Kindheit, Jugend und Krieg. Theodor Fontane

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Kindheit, Jugend und Krieg - Theodor Fontane


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mir die gewöhnlichste Prosa des Lebens wieder vor Augen. Mein jüngerer Bruder, gutmütig wie er war, nahm immer eine Bierkruke mit aufgelöstem und furchtbar schäumendem Lakritzensaft mit, was meine »Störtebeckerschen«, die sich davon einschenken ließen, »Met« nannten. Zugleich waren meines Bruders Taschen mit einer Unmenge von wurmstichigem Johannisbrot gefüllt, um das man sich mit einer allerdings halben Räuberenergie balgte. Mir widerstand das alles, und ich trank Quellwasser, das ich mit der flachen Hand schöpfte.

      So ging es in der »Räuberkule« zu. Mir persönlich, so gruselig die Kule war, war übrigens ein etwas näher gelegener Platz fast noch mehr ans Herz gewachsen; das war eine Waldlichtung, auf halbem Weg nach Kamminke, dieselbe Stelle, die schon im Sommer 27, an ebendem Tage, wo wir unsere Einfahrt in Swinemünde hielten, einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht hatte. Von rechts her lief hier ein Wässerchen, das aus den benachbarten Torfgräbereien kam, quer über den Weg hin, und Bohlen und Holzstämme mit einer von Flechten überzogenen und ziemlich unsicheren Anlehne bildeten eine Brücke darüber. Von derselben rechten Seite her, weil die Brücke hier wenig Abfluß gönnte, staute sich dann auch das Moorwasser und schuf eine von Binsen eingefaßte Lanke, drauf gelbe und weiße Teichrosen schwammen. An der der Stadt zu gelegenen Brückenseite, da, wo das mit Kiennadeln übersäte Ufer ein wenig anstieg, ließ ich meine Truppe mit Vorliebe lagern und erging mich, Mal auf Mal, in der entzückenden Vorstellung, daß ich der Verteidiger dieses Brückenüberganges oder, was mir noch besser klang, dieses »Defilees« sei. Wie die Verteidigung zu machen sei, war mir ganz klar: Abtragen der Bohlen, Auftürmen der Stämme zu einem Verhau und dann überdeckte Löcher oder Wolfsgruben, in die der Feind stürzen mußte, selbst wenn er das Verhau genommen, was doch immer noch fraglich. Aber inmitten dieser Siegesvorstellung überkam mich plötzlich wieder eine furchtbare Angst; mein Vertrauen zu mir selber war freilich unbegrenzt, ich konnte nur sterben, und sterben war süß – aber meine Truppe! Fritz Ehrlich war ein Heldenjunge, sonst aber war alles foosch. Da lagen sie wieder mit einem Süßholzstengel zwischen den Zähnen, und kein einziger unter ihnen, den einen Genannten abgerechnet, der den Moment begriffen oder von Disziplin eine Ahnung gehabt hätte. »Thompson«, rief ich, »hole mir die weiße Mummel da!« – »Hol sie dir selber«, und dabei lachte der freche Junge. Und mit solchem Material wollt ich das Defilee halten! Ich ließ den Hornisten zum Antreten blasen und konnte von Glück sagen, daß er gehorchte. Trommler und Hornist gehorchten übrigens immer, weil es ihnen Spaß machte. Ja, Spaß, Spaß, das war es. Von ernsterem Erfassen unserer Aufgabe keine Spur. Und in dem Gefühl, wieder einen großen Moment versäumt zu haben, trat ich mit meiner Truppe den Rückzug an. Sie hatte sich sichtlich verschlechtert. Als Hastaten waren sie besser gewesen. Das kommt bei Reformen heraus.

      Ärgerliche Betrachtungen wie diese kamen mir häufig. Im ganzen aber war das Frühjahr 31, eben meine »Fristzeit«, doch eine glückliche Zeit für mich und blieb es bis in den Sommer hinein. Inmitten der mir immer wiederkehrenden Zweifel bestand doch die Tatsache fort, daß wir nun schon seit Monaten die Straße beherrschten und weder in der Stadt bei unsern gewöhnlichen Spielen noch draußen auf unsern Lagerplätzen einem Angriff von seiten unserer Gegner ausgesetzt gewesen waren. All das gab mir, meinen Beängstigungen zum Trotz, doch auch wieder ein bestimmtes Maß von Vertrauen zurück. Ich sagte mir: »Ja, die Truppe ist schlecht, es sind lauter Ausreißer, und Fritz Ehrlich und ich können die Sache nicht allein machen; aber, wenn die Truppe schlecht ist, die Führung ist desto besser, und weil unsre Feinde das fühlen, haben sie Respekt und gönnen uns Frieden.« Ja, sie gönnten uns Frieden, wirklich. Aber, wie sich bald zeigen sollte, die Ruhe, die wir hatten, war die Ruhe vor dem Sturm. Unsere ganze Stadt- und Straßenherrschaft hatte von Anfang an auf dem Ansehen unserer Eltern beruht, die man in ihren Kindern nicht beleidigen wollte. Das meiste, wenn nicht alles, war Vorteilserwägung und Rücksichtnahme gewesen, wozu die meist im Dienst der Reeder und Kaufleute stehenden Schiffer und Hafenarbeiter ihre anfänglich bloß an Zahl, aber neuerdings auch an Kraft uns weit überlegenen Jungens ermahnt haben mochten.

