie „einander heiraten“ würden. Die Vorstellung gefiel ihnen überhaupt nicht, und so kam es zu dem Eid im Regenbogental. Besser, man sorgte rechtzeitig vor. Rilla mußte lachen, als ihr das wieder einfiel, dann seufzte sie. Gerade heute stand in einem Extrablatt aus London die erfreuliche Mitteilung, daß dies „der finsterste Tag seit dem Ausbruch des Krieges“ sei. Finsterer hätte er wirklich kaum sein können.

      Wenn Rilla wenigstens etwas anderes hätte tun können als warten und sich zu Hause nützlich machen! Es verging kein Tag, an dem nicht irgendein Junge aus Glen fortging. Wenn sie doch ein Junge sein könnte, dann würde sie in Uniform an Carls Seite an die Westfront eilen! Schon als Jem ging, hatte sie sich das im Überschwang der Gefühle gewünscht, aber ohne es wirklich zu wollen. Jetzt wollte sie es. Manchmal war es einfach unerträglich, bequem und sicher zu Hause zu sitzen und abzuwarten.

      Der Mond trat triumphierend hinter einer besonders dunklen Wolke hervor, und Silberglanz und Schatten jagten einander wie Wellen am Himmel über Glen. Rilla mußte daran denken, wie sie einmal als Kind an einem Mondscheinabend zu ihrer Mutter gesagt hatte: „Der Mond sieht aus wie ein ganz, ganz trauriges Gesicht.“ Genauso sah er jetzt aus – ein gequältes, gramerfülltes Gesicht, das auf lauter schreckliche Dinge herabsah. Was er wohl an der Westfront sah? Im zerstörten Serbien? Im Kugelhagel von Gallipoli?

      „Ich habe es satt“, hatte Miss Oliver am selben Tag voller Ungeduld gesagt. „Es ist so entsetzlich nervenaufreibend, wenn täglich neue Schreckensmeldungen kommen oder wir damit rechnen müssen. Nein, sehen Sie mich nicht so vorwurfsvoll an, Mrs. Blythe. Ich habe heute gar nichts Heldenhaftes an mir. Ich habe einfach keinen Mut mehr. Ich wünschte, England hätte Belgien seinem Schicksal überlassen – ich wünschte, Kanada hätte nie einen Mann losgeschickt – ich wünschte, wir hätten unsere Jungen an unseren Schürzenbändern festgebunden und keinen einzigen fortgelassen. Oh, bestimmt schäme ich mich in einer halben Stunde dafür, aber jetzt meine ich jedes Wort ernst. Werden denn die Alliierten niemals zuschlagen?“

      „Geduld ist wie ein müder Gaul, aber er trottet immer noch weiter“, sagte Susan.

      „Während die Schlachtrösser des Armageddon herbeitosen und über unsere Herzen hinwegtrampeln“ ‚erwiderte Miss Oliver. „Serbien wird erstickt, und die Alliierten an der Westfront scheinen zu nichts anderem fähig zu sein, als jeden Tag ein paar Meter Stoff für diese elenden Grabenmäntel zu kaufen. Susan, sag mir, hast du nie das Gefühl, schreien zu müssen oder zu fluchen oder etwas zu zertrümmern, einfach weil du diese Tortur nicht mehr ertragen kannst?“

      „Geflucht habe ich noch nie, liebe Miss Oliver, aber ich gebe zu“, sagte Susan und holte tief Luft vor ihrem Geständnis, „daß es vorgekommen ist, daß ich zu meiner Erleichterung die Tür zugeknallt habe.“

      „Aber meinst du nicht, daß das genauso ist wie fluchen, Susan? Was ist denn der Unterschied, ob ich nun eine Tür mit aller Gewalt zuschlage oder ob ich sage ‚verda‘ …,“

      „Liebe Miss Oliver“, fiel Susan ihr ins Wort, ehe diese womöglich völlig aus der Fassung geriet, „Sie sind einfach übermüdet und abgespannt. Kein Wunder, wenn man tagtäglich so eine wilde Horde Kinder unterrichten muß und dann zu Hause die schlimmen Kriegsnachrichten erfährt. So, und jetzt gehen Sie nach oben und ruhen sich aus, und ich bringe Ihnen eine Tasse heißen


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