Arthur Schopenhauer: Ausgewählte Beiträge zur Geschichte der Philosophie. Артур Шопенгауэр
Читать онлайн книгу.also ein Denken, welches allen Stoff aus sich selbst nähme. Die Bemühungen und Kontroverse über diesen Punkt findet man im Pomponatius, de immortalitate animi, zusammengestellt, da dieser eben sein Hauptargument daher nimmt. — Dem besagten Erforderniß zu genügen sollten nun die Universalia und die Erkenntnisse a priori, als aeternae veritates aufgefaßt, dienen. Welche Ausführung die Sache sodann durch Kartesius und seine Schule erhalten hat, habe ich bereits dargelegt in der dem §. 6 meiner Preisschrift über die Grundlage der Moral beigefügten ausführlichen Anmerkung, in welcher ich auch die lesenswerthen eigenen Worte des Kartesianers de la Forge beigebracht habe. Denn gerade die falschen Lehren jedes Philosophen findet man, in der Regel, am deutlichsten von seinen Schülern ausgedrückt; weil diese nicht, wie wohl der Meister selbst, bemüht sind, diejenigen Seiten seines Systems, welche die Schwäche desselben verrathen könnten, möglichst dunkel zu halten; da sie noch kein Arg daraus haben. Spinoza nun aber stellte bereits dem ganzen Kartesianischen Dualismus seine Lehre Substantia cogitans et substantia extensa una eademque est substantia, quae jam sub hoc, jam sub illo attibuto comprehenditur entgegen, und zeigte dadurch seine große Ueberlegenheit. Leibnitz hingegen blieb fein artig auf dem Wege des Kartesius und der Orthodoxie. Dies aber eben rief sodann das der Philosophie so überaus heilsame Streben des vortrefflichen Locke hervor, als welcher endlich auf Untersuchung des Ursprungs der Begriffe drang und den Satz no innate ideas (keine angeborne Begriffe), nachdem er ihn ausführlich dargethan, zur Grundlage seiner Philosophie machte. Die Franzosen, für welche seine Philosophie durch Condillac bearbeitet wurde, gingen, wiewohl aus demselben Grunde, in der Sache bald zu weit, indem sie den Satz penser est sentir aufstellten und ihn urgirten. Schlechthin genommen ist dieser Satz falsch: jedoch liegt das Wahre darin, daß jedes Denken theils dass Empfinden, als Ingrediens der Anschauung, die ihm seinen Stoff liefert, voraussetzt, theils selbst, eben sowohl wie das Empfinden, durch körperliche Organe bedingt ist; nämlich wie dieses durch die Sinnennerven, so jenes durch das Gehirn, und Beides ist Nerventhätigkeit. Nun aber hielt auch die französische Schule jenen Satz nicht seiner selbst wegen so fest, sondern ebenfalls in metaphysischer, und zwar materialistischer, Absicht; eben wie die Platonisch-Kartesianisch-Leibnitzischen Gegner den falschen Satz, daß die allein richtige Erkenntniß der Dinge im reinen Denken bestehe, auch nur in metaphysischer Absicht festgehalten hatten, um daraus die Immaterialität der Seele zu beweisen. — Kant allein führt zur Wahrheit auf diesen beiden Irrwegen und aus einem Streit, in welchem beide Parteien eigentlich nicht redlich verfahren; da sie Dianoiologie vorgeben, aber auf Metaphysik gerichtet sind und deshalb die Dianoiologie verfälschen. Kant also sagt: allerdings giebt es reine Vernunfterkenntniß, d. h. Erkenntnisse a priori, die aller Erfahrung vorhergängig sind, folglich auch ein Denken, das seinen Stoff keiner durch die Sinne vermittelten Erkenntniß verdankt: aber eben diese Erkenntniß a priori, obwohl nicht aus der Erfahrung geschöpft, hat doch nur zum Behuf der Erfahrung Werth und Gültigkeit: denn sie ist nichts Anderes als das Innewerden unsers eigenen Erkenntnißapparats und seiner Einrichtung (Gehirnfunktion), oder wie Kant es ausdrückt, die Form des erkennenden Bewußtseins selbst, die ihren Stoff allererst durch die, mittelst der Sinnesempfindung hinzukommende empirische Erkenntniß erhält, ohne diese aber leer und unnütz ist. Dieserhalb eben nennt sich seine Philosophie die Kritik der reinen Vernunft. Hiedurch nun fällt alle jene metaphysische Psychologie und fällt mit ihr alle reine Seelenthätigkeit des Platon. Denn wir sehen, daß die Erkenntniß, ohne die Anschauung, welche der Leib vermittelt, keinen Stoff hat, daß mithin das Erkennende, als solches, ohne Voraussetzung des Leibes, nichts ist, als eine leere Form; noch zu geschweigen, daß jedes Denken eine physiologische Funktion des Gehirns ist, eben wie das Verdauen eine des Magens.
Wenn nun demnach Platons Anweisung, das Erkennen abzuziehen und rein zu halten von aller Gemeinschaft mit dem Leibe, den Sinnen und der Anschauung, sich als zweckwidrig, verkehrt, ja unmöglich ergiebt; so können wir jedoch als das berichtigte Analogon derselben meine Lehre betrachten, daß nur das von aller Gemeinschaft mit dem Willen rein gehaltene, und doch intuitive Erkennen die höchste Objektivität und deshalb Vollkommenheit erreicht; — worüber ich auf das dritte Buch meines Hauptwerks verweise.