      Eine lange Zeit war es so gegangen, und man hielt sich, wenn auch widerstrebend, auch jetzt noch zurück. Als aber eines Tages einige der Allerkleinsten und Schwächlichsten meiner Truppe, die natürlich, solange sie sich sicher wußten, auch immer die Herausforderndsten waren, sich wieder mal allerlei Neckereien erlaubt hatten, brach die Revolution aus. Man wollte unsre Herrschaft brechen, uns einen Denkzettel geben. Ich habe die Nachmittagstunde, wo sich dies ereignete, noch deutlich vor mir. Wir spielten um die Kirche herum, und ich meinerseits stand eben auf einem auf zwei hohen Sägeböcken liegenden und von beiden Seiten her schon mit Eisenkrammen eingespannten Baumstamm, als ich mit einem Male sehen mußte, daß zwei der Meinigen, die grad über den etliche hundert Schritt entfernten Markplatz gingen, beim Kragen gepackt und von einem bildhübschen Jungen, der Erich Munk hieß, erst übergelegt und dann abgestraft wurden. Ein anderer Junge, Freund Erich Munks, stand daneben und lachte. Die beiden Abgestraften schrien furchtbar, und wiewohl es mir sicher war, daß sie wegen ihres hochmütigen und hämischen Wesens das Übergelegtwerden vollkommen verdient hätten, so gebot doch der Korpsgeist, die kleinen Neckebolde nicht im Stich zu lassen. Ich sprang also von dem Sägebock herunter und lief, von etlichen Mitspielenden gefolgt, auf die Kampfesstelle zu, natürlich in der Absicht, den Munk zu packen. Dieser aber, der stark und mutig war, wich mir, offenbar nach einem Plane, den er sich gemacht harre, vorsichtig aus, ja, floh geradezu, so daß mir nichts übrigblieb, als den andern Jungen, der nur zugesehen hatte, zu fassen und niederzuwerfen. Aber nun erschien auch Erich Munk wieder und warf sich mit aller Kraft auf mich, um mich von seinem Freunde loszukriegen, was ihm jedoch nicht glückte, weil ihn die fünf, sechs Jungen, die mir vom Kirchplatz her gefolgt waren, an Armen und Beinen immer wieder von mir wegzerrten. Dabei zerrissen sie ihm die Jacke, was nun die Wut des Jungen aufs höchste steigerte. Er zog jetzt einen rostigen, unten abgebrochenen und dadurch zahnig gewordenen Nagel aus der Tasche, jagte damit die kleine Meute in die Flucht, und nun aufs neue über mich herfallend, stieß er mir den Nagel in den Oberarm. Ich habe noch die Narbe. Da ließ ich nun das unter mir liegende Opfer los, kam in ein Ringen mit Munk und entriß ihm schließlich auch den Nagel, mit dem ich mich nun vor ihn hinstellte, wie wenn ich sagen wollte: »Ich könnte dich jetzt morden, ich will aber nicht.« Dann lachten wir uns gegenseitig verächtlich an und gingen langsam unseres Weges. Eigentlich war ich Sieger geblieben, beide Feinde hatten an der Erde gelegen, und den großen rostigen Nagel, auf den ich nicht wenig stolz war, nahm ich mit nach Hause, wo mein Arm mit Arkebusade gewaschen wurde, was sehr brannte. Ja, ich hatte gesiegt. Aber trotzdem, ich konnte der Sache nicht froh werden und empfand deutlich, daß unserer Herrschaft Tage gezählt seien. Ich sah ganz klar, und die nächsten Tage bestätigten es, daß man auf seiten unserer Gegner willens geworden war, uns ihre Überlegenheit endlich fühlbar zu machen. Es kam nicht eigentlich zu Angriffen, aber wenn wir mit ihnen zusammentrafen, so waren immer ein paar der großen, schon mit auf See gewesenen Jungen zwischen ihnen, die nun beim Vorübergehen ihre schottischen Mützen abnahmen und uns furchtbar tief grüßten. Kein Zweifel, sie wollten uns verhöhnen. Mir wurde unheimlich dabei, und ich dachte an Abrüstung. Aber wie war das zu machen? Und wenn abgerüstet war, war dadurch meine Lage gebessert?

      Das letzte Halbjahr

       Inhaltsverzeichnis

      Inzwischen war der Herbst herangekommen, ohne daß sich mein Gemüt in der Zwischenzeit sonderlich beruhigt hätte. Wohl hatte ich Stunden, in denen ichs leichter nahm, aber die Furcht kam immer wieder, und da sich Waffenniederlegung und ähnlich Mutloses nicht empfahl, weil es mir den ersehnten Straßenfrieden doch nicht eingetragen haben würde, so war ich wider meinen Willen gezwungen, mich mit neuen Plänen zu beschäftigen, um in ihnen vielleicht Hilfe zu finden. Ich sann hin und her und fand schließlich zu meiner Beschämung, daß ich, wenn ich mich halten wollte, gezwungen sein würde, die Fortdauer meiner Herrschaft in einer außerhalb meiner Truppe liegenden Hilfsmacht zu suchen, also nach dem Beispiele meiner proletarischen Feinde zu verfahren, die ganz ersichtlich begonnen hatten, sich auf die großen Schiffsjungen mit ihren rotweißblau geränderten Matrosenmützen zu stützen. Ich ging diesem Gedanken eine ganze Weile nach, und weil mir solch Kraftmaterial in meinem Schul- und Freundeskreise nicht zuwuchs, so half nur eines: Anwerbung, Gründung eines Söldnerheers. Das erforderte natürlich Geld. Aber


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