§. 5. Aristoteles
Als Grundcharakter des Aristoteles ließe sich angeben der allergrößte Scharfsinn, verbunden mit Umsicht, Beobachtungsgabe, Vielseitigkeit und Mangel an Tiefsinn. Seine Weltansicht ist flach, wenn auch scharfsinnig durchgearbeitet. Der Tiefsinn findet seinen Stoff in uns selbst; der Scharfsinn muß ihn von außen erhalten, um Data zu haben. Nun aber waren zu jener Zeit die empirischen Data theils ärmlich, theils sogar falsch. Daher ist heut zu Tage das Studium des Aristoteles nicht sehr belohnend, während das des Platon es im höchsten Grade bleibt. Der gerügte Mangel an Tiefsinn beim Aristoteles wird natürlich am sichtbarsten in der Metaphysik, als wo der bloße Scharfsinn nicht, wie wohl anderwärts, ausreicht; daher er dann in dieser am allerwenigsten befriedigt. Seine Metaphysik ist größtentheils ein Hin-und Her-Reden über die Philosopheme seiner Vorgänger, die er von seinem Standpunkt aus, meistens nach vereinzelten Aussprüchen derselben, kritisirt und widerlegt, ohne eigentlich in ihren Sinn einzugehen, vielmehr wie Einer, der von außen die Fenster einschlägt. Eigene Dogmen stellt er wenige, oder keine, wenigstens nicht im Zusammenhange, auf. Daß wir seiner Polemik einen großen Theil unsrer Kenntniß der älteren Philosopheme verdanken ist ein zufälliges Verdienst. Den Platon feindet er am meisten gerade hier an, wo dieser so ganz an seinem Platz ist. Die Ideen desselben kommen ihm, wie etwas, das er nicht verdauen kann, immer wieder in den Mund: er ist entschlossen, sie nicht gelten zu lassen. — Scharfsinn reicht in den Erfahrungswissenschaften aus: daher hat Aristoteles eine vorwaltend empirische Richtung. Da nun aber, seit jener Zeit, die Empirie solche Fortschritte gemacht hat, daß sie zu ihrem damaligen Zustande sich verhält wie das männliche Alter zu den Kinderjahren; so können die Erfahrungswissenschaften heut zu Tage direkte nicht sehr durch sein Studium gefördert werden, wohl aber indirekte, durch die Methode und das eigentlich Wissenschaftliche, was ihn charakterisirt und durch ihn in die Welt gesetzt wurde. In der Zoologie jedoch ist er auch noch jetzt, wenigstens im Einzelnen, von direktem Nutzen. Ueberhaupt nun aber giebt seine empirische Richtung ihm den Hang, stets in die Breite zu gehn; wodurch er von dem Gedankenfaden, den er aufgenommen, so leicht und so oft seitwärts abspringt, daß er fast unfähig ist, irgend einen Gedankengang auf die Länge und bis ans Ende zu verfolgen: nun aber besteht gerade hierin das tiefe Denken. Er hingegen jagt überall die Probleme auf, berührt sie jedoch nur und geht, ohne sie zu lösen, oder auch nur gründlich zu diskutiren, sofort zu etwas Anderm über. Daher denkt sein Leser so oft jetzt wird’s kommen; aber es kommt nichts: und daher scheint, wann er ein Problem angeregt hat und auf eine kurze Strecke es verfolgt, so häufig die Wahrheit ihm auf der Zunge zu schweben; aber plötzlich ist er bei etwas Anderem und läßt uns im Zweifel stecken. Denn er kann nichts festhalten, sondern springt von Dem, was er vorhat, zu etwas Anderm, das ihm eben einfällt, über, wie ein Kind ein Spielzeug fallen läßt, um ein anderes, welches es eben ansichtig wird, zu ergreifen: Dies ist die schwache Seite seines Geistes: es ist die Lebhaftigkeit der Oberflächlichkeit. Hieraus erklärt es sich, daß, obwohl Aristoteles ein höchst systematischer Kopf war, da von ihm die Sonderung und Klassifikation der Wissenschaften ausgegangen sind, es dennoch seinem Vortrage durchgängig an systematischer Anordnung fehlt und wir den methodischen Fortschritt, ja die Trennung des ungleichartigen und Zusammenstellung des Gleichartigen darin vermissen. Er handelt die Dinge ab, wie sie ihm einfallen, ohne sie vorher durchdacht und sich ein deutliches Schema entworfen zu haben: er denkt mit der Feder in der Hand, was zwar eine große Erleichterung für den Schriftsteller, aber eine grosse Beschwerde für den Leser ist. Daher das Planlose und Ungenügende seiner Darstellung; daher kommt er hundert Mal auf das Selbe zu reden, weil ihm Fremdartiges dazwischen gelaufen war; daher kann er nicht bei einer Sache bleiben, sondern geht vom Hundertsten ins Tausendste; daher führt er, wie oben beschrieben, den auf die Lösung der angeregten Probleme gespannten Leser bei der Nase herum; daher fängt er, nachdem er einer Sache mehrere Seiten gewidmet hat, seine Untersuchung derselben plötzlich von vorne an mit λαβωμεν ουν αλλην αρχην της σκεφεως,